Venezuela: Gewerkschaften zwischen serviler Bürokratie und Auftragsmord

Als zehn GewerkschafterInnen ermordet wurden entstand für die venezolanische Arbeiterbewegung eine schwierige Zeit. Die Nebentäter der Morde waren die Passivität der pseudo-revolutionären Regierung und das Schweigen ihrer Sympathisanten außerhalb Venezuelas. Darum geht es in dem nun folgenden Artikel, welcher in der Januar/Februar 2009 Ausgabe von El Libertario erschien.

"In einer Revolution müssen Gewerkschaften verschwinden ... Gewerkschaften sind so giftig wie die Autonomie. Gewerkschaften dürfen nicht unabhängig sein, wir sollten damit Schluss machen." (Hugo Chavez, bei einer Versammlung der PSUV (Partido Socialista Unido de Venezuela) in Caracas, 24. März 2007)

Die hinterhältige Ermordung von drei führenden ArbeiterInnen im Bundesland Aragua, welche sich am 27. November 2008 ereignete, lenken die Aufmerksamkeit auf die in den letzten Jahren alltäglich gewordene Kriminalität gegen die am Boden liegenden Gewerkschaften. Wie in anderen Orten auf der Welt, kommen Gangster-Methoden aufgrund mangelnder Militanz der Gewerkschaftsbewegung auf und beschleunigen dann den Niedergang der Klassenkämpfe.

Die teuflischsten Verbrechen, die Ermordung von GewerkschafterInnen, wurde in den Berichten der Menschenrechtsorganisation PROVEA der Jahre 2007 bis 2008 dokumentiert (siehe www.derechos.org.ve). Zusammen mit Publikationen aus Zeitungen quer durch Venezuela, konnten wir uns über das genannte Thema gut informieren. Es ergibt sich eine alarmierende Kalkulation: zwischen dem Oktober 2006 und dem September 2008 wurden in Venezuela 77 GewerkschafterInnen ermordet. Die Morde richteten sich meistens gegen GewerkschafterInnen aus den Bereichen der Bau- und Ölindustrie, um dadurch die Kontrolle über die Vergabe von Arbeitsplätzen zu erhalten. Ein großer Teil der ArbeiterInnen in diesen beiden Sektoren, 75% im Bauwesen, sind Mitglied in einer Gewerkschaft. Wer auch immer die Kontrolle über die Gewerkschaften besitzt, hat durch das Recht auf die Vergabe von Arbeitsplätzen ein lukratives Nebeneinkommen. Die Kriminellen und die meisten Gewerkschaften unterscheiden sich in politischer Hinsicht kaum voneinander, denn beide neigen dazu sich mit der herrschenden Regierung zu identifizieren.

Aus dem PROVEA Report 2007 wird der Ernst der Lage ersichtlich. Darin wird Venezuela nach Kolumbien als das Land bezeichnet, in denen gewerkschaftliche Aktivitäten am gefährlichsten sind. Aus einem, dem PROVEA Report angehängten Bericht eines Beauftragten für Menschenrechte aus Caracas geht hervor, dass in 52% der Fälle, lediglich drei gerichtlich geahndet wurden. Weder die staatsnahen Gewerkschaften UNT (National Union of Workers) und FSBT (Socialist Bolivarian Workers' Force), noch die rebellische CTV (Confederation of Workers in Venezuela) haben irgendeine Kampagne oder Diskussion wegen der Gräueltaten angestrengt. Die SprecherInnen und VerehrerInnen des Chavismo versuchen diese scheußliche Angelegenheit beiseite zu schieben, indem sie die Schuld auf das „Empire“ schieben, dass mit den lokalen ArbeitgeberInnen zusammenarbeitet. Ironischerweise arbeiten in der Bau- und Ölindustrie entweder direkte Staatsangestellte oder ArbeiterInnen in vom Staat angeheuerten Firmen. Hinzu kommt eine klassische Antwort der Regierung: im Jahr 2007 wurde eine Kommission gegen Gewerkschaftsgewalt eingesetzt, von der kurze Zeit später nichts mehr zu hören war.

Gangster-Methoden überall!

Die Umstände der Ermordung von Richard Gallado, Luis Hernandez und Carlos Requena zeigen die Eskalation krimineller Methoden in den Gewerkschaften auf. Die Verwandten und engen Freundinnen der Getöteten sind der Überzeugung, dass die Morde von Gewerkschaftsbürokraten und Politikern in Auftrag gegeben wurden. Sie verdächtigen insbesondere den Bürgermeister von Villa de Cura und seinen Bruder, den Chef der Chavista Anhänger. Die Vermutung wurde sogar in verschiedenen Medienberichten aufgegriffen, da die Namen in den unmittelbar nach den Morden einsetzenden Protesten immer wieder laut genannt worden waren. Ein sich wiederholender Slogan auf den Demonstrationen war der Ruf „Gewerkschaften heuern Mörder an“, womit auf die Methode hingewiesen wurde, welche von den korrupten Bürokraten zur Absicherung ihrer dreckigen Geschäfte verwendet werden. In dem speziellen Fall waren die drei Getöteten Mitglieder einer trotzkistischen Gruppe, die sich in dem Gebiet etablieren konnte. Hernandez war Generalsekretär der Gewerkschaft in der Pepsi-Cola Fabrik von Villa de Cura. Er hatte sogar 3816 Stimmen bei der Wahl zum Bürgermeister bekommen. Diese trotzkistische Gruppe, deren bekanntestes Mitglied der ArbeiterInnenführer Orlando Chirino ist, hat in den letzten zwei Jahren eine kritische Distanz zur herrschenden Partei eingenommen. Durch ihre Aktionen und Veröffentlichungen im Bundesland Aragua haben sie sich bei der regionalen Mafia unbeliebt gemacht.

Das trübe Verhalten der Regierung zu den Morden erhärtet den Verdacht gegen sie. Der Regierungssprecher schwieg, bis Chavez die Angelegenheit vier Tage später selbst ansprach. Er lenkte den Verdacht auf ausländische Unternehmen und auf paramilitärische Kräfte (!!??), da die Getöteten an diesem Tag zu einer kolumbianischen Fabrik gegangen waren um sich mit den dortigen ArbeiterInnen zu solidarisieren. Daraus wurde dann die offizielle Version, die von den internationalen Anhängern der „bolivarischen Revolution“ begeistert aufgenommen wurde. Die Version änderte sich erst, nachdem ein Mörder verhaftet wurde, woraufhin der Innenminister verkündete, dass die Ursache des Konflikts mit Tarifstreitigkeiten in der Getränkeindustrie zusammenhängt. Es besteht der Verdacht, dass der Verhaftete, ein Angestellter von Pepsi-Cola, nur als Sündenbock missbraucht wird, denn einige seiner KollegInnen hatten ihn an seinem Arbeitsplatz gesehen als die Tat begangen wurde. Dieser Umstand und das Verhalten der Regierung lösten bei den Hinterbliebenen tiefe Empörung aus. Der krönende Abschluss war dann die Verlautbarung des neuen Ministerpräsidenten von Aragua, der bislang seinen Mund gehalten hatte. Er verbot alle Proteste, da sie nach seinen Informationen alleinig dem Zweck dienen, die Regierung zu destabilisieren. Wie von uns erwartet, geschah noch etwas anderes: eine offizielle Kommission wurde eingesetzt, um sich der Sache anzunehmen ...

El Libertario


Zum Thema „Anarchismus in Venezuela“ erschienen auf www.fau.org bislang die folgenden Übersetzungen aus der Zeitschrift El Libertario:

Die Beziehungen zwischen Kuba und Venezuela aus anarchistischer Perspektive

Vetelca: Die Geschichte der ersten bolivarischen Maquila Fabrik in Venezuela

Venezolanische Arbeit zwischen Chavez und den Golpistas