Vetelca: Die Geschichte der ersten bolivarischen Maquila Fabrik in Venezuela

Dieser Bericht erschien erstmalig in der anarchistischen Zeitung El Libertario. Darin wird, durch die detaillierte Untersuchung der Ereignisse um den Mobiltelefonhersteller Vetelca, eine falsche Vorstellung von sozialistischer Produktionsweise demaskiert.

Am 10. Mai 2009 zeigte sich Präsident Hugo Chávez im nationalen Fernsehen aus der El Tigre Region im Bundesland Barinas, um der Nation die Verfügbarkeit eines unter bolivarischer Aufsicht hergestellten Mobiltelefons in Venezuela zu verkünden.

Wenige Wochen früher hatte er es „El Vergatario“ (ein vulgärer Ausdruck, der sich am besten mit „der dickste Schwanz“ übersetzen lässt) genannt. Entsprechend den Propagandamethoden der Chavistas, überschnitt sich die Bekanntgabe symbolisch mit dem Muttertag, der in Venezuela ein nationaler Feiertag ist. Es war, wie alle wusste, ein neuer Schritt in Richtung der politischen Ziele von Chávez.

An eben diesem Tag verkündete Chávez, dass „dieses Telefon, nicht nur das am besten verkaufte Produkt in Venezuela, sondern in der ganzen Welt sein wird“, womit die nationale Ökonomie nachhaltig gestärkt werden soll. Er sprach damit insbesondere die erfolgreichen Exportzahlen in die Anden Region Mercosur, einschließlich Argentinien und Brasilien, und in die Karibik an. Doch diejenigen unter uns, die über die Entwicklung des Spätkapitalismus gelesen hatten, fragten uns bei den Ambitionen von Chávez, wie es dazu kommen soll, dass sich ein Produkt in einem so hart umkämpften Markt wie dem Mobilfunkgeschäft, an die Spitze setzen soll? „Mit dem Maquila Herstellungsverfahren?“, fragten die misstrauischen Anarchisten. Indes zeigen nämlich alle Analysen der Produktion in einer globalisierten Ökonomie, dass der einfachste Weg um an die Spitze eines Marktes zu gelangen, die Minimierung der Herstellungskosten ist. Dabei wissen Unternehmen wie GAP, Nike und Adidas nur zu gut, dass besonders China ein Experte auf dem Gebiet der Kosten effizienten Produktionsmethoden ist, sowohl was die Ökonomie, als auch was das Arbeitsrechte anbetrifft.

China ist der Geschäftspartner des bolivarischen Staates Venezuela in dem öffentlich-privaten Unternehmen Venezolana de Telecomunicaciones (Vetelca). Das Unternehmen entstand im Jahr 2009 in der Freihandelszone von Paraguaná im Bundesland Falcón. Offizielle Berichte sprechen von 140 Arbeitern, davon 80% Frauen, die alle in der Zone leben und von lokalen Räten ausgesucht worden sind, um in der Fabrik zu arbeiten. Deren erstes Ziel war die Auslieferung von 10.000 Einheiten an Movilnet, dem staatlichen Telekommunikationsunternehmen in Venezuela, um ab dem Muttertag verkauft zu werden, ganz so wie Chávez es versprochen hatte. Nun, es dauerte nicht lange, bis diese Fabrikarbeiter mit Berichten in der bolivarischen Presse unser Misstrauen bestätigten.

Die Version der Arbeiter

Levy Revilla Toyo, einer von 56 gefeuerten Arbeitern, gab kürzlich einen genauen Bericht über die Entstehung von Vetelca. In einer offiziellen Beschwerde beschreibt Revilla die Rekrutierung der Arbeiter im Jahr 2008. Der Minister für Licht, Industrie und Handel sammelte 250 Menschen aus Missionen, das sind soziale Einrichtungen der Chavistas, den Universitäten und von den lokalen Räten ein. Dann begann ein Trainings- und Ausleseverfahren. Im März 2009, zum Ende des zweiten Trainings, wurden 160 von den 250 Arbeitern ausgesucht. Zur gleichen Zeit wurde der bis heute residierende Vorstandsvorsitzende Carlos Audrines Flores gewählt.

Am 1. Mai, dem internationalen Tag der Arbeiterklasse, begann die Produktion des Mobiltelefons. „Wir mussten bis tief in die Nacht arbeiten“, berichtet Revilla, „alles war sehr armselig organisiert, Arbeiter fielen in Ohnmacht oder wegen Hunger aus“. Trotzdem gelang es ihnen die geforderte Menge in nur drei Tagen auszuliefern, mit der Befriedigung, die Worte des Präsidenten geehrt zu haben. Auf einmal trafen immer neue Beschäftigte ein. Sie bevölkerten die Fabrik, die Kantine und verletzten die Rechte und direkte Teilnahme des kommunalen Rates und der Missionen.
In Einklang mit dem Gesetz zur Prävention, Bedingungen und Umfeld der Arbeit, LOPCYMAT, das von der bolivarischen Regierung verabschiedet worden war, begannen die ArbeiterInnen „delegados de prevención“ (dt: Sicherheitsbeauftragter) zu wählen, ungeachtet den Hindernissen, die ihnen vom Vorstand in den Weg gelegt wurden.

Am 7. Juli wurden sieben Vetelca Arbeiter entlassen, inklusive den „delegados de prevención“, die durch eine Versammlung aller Arbeiter gewählt worden waren. Aber sie waren entschlossen ihre Rechte zu verteidigen. Als sie zur Fabrik kamen um ihre Einwände zu bekräftigen, entgegnete man ihnen: „diese Arbeiter hier sind Studenten und ihr Lohn ist überhaupt keiner sondern ein Stipendium; außerdem besitzen diese Arbeiter keine organisatorische Struktur“. Später drohte das Management mit der Nationalen Garde auf dem Fabrikgelände und bezichtigte die gefeuerten Arbeiter – in einem nur allzu bekannten Wortlaut – Konterrevolutionäre zu sein. Im Laufe der folgenden Tage wurden 56 weitere Arbeiter entlassen, die Entlassungspapiere unterschreiben mussten, durch die das Management deren Löhne einstrich. Wenige Tage danach erhöhte sich die Summe der entlassenen Arbeiter auf 86.

Die Version der Bürokraten

Jesse Chacón, Minister für Wissenschaft und Technologie besuchte am 29. Juli 2009 die Vetelca Fabrik um Ruhe bei den Arbeitern zu stiften. Eine offizielle Pressemeldung vermerkt: „der Minister trifft sich mit den Arbeitern um ihnen mitzuteilen, dass sie ihre Verträge innerhalb von 14 Tagen unterschreiben können“. Außerdem enthielt die Pressemeldung die folgende Perle: „die anleitenden Arbeiter, die bislang auf freiwilliger Basis hier gearbeitet haben, bekommen jetzt eine monatlichen Bonus von 1300 BsF [160€ auf dem Schwarzmarkt]“ und „hier funktioniert ein sozialistisches Produktionsmodell, mit integrierten Arbeitern, die tägliche von Posten zu Posten rotieren und deshalb alle Stationen der Produktion und die Operationsweise der Fabrik in ihrer Totalität kennenlernen. Desweiteren sind sie an der Produktionsplanung beteiligt, im Gegensatz zum kapitalistischen Modell“.

Belassen wir vorerst unseren Fokus auf den staatlichen Medien. Carlos Audrines, Präsident von Vetelca, erklärte zu dem Fall: „einige Individuen, die sich aufgrund ihres Ungehorsames noch im Training befinden, sind entlassen worden“. Die offizielle Presse Agentur ABN schrieb, dass Audrines „sagte er könnte die Entlassungen nicht kommentieren, da die Individuen gar kein festen Vertrag hätten, denn Vetelca Human Resources befände sich noch im Aufbau, und ist im Rahmen dieses Prozesses in einem dauernden Zustand der Evaluation. Von daher hat es Entscheidungen getroffen, die auf dem Verhalten und den Aktivitäten dieser Individuen basieren“. In der Tageszeitung Últimas Noticias, übertrifft sich Audrines selbst, indem er sagt: „diese 56 Leute wollten eine kämpferische und aggressive Gewerkschaft gründen, die ihre individuellen Interessen vertritt und ihnen bessere Posten verschafft“. Der Artikel erwähnt außerdem, dass Vetelca als Unternehmen gar nicht offiziell eingetragen ist und es daher auch keine Verträge gibt. „Innerhalb der nächsten zwei Wochen“, so führt Audrines weiter aus, „werden wir das Budget für das Startkapital ausgezahlt bekommen“. Sobald das einmal da ist, wird Vetelca der Unternehmensstatus garantiert und dann wird eine Sicherheitsabteilung aufgebaut, „denn das Wort Gewerkschaft passt nicht zu einem sozialistischen Betrieb, da es dem Prinzip der Gleichheit von uns allen widerspricht. Ein sozialistisches System braucht keine Gewerkschaften“.

Die anarchistischen Schlussfolgerungen

Betrachten wir uns die Angelegenheit Stück für Stück. Was Minister Chacón als „integriertes, sozialistisches Produktionsmodell“ hinstellt, ist ein Euphemismus für etwas, was von allen sonst „polivalencia“ (Job Rotation) genannt wird. Es ist die charakteristische Flexibilität von Arbeitern innerhalb der kapitalistischen Informationsindustrie. Diese Job Rotation garantiert, dass die Arbeiter verschiedene Tätigkeiten innerhalb des Produktionsprozesses beherrschen, damit sie entsprechend seiner Notwendigkeiten eingesetzt werden können. Darin unterscheidet sich das Maquila-Modell von der fordistischen Produktionsmethode. Trotzdem ist es weder wahr, das die Arbeiter „die Operationsweise der Fabrik in ihrer Totalität kennenlernen“, noch das sie „an der Produktionsplanung beteiligt“ sind. Das ist alleine deshalb so, da sie das Endprodukt lediglich zusammenbauen, dessen Teile in China hergestellt und entworfen worden sind. Innerhalb des gesamten Produktionsprozesses von „El Vergatario“ partizipieren die Arbeiter in Falcoń lediglich an den Bereichen Zusammenbau und Verpackung.

Das Unternehmen Vetelca, das von hochgradigen bolivarischen Funktionären grandios umschrieben wird, ist nichts anderes als eine simple Outsourcing Operation, welche die Aufgaben des staatlichen venezolanischen Mobilfunkunternehmens Movilnet übernimmt. Audrines bestätigt das in einem Interview: „die einzige Aufgabe von Vetelca ist die Befriedigung der Anforderungen von Movilnet“. Das staatliche Unternehmen legt die Höhe der Produktion, den Auslieferungstermin und die Namensgebung im Kleinhandel fest. Das sind drei Entscheidungen auf welche die Arbeiter keinen Einfluss haben. Falls der Präsident die spontane Entscheidung treffen sollte, den Geburtstag von Bolívar mit der Auslieferung von „Vergatarios“ zu begleiten, einhergehend mit der Verkündung höherer Produktionszahlen, werden die Arbeiter wieder bis tief in die Nacht arbeiten müssen, genauso wie es Levy Revilla beschreibt. Das ist die Flexibilität, die vom modernen Kapitalismus eingefordert wird.

Die Äußerungen von Audrines bestätigen die Annahme, dass es hierbei um globalisierte Ökonomie und nicht um Sozialismus geht. Dieser Bürokrat redet von einer Aufbauphase, während die Arbeiter 10.000 Einheiten produzierten. Die Entlassungen von Arbeitern, die sich in einer Gewerkschaft organisieren oder weil auf Wunsch aller Arbeiter Sicherheitsbeauftragte ausgesucht wurden, sprechen für sich, genau wie Audrines Bekenntnis, das Vetelca keine Gewerkschaften erlauben wird, „denn das sei gegen den Sozialismus“.

Präsident Chávez, Jesse Chacón, Carlos Audrines und die Ninja Turtles können „El Vergatario“ hundertmal als sozialistisches Mobiltelefon bezeichnen. In dem vorliegenden Fall jedoch, und sie können ihre Lügen tausendmal wiederholen, wird die Wahrheit durch die Fakten aufgedeckt. Vetelca ist die erste Maquila-Fabrik in Venezuela, inspiriert von dem gleichen chinesischen Modell, das Nike Schuhe, Adidas Fußbälle und GAP Shirts mit den Grausamkeiten des heutigen Kapitalismus produziert.

Rafael Uzcátegui