Redebeitrag vom 1. Mai 2022

Der Redebeitrag des Allgemeinen Syndikates Rostock vom 1. Mai 2022.

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Ich darf heute hier vom Allgemeinen Syndikat Rostock der Freien Arbeiter*innen Union (FAU), einer Basisgewerkschaft, die sich konsequent auf die Seite aller Lohnabhängigen stellt sprechen. Wir sind hier heute mit vertreten und freuen uns, anlässlich des heutigen Aktionstages ein paar Worte sprechen zu können. Zuerst gehen viele Grüße und bester Dank raus an die Menschen, die heute den Tag hier auf die Beine gestellt haben.
Eines der Mottos für heute lautete "Preise runter, Löhne hoch". Dass wir hier in Toitenwinkel sprechen können, ist dabei besonders erfreulich; bei den Leuten, die sich die schönen neu gebauten Eigentumswohnungen mit Warnowblick leisten können, sind wir mit dem Motto sicherlich an der falschen Adresse. Der Wohnungsmarkt in Rostock ist für uns besonders symptomatisch für ein gravierendes Problem unserer Zeit - der sozialen Spaltung und der wachsenden Einkommensunterschiede. Rostock ist laut diverser Studien aus den letzten Jahren eine der Städte mit der größten räumlichen Trennung zwischen Arm und Reich. Die gut Verdienenden, häufig aus dem Westen Zugezogenen können sich die schicken Stadtwohnungen leisten oder in Warnemünde Meerluft schnuppern, während überdurchschnittlich viele Leute ohne Arbeit oder mit Durchschnittseinkommen zunehmend aus diesen angesagten Stadtteilen verdrängt werden und in der Platte am Stadtrand wohnen. Die Mietpreise haben sich im Deutschlandweiten Vergleich in den letzten 30 Jahren nahezu verdoppelt. Ich weiß nicht, wie das auf eurer letzten Gehaltsabrechnung aussah, bei mir hat sich da auf jeden Fall nichts verdoppelt. Da kommen wir aber zu dem Punkt, den wir eigentlich loswerden möchten.
Selbst in einer Traumwelt, in der Kapitalismus und Sozialdemokratie für alle reibungslos funktionieren und der Markt alles regelt, stoßen wir auf ein fundamentales Problem. In einem System, in dem private Unternehmen und Anteilseigner*innen mit unserem Wohnraum Geld verdienen wollen, werden wir immer mehr bezahlen müssen. Der Zwang des kapitalistischen Systems bedeutet Wachstum - Wachstum an Profit für die Reichen und Besitzenden, nicht Wachstum an unserer Rente. Das ist die Grundlage für jede Lösung dieses Problems - der Fehler liegt im System. Von klein auf wird uns eingeimpft, dass wir es auch ins Einfamilienhaus schaffen, wenn wir nur hart genug arbeiten. Wie verblendet diese Idee ist, zeigt eine kurze Suche auf einem Immobilienportal eurer Wahl. Und generell haben wir keine Lust, die Seite zu wechseln und dann unsere Mitmenschen vor den Bus zu werfen. Der Weg aus der Ausbeutung kann nicht sein, selbst Ausbeuter*in zu werden!
Dass regierende Parteien nicht an einer nachhaltigen Lösung dieser Probleme interessiert sind, zeigt exemplarisch die Verschleppung des Volksentscheides "Deutsche Wohnen enteignen" in Berlin, bei der über 57% aller Abstimmenden die Enteignung großer Immobilienkonzerne gefordert haben. Das ist nur eines von vielen Beispielen dafür, dass das gute und menschenwürdige Leben, dass wir allen wünschen, nicht durch Bittgesuche an die Regierung eingefordert werden kann, sondern selbst erkämpft und erarbeitet werden muss.
Um nicht nur zu meckern, wollen wir auch ins handeln kommen. Aber wie? In Rostock gab es in den letzten Jahren mehrere Projekte, die die bewohnten Häuser über Genoss*innenschaften oder das Mietshäusersyndikat gemeinsam gekauft haben - das ist immer eine starke Sache, aber auch zeit- und arbeitsintensiv. Der notwendige Schritt davor, der dabei oft übersehen wird, ist die Vernetzung und Organisation. Genau darum geht es uns heute, genauso wie an allen anderen Tgen. Die meisten konkreten Verbesserungen unserer Lebensumstände wurden von starken und gut aufgestellten sozialen Bewegungen erkämpft. Im Betrieb lässt sich euren Vorgesetzten gemeinsam besser die Stirn bieten, aufs Amt geht man auch besser nicht allein und auch gegen Mieterhöhungen lässt sich gemeinsam besser vorgehen als allein. Vor all dem kommt aber der Aufbau von robusten und vertrauensvollen Netzwerken der gegenseitigen Hilfe und der Solidarität. Das kann in unterschiedlichen Maßstäben passieren - einfach in der Nachbarschaft, aber zum Beispiel auch in einer Basisgewerkschaft wie der FAU. Wir sind natürlich auf Arbeitskämpfe spezialisiert, aber unser Modell lässt sich auch auf andere Kontexte übertragen. Uns ist dabei wichtig zu sagen, dass wir nicht daran interessiert sind, eure Probleme für euch zu lösen. Wir wollen euch das Handwerkszeug und den Rückhalt geben, das selbst anzugehen und dabei Wissen und Ressourcen mit euch teilen. Das ist etwas anderes als Wohltätigkeit und auch etwas anderes als irgendwelche Politiker*innen oder Parteien zu bitten unsere Probleme zu lösen.
In diesem Sinne möchten wir euch herzlich einladen, euch bei der nächsten Gelegenheit mal mit euren Nachbar*innen auszutauschen. Stellt euch doch an den nächsten warmen Abenden mal raus, haut was auf den Grill und tauscht euch aus, was euch in Alltag ankotzt und was ihr gemeinsam dagegen tun könnt. Und ganz zum Schluss möchten wir euch natürlich einladen, auch zu unseren Beratungsterminen zu kommen, wenn euch unser Ansatz gefällt. Wir sind eine offene Gewerkschaft, zu der ihr mit euren Problemen kommen könnt, auch wenn ihr in dieser Hinsicht noch keine Erfahrungen habt oder auch, wenn ihr bereits anderswo Gewerkschaftsmitglied seid. Wir bieten jeden ersten Dienstag im Monat eine Sprechstunde im Kiezladen in der Niklotstr. 13 an - das ist übermorgen. Diese Einladung richtet sich ganz besonders an die Anwohner*innen hier, aber auch die Linken aus der Innenstadt sind herzlich eingeladen. Ihr findet uns bei den schwarz-roten Fahnen beim Schminken. Wir haben auch einen kleinen Infotisch vorbereitet, kommt da gern auf einen Kaffee oder eine Stulle vorbei. 
Lasst uns zusammenkommen und vernetzen über den 1. Mai hinaus, damit wir Teurungen, sinkenden Reallöhnen und Ausbeutung gemeinsam auf die Pelle rücken können! Komm auch du zur FAU!