Frankreich: die Kämpfe gegen CPE und ungeschützte Beschäftigung
von Sekretariat für Internationales des FdA.
Der Artikel beschreibt die Entstehung der Widerstandsbewegung gegen den CPE in Frankreich und belichtet die aktuellen Proteste im Kontext der letzten Jahre aus anarchistischer Perspektive. Es ist eine Übersetzung eines Artikels von einem Autor der Französischsprachigen Anarchistischen Föderation. Am Dienstag, 28.3.06 ist frankreichweiter Aktionstag!
Am 16. Januar 2006 gab Premierminister Villepin mit der Einführung des
Contrat Première Embauche (CPE) eine Veränderung des Arbeitsrechts
bekannt. Dieser Vertrag zielt auf junge Leute, unter denen die
Arbeitslosigkeit in manchen Vierteln bisweilen 40% erreicht, eine der
höchsten Quoten in Europa.
Dieser neue Regelung erlaubt es einem Arbeitgeber in den ersten 24
Monaten, das Arbeitsverhältnis ohne Angabe von Gründen zu kündigen. Das
ist eine Neuheit im französischen Arbeitsrecht: es wird eine rechtliche
Ungleichheit zwischen den jungen Leuten unter 26 Jahren und den anderen
eingeführt.
Der CPE erlaubt es einem Arbeitgeber auch, den Arbeitsvertrag zu kündigen
und der selben Person einen neuen, identischen Vertrag anzubieten, was das
unsichere Beschäftigungsverhältnis noch verlängert. Über die
Schwierigkeiten für die Jugendlichen hinaus, mit einem solch unsicheren
Vertrag angestellt zu werden, wird ein neues Konkurrenzverhältnis zwischen
den Arbeitern, die klassische, oft besser geschützte, Arbeitsverträge
haben, und den jungen Leuten mit dem CPE erzeugt.
Allgemein betrachtet ist dieser Vertrag ein neuer Versuch die ungeschützte
Beschäftigung auszudehnen und sie im Arbeitsrecht festzuschreiben, ohne
die Schwierigkeiten der Jugendlichen zu beseitigen. Er reiht sich ein in
eine Folge jüngst erfolgter Maßnahmen der Regierung, wie der Senkung des
Mindestalters für Lehrlinge oder den Contrat Nouvelle Embauche (CNE), der
eine zweijährige Probezeit vor einer festen Einstellung einführte. Bereits
dieser Vertrag verwehrt es Arbeitnehmern zwei Jahre lang zu streiken,
krank zu sein, schwanger zu werden...andernfalls...
Einige Tage nach Bekanntgabe des CPE regte sich zaghafter Widerstand. Die
Studenten waren am entschlossensten, da sie am stärksten von diesen
Regelungen betroffen sein werden. Es fanden erste Demonstrationen statt
und der 7. Februar wurde zum nationalen Protest- und Streiktag für die
Arbeitnehmer und die Universitäten ausgerufen. Die Winterferien ließen den
Widerstand nicht abflauen. Trotzdem führte die Regierung am 10. Februar
mit ihrer parlamentarischen Mehrheit den CPE ein. An den darauffolgenden
Tagen gingen die Demonstrationen weiter, Universitäten wurden besetzt. Am
7. März mobilisierte ein Aktionstag knapp eine Million Menschen, um für
die Rücknahme des CPE zu demonstrieren. Am 9. März erklärte die
Abgeordnetenkammer den CPE definitiv für gültig, während die Wut überall
anwuchs. Die Streiks im Bildungssektor zur Unterstützung der Studenten
vervielfachten sich und jetzt wurden überall im Land auch Gymnasien
besetzt. Am 16. März gab es eine neue landesweite, sehr starke
Mobilisierung der Studenten, diesmal zusammen mit den Gymnasiasten, die
endlich auch handelten. Bisweilen kam es zu Ausschreitungen als Reaktion
auf die Unfähigkeit der Regierung, ihre Position zu überdenken oder in
Folge von Versuchen bewaffneter rechtsextremer Kommandos, ?die Unis von
den Linken zu befreien?. Am 18. März gingen dann mehr als eine Million
Menschen in Frankreich auf die Straße, 60 Universitäten wurden besetzt
oder geschlossen. Die Mobilisierung lässt nicht nach, im Gegenteil.
Während diese Zeilen geschrieben werden, mobilisieren gerade alle
gewerkschaftlichen Organisationen von Arbeitnehmern und Studenten zu einem
neuen Aktionstag am 28. März. Bis dahin rufen die Koordinationen der
streikenden Studenten und die gewerkschaftlichen Organisationen der
Gymnasiasten zum Generalstreik und zur Blockade der Gymnasien und
Universitäten auf.
Das Ende einer Periode von Niederlagen
Diese Bewegung reiht sich in den sozialen Widerstand ein, der in
Frankreich zu erstarken scheint. Am 4. Oktober 2005 fanden Streiks und
Demonstrationen gegen ungeschützte Beschäftigung und für die Beibehaltung
der staatlichen Dienstleistungsbetriebe statt. Dann, einige Wochen später,
trugen die Jugendlichen in den Vorstädten ihre Wut und ihre Verzweiflung
auf die Straße, indem sie die Obrigkeit angriffen. Und jetzt sind es die
Studenten, die die Arbeitnehmer mit sich reißen. Diese Situation, die
bisher noch nie zu beobachten war, weder im Mai 68 noch in einem
vorrevolutionären Prozess, zeigt, dass das soziale Bewusstsein nicht tot
ist. Nach und nach weiten sich die Forderungen aus: Demonstrationen,
Vollversammlungen der Studierenden... schlagen jetzt eine Brücke zu
ungeschützter Beschäftigung im Allgemeinen, oder den Auswirkungen der
Repression, die 2005 die Jugendlichen der Vorstädte aufgebracht hat. Durch
die allgemeineren Forderungen entsteht konkret eine bewegungsübergreifende
Solidarität.
Im Allgemeinen sind die Studenten sonst sehr auf ihre Unabhängigkeit
bedacht. Zuweilen kommt es vor, dass sie Kontakte mit gewerkschaftlichen
Arbeitern ablehnen! Sie misstrauen politischen Organisationen und
Gewerkschaften und haben ihre eigene landesweite Koordination aufgebaut.
Nicht zu Unrecht: die Widerstandsbewegung gegen den CPE wird durch
Politiker der Linken und extremen Linken gewerkschaftlich dominiert. Das
Ziel dieser gewerkschaftlichen Repräsentaten der Führung der Linksparteien
ist es, die öffentliche Meinung im Hinblick auf die Wahlen von 2007 (ca.
68% sind gegen den CPE!) gegen die Regierung zu lenken. Also die Bewegung
zu kontrollieren, die jedoch zögerlich bleibt, angesichts der Unfähigkeit
der Gewerkschaften, einen Generalstreik für die Rücknahme des CPE
auszurufen.
Diese Radikalisierung der Bewegung wird von einem Teil der Öffentlichkeit
gewünscht. Zunächst von den Studenten, die teilweise schon seit fünf
Wochen kämpfen, dann von einem zunehmenden Teil der Öffentlichkeit, die
die Weigerung Villepins nicht versteht, sein Projekt zurückzuziehen.
Unglücklicherweise weigern sich die Gewerkschaftsbürokratien in ihrer
Vorsicht, die wenn auch ungleiche soziale Ordnung nicht zu
destabilisieren, in die entscheidende Schlacht zu ziehen. Die
grundlegenden Kritiker der großen Gewerkschaften, die alternativen
Gewerkschaften Sud und die französische CNT, welche mit AnarchistInnen
kooperiert, können diese Tendenz nicht umkehren. Die Regierung weigert
sich nachzugeben, womit ein sozialer Zermürbungskrieg geführt wird. Doch
der Sieg gegen den CPE ist notwendig - auch, weil andernfalls viele
GewerkschafterInnen und AktivistInnen wieder von einer neue Phase der
Deprimierung und tiefen Entmutigung ergriffen werden würden. Das soziale
Erwachen von 2005 und 2006 folgt auf eine Reihe düsterer Jahre mit
zahlreichen sozialen Einschnitten ohne entsprechende Gegenwehr, als ob die
Ausgebeuteten nicht mehr an ihre Fähigkeit geglaubt hätten, etwas bewegen
zu können...
Das ist keine Revolution!
Doch es bestehen die besten Aussichten! Wie immer in lange andauernden
Kämpfen wächst das kollektive Bewusstsein schnell; die politischen
Widersprüche treten hervor, die Lehre der direkten Demokratie, die
Praktiken von Selbstverwaltung und Kollektivität, das Behaupten der
Unabhängigkeit, die Debatten über die Vorstellungen von den Profiteuren
und den Opfern der ungeschützten Beschäftigung, ... blühen auf. Eine neue
Generation ist dabei sich stark und praxisbezogen zu politisieren. Viele
sind empfänglich für Ideen, die kämpferische, antikapitalistische,
libertäre Perspektiven eröffnen.
Im Moment sind die AnarchistInnen und AnarchosyndikalistInnen im Rahmen
ihrer Möglichkeiten an dieser gewaltigen Widerstandsbewegung beteiligt.
Sie forcieren die Bewegung und beteiligen sich an der Organisation und an
der Kommunikation, z.B. in den Vollversammlungen, bei der Selbstverwaltung
und bei der Unabhängigkeit der Kämpfe, bei der Sensibilisierung der
Bevölkerung für den uneingeschränkten Generalstreik, indem sie ihre
eigenen starken Ideen auf Demonstrationen einbringen: den Generalstreik
gegen das Kapital, das ausbeutet, und den Staat, der überwacht und
unterdrückt, und die Selbstverwaltung von Produktionsmitteln, Verteilung
und Bildung!
Daniel (Aktivist der Französischsprachigen Anarchistischen Föderation),
den 20. März 2006
Übersetzung: Sekretariat für internationale Beziehungen des Forums
deutschsprachiger Anarchistinnen und Anarchisten
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