48 Stunden Bedenkzeit

Frankreich: Gewerkschaften und 1,5 Millionen Demonstranten stellen Regierung Ultimatum: Gesetz zurückziehen, Kündigungschutz bestehen lassen oder Generalstreik

Die Gegner der Abschaffung des Kündigungsschutzes für junge Leute in Frankreich haben am Samstag eine beeindruckende Kraftprobe geliefert: Es waren mehr als eine Million, 1,5 Millionen nach Angaben der Gewerkschaften, die in landesweiten Massenprotesten die Rücknahme des »Vertrags für die Erstanstellung« (CPE) forderten, der für junge Arbeitnehmer unter 27 Jahren eine 24monatige Probezeit vorsieht. Gestärkt durch die massive Beteiligung, stellten die Arbeitnehmerorganisationen der konservativen Regierung ein Ultimatum: Premier Dominique de Villepin (UMP) habe »48 Stunden Zeit«, den CPE zurückzunehmen, ansonsten werde man einen Generalstreik ausrufen.

CGT-Generalsekretär Bernard Thibault betonte am Sonntag, daß der Ausstand bereits »in den nächsten Tagen« stattfinden könnte. Die Schülergewerkschaft FIDL kündigte ihrerseits einen Aktionstag für kommenden Donnerstag an. »Entweder die Regierung nimmt das Gesetz sofort zurück, oder sie wird nächste Woche dazu gezwungen sein, weil wir wieder auf die Straße gehen«, betonte Bruno Julliard von der Studentengewerkschaft UNEF. Auch der den Sozialisten nahestehende Gewerkschaftsführer Francois Chereque (CFDT), zeigte sich überzeugt, daß Premier Villepin nur eine Möglichkeit habe: »Den Vertrag zurücknehmen und verhandeln.«

Unterrichtsminister Francois Goulard betonte dagegen, daß noch Abänderungen des Gesetzes auf dem Verhandlungsweg möglich seien. »Selbst wenn das Gesetz bereits genehmigt wurde, so enthält es doch Wege zur Verbesserung«, betonte Goulard gegenüber der Tageszeitung Le Parisien (Sonntagausgabe). »Die Tür ist offen für den Dialog, um den CPE nachzubessern, aber eine Rücknahme kommt nicht in Frage«, sagte Regierungssprecher Jean-François Copé.

Unterdessen geraten durch den Konflikt um das Gesetz zur Abschaffung des Kündigungsschutzes, das von knapp 70 Prozent der Franzosen abgelehnt wird, die Sympathiewerte für die Regierung immer mehr in den Keller. Laut einer am Sonntag veröffentlichten IFOP-Umfrage sind 61 Prozent mit Premier Villepin »unzufrieden«, während es im Februar erst 54 Prozent gewesen waren. Mit Präsident Jacques Chirac (UMP) erklärten sich 60 Prozent »unzufrieden«.

In Paris hatten sich am Samstag nachmittag nach Angaben der Gewerkschaft CGT 350000 Personen an der dritten Großkundgebung gegen die Arbeitsrechtsänderung beteiligt. Am 7. März hatten 200000 Menschen protestiert. Stark war die Beteiligung am Samstag auch in Marseille mit 130000 Teilnehmern, in Toulouse mit 50000, in Rennes mit 35000, in Lyon mit 25000 und in Lille mit 30000. An den Demonstrationen beteiligten sich außer den Gewerkschaftschefs auch einige führende Linkspolitiker wie Sozialistenchef François Hollande (PS) und die sozialistischen Exminister Dominique Strauss-Kahn, Jack Lang und Laurent Fabius sowie KP-Chefin Marie-George Buffet (PCF).

Nach den weitgehend friedlichen Protesten kam es vereinzelt zu Ausschreitungen. In Paris gingen Dutzende Jugendliche gewaltsam gegen Polizisten vor. Sie setzten ein Auto in Brand und zertrümmerten die Scheibe eines Geschäftes. Die Polizei setzte Tränengas gegen die Randalierer ein. Es gab 167 Festnahmen. Auch in Marseille, Rennes und Lille kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften.

Quelle: Junge Welt vom 20.März

CPE: Kündigungsschutzabbau und Widerstand in Frankreich

Paris: Ein Aktivist der Gewerkschaft SUD liegt im Koma, er wurde von der Polizei niedergeprügelt.


Am Montag, um 17 Uhr 30 wurde bekannt, das Cyril Ferez, ein 39-jähriger Aktivist der Postgewerkschaft SUD-PTT in Paris am vergangenen Samstag von der Polizei derart misshandelt wurde, dass er sich nunmehr im Koma befindet.

Die Polizei habe ihn bei einem Sturmangriff "niedergetrampelt" (1), so SUD-PTT, etwa dreißig Polizisten der Spezialeinheiten CRS hätten ihn "gelyncht", beschreibt es die CNT (2). Der SUD-Aktivist Bernard Allaire berichtet laut Reuters (3): "Er blieb über eine Viertelstunde lang bewusstlos am Boden liegen."

Sandra Demarcq, Mitglied des Bundesvorstands von SUD-PTT und neue Generalsekretärin, berichtet: "Er lag auf der Seite, bewegte sich fast nicht mehr, konnte kaum reden. Zwei Studentinnen haben dann die Rettung und die Feuerwehr benachrichtigt." (4)

Die Gewerkschaft beschuldigt die Polizei, sie habe sich geweigert, die Rettung zu rufen, als Cyril bereits schwer verletzt am Boden lag (4). Auch Demarcq bestätigt, dass die Polizei angesichts des Opfers, das in einem eindeutig schwerverletzten Zustand am Boden lag, nichts unternommen habe (6).

Das illustrieren weitere Zeugen: "Ein Mädchen läuft zur Feuerwehr. 20 Minuten lang dauerte es, bis die Rettung, die sich ganze 200 Meter entfernt befand, herankam und den Verletzten abtransportierte." (5)

Er liegt nun mit einem schweren Schädeltrauma in der Intensivstation und wird künstlich beatmet.

Die Gewerkschaft SUD ist eine der wichtigsten Kräfte der derzeitigen Mobilisierungen. Das Polizeiopfer sei im Grunde ein schwerer Alkoholiker, heißt es unter anderem im reaktionären Privatsender TF1. Das sei wohl die Ursache seines Todes, so lautet eine neue Formel.


(1) Un anti-CPE dans le coma, AP, 20. 3. 2006 (2) La grève, maintenant!, Confédération Nationale du Travail, 19. 3. 2006 (3) Un manifestant ant-CPE dans le coma Libération/Reuters, 20. 3. 2006 (4) Manifestation anti-CPE à Paris : un blessé hospitalisé dans un état grave, AP, (5) Justice nulle par, police partout, indymedia Paris (6) Un syndicaliste dans le coma après es heurts de samedi, TF1, 20. 3. 2006


„Gewerkschaften, Studierende, SchülerInnen und linke Parteien laufen seit Wochen Sturm gegen ein Gesetz zur Aufhebung des Kündigungsschutzes für Berufseinsteiger (CPE). Hier ein Rückblick auf die Aktionen und Entwicklungen - Labournet.


Indymedia.org

Radiointerview zu den Protesten in Frankreich:Stoffwechsel.RadioZ