Das Tüpfelchen auf dem "i"

Der 14. Prozesstag im Magdeburger Verfahren

Wir haben im laufenden Verfahren ja schon viel erlebt, befangene Richter, den Versuch des BKA Aussagen zu erpressen, Zeugenbeeinflussung und schließlich Beugehaft. Aber der heutige Prozesstag hat all dem die Krone aufgesetzt.
Die Reihen im Staatsschutzsaal des OLG Naumburg waren an diesem Morgen mit vielen ProzessbeobachterInnen gefüllt, unter ihnen auch der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele, der angkündigt hatte, sich vom Verfahren ein eigenes Bild machen zu wollen.

Mit einer viertel Stunde Verspätung begann der Verhandlungstag dann auch. Nachdem Richter Braun die Anwesenheit aller Beteiligten festgestellt hatte, teilte er mit, dass der für den heutigen Tag geladene Zeuge (der Großvater von B.) einen Krankenschein eingereicht hätte und dass auf Grund seines Alters wohl davon auszugehen wäre, dass er dem gesamten Verfahren nicht zur Verfügung stünde. Er regte deshalb an, auf ihn als Zeugen zu verzichten. Die Verteidigung betonte zum X-ten mal, dass er für dieses Verfahren nicht notwendig wäre und auch die Staatsanwaltschaft kam plötzlich zu dem Entschluss, auf den Zeugen verzichten zu können. Die Verteidigung fragte daraufhin wann genau der Krankenschein beim Senat eingegangen sei. "Irgendwann letzte Woche.", sagte Braun und beendete damit das Thema. Desweiteren sollten noch ausstehende Urkunden verlesen werden. Da dies aber nach Brauns Einschätzung die Länge des Prozesstages überschritten hätte, wurde beschlossen, sich den Inhalt per Selbstleseverfahren anzueignen. "Damit sind wir mit dem Programm für heute am Ende.", stellte Braun dann nach sage und schreibe fünf Minuten fest. Die Verteidung hackte nach, wie sich denn der Senat vorstelle, weiter mit den Beugehäftlingen zu verfahren. Braun meinte, er wolle sie zum nächsten Prozesstag laden und noch einmal fragen, ob sie Aussagen machen wollen. Sollte dies nicht der Fall sein, werde der Senat keine weiteren Zwangsmaßnahmen gegen sie verhängen. Außerdem kündigte er überraschend an, die Beweisaufnahme am nächsten Prozesstag schließen zu wollen. Damit vertagte er den Prozess auf den 1. November.
In einer anschließenden Pressekonferenz äußerte auch Ströbele Unverständnis über derlei Verfahrenweise. Es sei vollkommen unklar, warum der Senat die beiden Beugehäftlinge nicht für den heutigen Tag geladen habe, wenn er schon wüßte, dass ein Zeuge verhindert wäre oder die Beweisaufnahme nicht gleich geschlossen habe. "Widerstand gegen ein solches Verhalten ist nicht nur rechtmäßig, sondern notwendig", so Ströbele weiter. Außerdem kündigte er an, sich auch zukünftig mit dem Prozess beschäftigen zu wollen und dessen Rechtmäßigkeit zu prüfen. "Die Zeugen sollen gebrochen werden!", stellte Ströbele zum Verhalten gegenüber den Beugehäftlingen abschließend fest.
Für uns ist dieser Prozesstag die Krönung des gesamten Verfahrens. Keiner von uns hätte erwartet, dass der Senat auch bei einer solchen medialen Öffentlichkeit und eines "prominten" Prozessbeobachters, weiterhin in solch undemokratischer und rechtswideriger Weise handelt. Nach Angaben eines Vertedigers wurde in den letzten 4 Monaten insgesamt nur 10 Stunden verhandelt. Und selbst die Möglichkeit, dass die Beugehäftlinge nach dem nächsten Prozesstag entlassen werden, nützt zum mindest Marco rein garnichts mehr, da seine Beugehaft am 26. Oktbober nach insgesamt 6 Monaten endet. Der Senat hätte ihn also so oder so nicht weiter in Haft behalten können.


Solidaritätsaufruf

Vor dem Oberlandesgericht in Naumburg findet derzeit ein Revisionsprozess gegen den Magdeburger Antifaschisten Daniel W. statt. Ihm wird vorgeworfen, gemeinsam mit anderen Mitgliedern des „Autonomen Zusammenschlusses Magdeburg“, Brandanschläge unter anderem auf das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen-Anhalt und ein Einsatzfahrzeug der Bundespolizei verübt zu haben.
Bereits im Jahr 2003 war die Bundesanwaltschaft mit ihrem Konstrukt der „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ nach Paragraf 129a gescheitert. Der 1. Senat des Oberlandesgerichts Naumburg musste Carsten S., den damaligen Mitangeklagten von Daniel W., freisprechen. Ein weiterer Angeklagter, Marco H., wurde in einem Revisionsverfahren zu zweieinhalb Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Beide Antifaschisten sitzen jedoch bereits seit mehreren Monaten in Beugehaft, da sie sich weigern, im jetzigen Prozess gegen Daniel W. auszusagen. Zudem wurden insgesamt 14 Freunde, Freundinnen und Verwandte des Angeklagten mit Beugehaft bedroht, sollten sie ihr Recht auf Aussageverweigerung wahrnehmen.
Schon die Ermittlungen des Bundeskriminalamtes (BKA) hatten mit demokratischer Rechtsstaatlichkeit rein gar nichts zu tun. So erpressten die ermittelnden Beamten die Aussage eines Antifaschisten, indem sie im drohten, ihn in Fesseln seinem schwer herzkranken Großvater vorzuführen und diesem von seiner Homosexualität zu berichten. In dem derzeit stattfindenden Revisionsprozess gegen Daniel W., wirken zudem zwei Richter mit, die auch schon in den früheren Prozessen tätig waren. Dies ist für uns nicht hinnehmbar.
Wir, die Unterzeichnenden, teilen die Auffassung der linken Rechtshilfe- und Solidaritätsorganisation Rote Hilfe, dass in diesem Prozess „selbst Mindeststandards von Rechtsstaatlichkeit nicht eingehalten werden“. Hier sollen antifaschistische Jugendliche kriminalisiert und mit hohen Haftstrafen belegt werde, deren angebliche „terroristische Taten“ sich einzig auf leichte Sachbeschädigung beschränken.
Aufgrund des bisherigen Verlaufs des Revisionsprozesses fordern wir

- die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Mindeststandards
- die Zulassung neutraler Gutachter und Beobachter
- die Unterbindung der staatsanwaltschaftlichen Beeinflussung von Zeugen
- die Abschaffung der Beugehaft

und nicht zuletzt natürlich Freiheit für Marco H., Carsten S. und Daniel W.!

Die Liste der UnterstützerInnen findet ihr hier.