Wir sind das Volk?

Nachdem die erste Montagsdemo gegen Hartz IV und Agenda 2010 in Magdeburg für uns ein sehr erfreuliches Ereignis darstellte (siehe dazu den weiter unten stehenden Bericht), hatte die zweite Auflage einen weniger erfreulichen Aspekt. Zwar war die Beteiligung an der Demo mit 6.000 DemonstrantInnen (die VeranstalterInnen sprachen sogar von 10.000) über alle Erwartungen hoch, unter ihnen waren jedoch auch knapp hundert Neonazis, die sich mit ihren Transparenten und hohlen Sprüchen auch noch dreist an die Spitze des Demonstrationszuges setzten. Die Taktik der wenigen anwesenden Linken, den Naziblock auf Abstand von der Restdemo zu halten, war dagegen wenig erfolgreich, da die Masse der Demonstrierenden - jedenfalls die in unserer Nähe - sich nicht darum scherte, wer da mit ihnen demonstrierte.
So wurden von vielen eher unsere Versuche, auf die Gefährlichkeit der Tolerierung nazistischen Gedankengutes hinzuweisen, als störend betrachtet. Zwar gab es auch Menschen, die sich mit uns solidarisierten, viele aber stimmten lieber in die Slogans der Nazis ein, die eben das skandierten, was die meisten hören wollten ("Wir sind das Volk"; "Hartz weg, Arbeit her" ...).

Auch der Anmelder der Demo, eine Privatperson, war nicht dazu zu bewegen, die Nazis von der Demo entfernen zu lassen. Gegenüber der "Magdeburger Volksstimme" erklärte er, daß er keinen ausgrenzen wolle, sie aber nicht zulassen würden, "dass hier Leute mitmarschieren, die andere ausgrenzen".

So liefen in Magdeburg Tausende hinter ein Schar von Neonazis her, denen es so zumindest ansatzweise gelungen ist, den Protest für sich zu vereinnahmen.
Vermutlich war das vielen der Demonstrierenden gar nicht bewußt, die weiter hinten liefen, hatten oft von dem ganzen Spuk gar nichts mitbekommen. Dennoch darf diese Entwicklung nicht auf die leichte Schulter genommen werden.

Eins ist aber klar - so schnell lassen wir uns nicht vergraulen. Wir kommen wieder!

Flexibel bis das Rückgrat bricht? Nicht mit uns, Herr Hartz!

Flyer, verteilt auf der Demo am 2.8.

Die aktuelle Debatte um die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme sollte uns eigentlich nicht überraschen, denn im Grunde handelt es sich bei Hartz IV, Agenda 2010, oder wie auch immer die Wundermittel gegen das Krebsgeschwür des Kapitalismus heißen mögen, nur um kleine Details einer globalen Entwicklung, die in allen Teilen der Welt unter der gleichen Prämisse steht: Soziale Sicherungssysteme sind für eine auf Gewinnmaximierung angelegte Wirtschaft nichts weiter als unnötiger Ballast. Diesen Ballast gilt es abzustoßen, damit das Traumschiff der Reichen und Schönen seine unendliche Reise in Richtung Überfluss, Dekadenz und persönliche Bereicherung unbeschwert fortsetzen kann. Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass der Mensch der Wirtschaft dient und nicht umgekehrt. Im Namen der Wirtschaft und des Standorts Deutschland werden Renten gekürzt, die Gesundheitsversorgung abgebaut und die Arbeitslosenhilfe faktisch abgeschafft. Und machen wir uns nichts vor: das ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange.
Was nun? Jammern, dass der schöne Sozialstaat langsam aber sicher verschwindet? Resignation? Verzweiflung? NEIN!!! - Diesem Angriff von Seiten des Staates, seiner Regierung und der Wirtschaft sollten wir uns entschlossen und aktiv entgegenstellen, anstatt einfach zuhause dahin zu vegetieren.

Mit Hartz IV ist jede/r angesprochen – ganz egal, ob jung oder alt, ArbeiterIn, Arbeitslose/r oder SozialhilfeempfängerIn – wir alle werden ab dem 01.01.2005 von diesem neuen und mittlerweile schon verzweifelt anmutenden Reformversuch der Bundesregierung betroffen sein. Die Schere zwischen Arm und Reich wird sich weiterhin vergrößern und besonders deutlich wird sich diese Entwicklung in unser aller Alltag zeigen.
Eine nennenswerte Mittelschicht wird es bald nicht mehr geben und die Masse der Leute, die heute ganz unten in der sozialen Hierarchie stehen, wird sich drastisch vergrößern. Mit der Einführung des Arbeitslosengeldes II (ALG II) werden eine halbe Million A-hilfeempfängerInnen zu SozialgeldempfängerInnen werden, eine Million Menschen kann sich auf heftige Kürzungen einstellen. Insgesamt rund drei Millionen Menschen werden das neue ALG II erhalten. Dieses ALG II ist nicht mehr vom letzten Einkommen abhängig, sondern wird als Pauschale ausgezahlt und beträgt ca. 11,50€ am Tag. Diese „großzügigen“ Zuwendungen macht der VW-Personalvorstand Peter Hartz allerdings abhängig von der Bereitschaft der EmpfängerInnen, zukünftig jeden zumutbaren Job anzunehmen. Was unter zumutbar zu verstehen ist, dürfte klar sein; Minijobs, Bezahlung weit unter Tarifvereinbarungen, befristete und kurzzeitige Arbeitsverhältnisse, erbärmliche Arbeitsbedingungen etc. Aber geben wir doch dem Kind einen Namen – was die hohen Herren uns als Flexibilität verkaufen wollen, ist nichts anderes als eine Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien und ein Ausbau des Niedriglohnsektors... gemeinhin auch bekannt als Ausbeutung. Als kleiner Bonus in diesem Tohuwabohu dürfen sich viele Betroffene aber noch auf einen Umzug einstellen und werden sich wohl oder übel von den Erbstücken der Großeltern trennen müssen: Wenn die Wohnung in Augen der BA zu teuer ist, muss in eine billigere umgezogen werden. Des weiteren werden das Einkommen des Partners, das eigene Vermögen, Immobilienbesitz und Altersrückstellungen bei der Auszahlung des ALGII „berücksichtigt“ oder besser gesagt, gibt es nichts oder weniger, wenn diese Vorräte nicht aufgebraucht werden.

Wenn der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, von „sozialen Spannungen angesichts der bevorstehenden Reformen“ faselt, können wir nur lachen, denn die momentanen Reformen lassen die sozialen Spannungen nur offen hervortreten, sind aber keineswegs ihre Ursache. Es handelt sich nur um eine weitere Auseinandersetzung im seit Jahrhunderten währenden Kampf der Reichen gegen die Armen, der UnterdrückerInnen gegen die Unterdrückten, der AusbeuterInnen gegen die Ausgebeuteten. In dieser Auseinandersetzung geht es für viele Menschen um ihre unmittelbare Existenz und in letzter Konsequenz um ihr soziales und physisches Überleben. Auch wenn DU dich jetzt noch nicht betroffen fühlst, so kann es schon sehr bald auch um dein Überleben gehen.
Um aus solchen Auseinandersetzungen erfolgreich hervorzugehen, ist es wichtig, untereinander Kontakt zu suchen, sich zu organisieren und die Probleme und den Frust aller Menschen gemeinsam auf die Strasse zu tragen. Daß wir uns dabei nicht auf die Parteien – egal welcher Couleur – verlassen können, dürfte nach den Erfahrungen der letzten Jahre klar geworden sein. Und Neonazis, die gewöhnlicherweise versuchen, solche Proteste für ihr rassistisches Weltbild zu instrumentalisieren, sollten in unseren Reihen ohnehin keinen Platz finden.
Es gilt, die Augen zu öffnen und die Fäuste zu ballen – nur in einem kraftvollen und bunten Protest aller Bevölkerungsgruppen sehen wir momentan eine Möglichkeit, dieser menschenverachtenden Entwicklung etwas entgegen zu setzen. Hoch die Köpfe und raus die Fäuste, auch wenn wir bis zum Hals im Dreck stecken!

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