Der Sieg von Erfurt

„Emmely“ gewinnt vor Gericht – Bagatellkündigung relativiert


10. Juni 2010 - 10:00 Uhr: Einige Dutzend Leute finden sich vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) in der Thüringer Landeshauptstadt ein. Eine Kundgebung wird abgehalten, bei welcher der Fall Emmely im Mittelpunkt steht. Die Kassiererin Babara E. (auch bekannt als Emmely), die vor über zwei Jahren fristlos bei der Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann gekündigt wurde, kam kurz darauf unter großem Presserummel zu ihrer Verhandlung. Offizielle Begründung ihrer Entlassung war ein falsch eingelöster Pfandbon im Wert von 1,30 €. Der wirkliche Grund für die Kündigung dürfte wohl das gewerkschaftliche Engagement unter anderem beim 2007 durchgeführten Streik im Einzelhandel sein. Über 30 Jahre hatte sie im Unternehmen mit zwischendurch wechselnden Firmennamen gearbeitet. Zudem kam sie noch in den Genuss des Ver.di-Tariflohnes. Nun suchte der Arbeitgeber einen Grund sie los zu werden, wie es im Einzelhandel auf oft perfide Weise üblich ist. In einem Redebeitrag wurde darüber gesprochen, dass sich einige Beschäftigte schon ihre Taschen zu nähen würden, damit nicht „zufällig“ ein Artikel dort auftaucht. Schon kleine „Diebstähle“ wie Buletten oder Maultaschen hatten ausgereicht für eine Entlassung wegen dem gestörten Vertrauensverhältnis.


Doch diesmal sollte es anderes kommen.



11:30 Uhr – Prozessbeginn: Die Verhandlung war überfüllt, sodass nicht für alle Platz war. Solidarische Menschen aus dem ganzen Bundesgebiet kamen, um dem Prozess beizuwohnen. Sie berichteten über ähnliche Willkür der Bosse und über ihre Widerstandsform wie beispielsweise Flash Mobs in Supermärkten. Gegen 16 Uhr kam dann der Urteilsspruch. Kurioserweise bemerkte der vorsitzende Richter, während er das Urteil verkündet, dass die Protokollführerin fehlte. Die Spannung war auf dem Höhepunkt. Und zur großen Überraschung erklärte das Gericht im Gegensatz zu den zwei vorherigen Instanzen die Kündigung für unzulässig, obwohl die Pflichtverletzung bestehen blieb. Das Vertrauen zwischen der Kassiererin gegenüber ihrem Arbeitgeber wäre zwar beeinträchtigt, aber durch ihre jahrzehntelange Arbeit ohne Beanstandung wäre dies nicht restlos zerstört. Eine Abmahnung hätte nach Meinung der Richter ausgereicht. Damit muss Emmely wieder von Kaiser’s beschäftigt werden und sie hat ein Recht auf die Nachzahlung des Lohns. Schadenfroh konnte sich ein Großteil des Publikums an den langen Gesichtern der Rechtsvertreter des Unternehmens ergötzen. Die Anwältin von Kaiser’s unkte anschließend vor laufender Kamera, dass das Urteil Tür und Tor für weitere Diebstähle öffnen würde. Es ist allerdings zu bezweifeln, dass dadurch die meisten Angestellten in solch repressiven Zeiten dieses Risiko eingehen würden. Außerdem ließ das Gericht offen, wie ähnliche Fälle zu beurteilen sein, denn es müsse je nach Einzelfall entschieden werden. So ist es aus unserer Sicht auch übertrieben, wenn die DGB-Landesvorsitzende Renate Licht, davon spricht, dass das Arbeitsrecht in diesem Punkt vom Kopf auf die Füße gestellt wurde. Denn weiterhin können Bagatellen zu Kündigungen führen. Es ist ungewiss, wie ein Gericht bei einem Arbeitnehmer mit kurzer Betriebszugehörigkeit entscheidet. Doch die Rechtsstaatsgläubigkeit einer so systemtragenden Organisation wie dem DGB dürfte niemand mehr verwundern. Bezeichnend war, dass ein Großteil der Unterstützung von einem Solidaritätskomitee kam, welches unabhängig von der zuständigen Gewerkschaft und dem Betriebsrat agierte.
Wir hoffen zumindest, dass das Urteil anderen Kollegen und Kolleginnen etwas die Angst davor nimmt, gewerkschaftlich aktiv zu werden. Die Entscheidung zeigt auch, dass es sich oft lohnt gegen seine Kündigung rechtlich vorzugehen.