Wir sind es nämlich, die all diese „Fahrräder“ gebaut haben ...

Bericht über meine Erlebnisse zum Produktionsstart in Nordhausen

Ich habe mir also gedacht, wenn in einer Thüringer Fabrik so was Seltenes wie eine eigenständige Produktion läuft, dann sollte auch jemand aus der (bis jetzt) noch einzigen Ortsgruppe (offiziell Meiningen) der FAU im selben Bundesland dabei sein. Deswegen bin ich am Sonntag, den 21. Oktober, durch ganz Thüringen nach Norden gefahren. Ungefähr halb vier nachmittags bin ich dann in der Kreisstadt mit 40.000 EinwohnerInnen am Bahnhof angekommen und wusste nicht, wo die Produktionsstätte war. Einmal fragen nach dem weg und 15 Minuten Fußmarsch später, fand ich das Werk recht einfach.

Es war vom ersten oberflächlichen Eindruck noch primitiver als ich es mir vorgestellt hatte. Die BesetzerInnen hatten aus einigen Europaletten und Planen ein „Küchenzelt“ gebaut. Daneben stand noch ein Pavillon mit Sitzgelegenheiten und dem legendärem Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel, dass in den Printmedien oft genug zu sehen war. Drinnen suchte eine Handvoll Mäuse nach Essbarem. Draußen hatte die Belegschaft nach ihren Möglichkeiten kreative Transparente und Plakate aufgehängt. Diese Schlichtheit, Eigenständigkeit und die Herzlichkeit mit der ich von Betriebsratmitglied André Kegel und einigen anwesenden Angestellten empfangen wurde, machten die ganze Sache für mich zusätzlich sympathisch. Wir kamen dann ins Gespräch über die momentane Lage, die FAU, diese und andere Besetzungen und wie es dazu gekommen war. Die vorherigen Besitzer hatten in einem schwer zu durchschauenden Spiel das Unternehmen ausgeschlachtet und vom Markt bereinigen wollen. Einer sagte, dass den ArbeiterInnen, von denen viele über 20 Jahre im Betrieb tätig waren, nicht einmal die Kündigungsfrist vollständig ausgezahlt werden sollte. Das hatte sich die Belegschaft nicht gefallen lassen und es war zur Besetzung oder besser gesagt zur längsten Betriebsversammlung der Welt (über 100 Tage!) gekommen. Als ich anschließend die Produktionshallen erkundete, bewegte mich diese Atmosphäre angesichts dieser historische Stunde. Morgen sollte ja auch erstmals im Nachkriegsdeutschland in einer besetzten Fabrik produziert werden. Nach einem Stadtrundgang (die EinwohnerInnenzahl hatte sich nach der Wende halbiert, trotzdem fahren noch Straßenbahnen) mit den anwesenden Besetzern, GenossInnen von der FAU Hamburg und anderen Gästen, verbrachten wir die Nacht in den Räumen der ehemaligen Geschäftsleitung. – Ein erhabener Abschluss des Tages!

Am nächsten Montagmorgen hieß es kurz nach 6 Uhr aufstehen. Die Belegschaft war schon angekommen und fieberte dem Produktionsbeginn entgegen. Natürlich waren auch TV und Radio zur Stelle (am Abend war ich auch im Thüringen Journal des MRD kurz eingeblendet). Nach kurzer Ansprache des engagierten Vorsitzenden von „Bikes-in-Nordhausen e.V.“ André Kegel (für die Besetzung von der Belegschaft gegründeter Verein) ging es am Montageband gegen 7 Uhr los – ein denkwürdiger Augenblick! Die ArbeiterInnen waren froh, endlich wieder Fahrräder her zustellen und manche gaben nebenbei noch Interviews. Für mich war es im Großen und Ganzen kurzweilig (im Vergleich zum größten Teil meiner täglichen Arbeit). Mit den Werktätigen führte ich ab und zu einen Plausch. Punkt 9:00 Uhr bimmelte es zur Pause. Im Zelt gab es erstmal für die Belegschaft das „Besetzerfrühstück“ – Kaffee und Bockwurst. Im Lauf des Tages schaute ich zu, wie Fahrräder gefertigt werden von der Speiche bis zum Lenker und von der Lackierung, über die Montage bis zum Versand und der Verwaltung. Vor dem Mittag habe ich noch mein leuchtend rotes Strike Bike entgegen genommen - damit werde ich nur zu besonderen Anlässen fahren. Nachdem ich mich verabschiedet hatte, ging es nachmittags wieder Richtung Süden.

Bis Freitag haben die KollegInnen aus Nordhausen noch produziert und es ohne Chef ruhig angehen lassen. Trotz halber Fließbandgeschwindigkeit und vergleichsweise niedrigem Verkaufspreis bekamen sie einen um ca. 2 Euros höheren Stundenlohn. Sie haben gezeigt, dass sich Gegenwehr lohnt und Widerstand zusammen mit grenzenloser Solidarität für Aufmerksamkeit und Anerkennung sorgen kann. Besetzungen und darauf folgende Produktionen in Selbstverwaltung können in Zukunft eine wirksame Waffe werden gegen Abwanderungen und Investoren, denen es um Profit oftmals entgegen menschlicher Bedürfnisse geht. Dieser kurze Versuch kann nur zur Nachahmung empfohlen werden auf das der Kapitalismus Schritt für Schritt zu Boden fällt.
Der Belegschaft ist nur zu wünschen, dass sie vielleicht doch noch irgendwie ihr Werk erhalten am besten in Selbstverwaltung oder auf anderen Wegen ihren Lebensunterhalt verdienen. In gewisser Weise sind sie die heimlichen HeldInnen der ArbeiterInnenklasse und die Avantgarde der hoffentlich bald kommenden proletarischen Revolution.

Eurer Mephisto von der Freien ArbeiterInnen Union Süd-Thüringen (FAUST)