Wuppertal von links

Hier dokumentieren wir unseren Redebeitrag über den Streik der Feldarbeiter*innen in Bornheim, auf der heutigen "Wuppertal-von-links"-Kundgebung, an der unser Syndikat teilgenommen hat.

Redebeitrag der FAU Bergisch Land , auf der “Wuppertal von links“-Kundgebung am 23.5.2020.


Während wir in der letzten Zeit viele Nachrichten hören, die vor Entsolidarisierung gegenüber Risikogruppen strotzen oder von kruden Weltansichten geprägt sind, haben wir uns um so mehr über die Solidarität in der letzten Woche in der kleinen Stadt Bornheim bei Bonn gefreut. Dort sind am Freitag, den 18. Mai 150 Erntehelfer_innen aus Rumänien auf einem Spargelhof in einen wilden Streik getreten. Auslöser dafür war, neben einer untragbaren Unterbringungs- und Verpflegungssituation, dass die Arbeiter_innen ihre Löhne nicht ausgezahlt bekamen. Laut Vertrag waren ihnen 3 Monate Arbeit zugesichert. Sie wurde teils mit Sondererlaubnis extra aus Rumänien für die Ernte eingeflogen. Auf den Lohn aus diesen drei Monaten Arbeitsverhältnis sind die meisten von ihnen angewiesen, um zuhause ihre Familien zu versorgen. Der Spargelhof Ritter ist am Anfang des Jahres insolvent gegangenen. Der Insolvenzverwalter, Rechtsanwalt Andreas Schulte-Beckhausen aus Bonn, wollte die Arbeiter_innen für die geleistete Arbeit nicht vollständig ausbezahlen und zudem eher aus dem Arbeitsverhältnis entlassen. Das ganze mit Aufhebungsverträgen in ausschließlich deutscher Sprache. Also einem Vertrag, der den Arbeiter_innen in einer Sprache vorgelegt wurde, der sie nicht mächtig sind, ohne Zeit zum Übersetzen oder Übersetzer_innen. Vereinbart war ein Lohn von ca. 1700 Euro pro Monat. Hätten die Arbeiter_innen den Aufhebungsvertrag so hingenommen, wären sie mit einem Lohn von 5 bis 170 Euro zurück nach Rumänien gereist. Die Unterbringung und Verpflegung sowie Anreise und Abreise zahlen sie selbst. Auch hier wurde bei den Kosten gelogen und so hat alleine die Anreise teils statt 100 Euro ganze 300 Euro gekostet. Das ist das dreifache wie vereinbart. Verpflegung und miserable Unterbringung da noch nicht mit eingerechnet. Kurzum: Sie hätten minus gemacht und sich zudem durch ihre Arbeitssituation, sprich der Unterbringung in teilweise 5-Bettzimmern in Containern mit nicht ausreichenden Waschgelegenheiten, einem nicht unerheblichen gesundheitlichen Risiko in Corona-Zeiten ausgesetzt. Wie akut dieses Risiko ist, belegen Infektionszahlen aus Spargelbetrieben bei Freiburg und in Baden-Württemberg und vor allem Zahlen aus Schlachtbetrieben, die ebenfalls untragbar untergebrachte Saisonarbeiter_innen beschäftigen, wie im „West Fleisch“ Betrieb in NRW. Um sich gegen diese Zustände zur Wehr zu setzen, haben die Erntehelfer_innen ihre Arbeit niedergelegt. Auch die durch den Betriebsleiter gerufene Polizei konnte daran nichts ändern. Am Montag ging der Streik dann weiter und bekam gewerkschaftliche Unterstützung durch die
Freie Arbeiter_innen Union, kurz FAU. Die Arbeiter_innen und Unterstützer_innen protestierten vor dem Spargelhof. Dabei kam es immer wieder zu Bedrohungssituationen durch die betriebsangehörige Security. Die FAU organisierte Übersetzer_innen für die Verträge und Gespräche. Einige der streikenden Arbeiter_innen traten kurzfristig in die FAU ein und bekamen Crashkurse darin, wie sie am besten Gehaltsverhandlungen führen können. Auch die Übersetzer_innen wurden in diesem Bereich in Windeseile geschult. Durch den Protest, die Unterstützung und die breite Öffentlichkeit, die die Arbeiter_innen und die FAU erreicht haben, gab es erste Teilerfolge. Auch durch die rechtliche Unterstützung eines Anwalts kam es am Montag tatsächlich dann noch zu Lohnauszahlungen. Allerdings waren auch diese großteilig unvollständig. Die A rbeiter_innen wurden in Gruppen geteilt und in diesen dann vollkommen intransparent und unterschiedlich, teils in Wildwest Manier, auf  Parkplätzen zu Lohnauszahlungen geladen.Der Lohn ist bis heute immer noch nicht vollständig und immer noch nicht für alle ausgezahlt.

Weitere Demonstrationen am Dienstag vor der Kanzlei des Insolvenzverwalters und dem rumänischen Konsulat in Bonn sorgten für weitere Aufmerksamkeit. Diese ging so weit, dass am Mittwoch die rumänische Arbeitsministerin Violeta Alexandru, die ohnehin auf Deutschlandbesuch war, sich den Betrieb anschaute. Sie versicherte, wie auch das Konsulat, die Arbeiter_innen zu unterstützen.

So weit, so gut. Ist ja ein Erfolg. Könnte mensch sich da denken. Durch die Selbstorganisation und Konsequenz, und sicher auch dem daraus resultierenden Medienecho ist tatsächlich ein Teilerfolg erzielt worden. Die Arbeiter_innen haben, zumindest teilweise, ihren Lohn erhalten und können auf anderen Höfen weiterarbeiten, unter welchen Umständen, wird sich zeigen. Zudem prüft die FAU Bonn mit Hilfe des Rechtsanwaltes aktuell eine Klage von ungefähr 180 Arbeiter_innen gegen den Betrieb und leitet juristische Schritte ein, um sicherzustellen, dass alle  Arbeiter_innen den Lohn erhalten, der ihnen zusteht. Allerdings werden die strukturellen Umstände, durch die die Arbeiter_innen überhaupt in solch prekäre Situationen gezwungen werden, dadurch nicht beendet. Viele Arbeiter_innen aus Rumänien sind auf die Löhne aus der Spargel und Erdbeerernte angewiesen, und zwar derart, dass sie die Arbeit zu menschenverachtenden Bedingungen verrichten. Da sich keine Arbeiter_innen aus Deutschland finden, die diese Arbeit zu den Bedingungen machen, greifen deutsche Spargel- und Erdbeerbetriebe auf die Arbeiter_innen aus Rumänien zurück und nutzen deren Situation für eine maximale Ausbeutung der Menschen für den eigenen Profit. Durch kurze Arbeitsverhältnisse sind die Betriebe zudem beispielsweise nicht verpflichtet, die Arbeiter_innen in Deutschland krankenversichern zu lassen. Akut in Verbindung mit der Gefahr durch das Corona Virus enstehen lebensbedrohliche Zustände für die Menschen, sodass es in anderen  Unterkünften schon zu Corona-Toten kam. Auch durch mangelnde Übersetzung und Informationsweitergabe und Isolierung in  ontainerdörfern wird versucht, den Arbeiter_innen Organisierungsmöglichkeit zu nehmen, um sie so weit wie möglich ausbeuten zu können.

Umso besser sind Nachrichten wie aus Bornheim, die zeigen, dass das Konzept durchbrochen werden kann. Umso wichtiger ist es nun, die angefangenen Arbeitskämpfe weiter zu führen und die Menschen, nicht nur in Bornheim, weiterhin zu unterstützen. Neben arbeitsrechtlichen Schritten ist es vor allem notwendig, die Missstände der breiten Öffentlichkeit aufzuzeigen. Die Ausbeutung in den Spargel- und Erdbeerbetrieben findet weitgehend verborgen statt, was es einfach macht, diese nicht sehen zu wollen. Denn, den Erdbeeren und dem Spargel im Supermarkt ist nicht anzusehen, unter welchen menschenverachtenden Bedingungen sie geerntet wurden. Diese Isolation der Arbeiter_innen gilt es zu durchbrechen, die Kämpfe öffentlich zu machen und eine offene Solidarisierung herzustellen. Auch müssen wir die Kämpfe verknüpfen und eine gemeinsame Basis und Organisierung finden, anstatt in kapitalistischer Manier unsere Ellbogen auszufahren. In der Corona Krise hilft nur ein solidarischer Umgang untereinander und vor allem mit den Menschen, die besonders durch ihre Auswirkungen betroffen sind. Nach unten zu treten nützt da gar nichts. Lasst uns praktisch aktiv werden und Strukturen in den Betrieben aufbauen, um gemeinsam für unsere Rechte und füreinander einstehen zu können. Bei der drohenden Rezession und der drohenden Wirtschaftskrise ist ein mieser Insolvenzverwalter ein Damoklesschwert, welches in Zukunft über vielen Arbeiter_innen schweben wird. Von unseren Bossen und den  Herrschenden können wir nicht viel erwarten. Die Ereignisse in Bornheim haben gezeigt, dass Widerstand und Solidarität von unten wirksam sind. Die FAU wird in Zukunft auch für euch da sein, wenn der Insolvenzheini eure Löhne einbehält. Seid ihr bis dahin für die FAU und andere da, bei denen das schon der Fall ist. Wir sehen uns in den kommenden Streiks. Bleibt gesund.

Unsere Freund*innen aus dem Autonomen Zentrum haben ein Video unseres Beitrags auf ihren Kanal hochgeladen.