Wir müssen weniger arbeiten!

Die FAU ruft zur Mitwirkung und Teilnahme an der Kampagne Jede Stunde zählt auf. Ab September kämpfen wir um unsere Arbeitszeit, für mehr Freizeit und gegen die geplante Abkehr vom Achtstundentag.

Die FAU ruft zur Mitwirkung und Teilnahme an der Kampagne Jede Stunde zählt auf. Ab September kämpfen wir um unsere Arbeitszeit, für mehr Freizeit und gegen die geplante Abkehr vom Achtstundentag.

Die Obrigkeit will, dass wir mehr arbeiten: “Wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten”, äußerte der Chef der Bundesregierung Friedrich Merz. „Wir müssen mehr arbeiten. Es geht nicht anders“, ventilierte der baden-würtembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen. Bosse stimmten unverzüglich ein, etwa der Chef der Allianz, der forderte, der erste Krankheitstag solle unbezahlt sein. Der in der Presse treffend als “Schraubenmilliardär” bezeichnete Reinhold Würth warf der jungen Generation “fehlende Arbeitsmoral” vor. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sah wiederum besonders bei Rentnern*innen Handlungsbedarf.

Kaum beginnen also die Kennzahlen der kapitalistischen Ökonomie einzubrechen, kaum droht die Krisenhaftigkeit des Systems offenbar zu werden, lässt die Obrigkeit alle vermeintliche Regierungskunst fahren und appelliert in plumpester Weise an die Arbeitskraft der Massen.

Das Lamento fand umgehend Einzug in erklärtes Regierungshandeln: Laut dem Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD, beschlossen im April 2025, soll eine wöchentliche Höchstarbeitszeit den Acht-Stunden-Tag ablösen. Den “Start des Sozialpartnerdialogs zur Flexibilisierung von Arbeitszeiten” haben sich die drei Parteien im Mai in ihr Sofortprogramm geschrieben, es sollte noch vor der Sommerpause von der Bundesregierung beschlossen werden. Zwar wurde diese Marke gerissen, das Thema ist aber längst nicht vom Tisch.

Diese Rückabwicklung des Achtstundentags, also einer über einhundertjährigen Errungenschaft der Arbeiter*innen, wurde anschließend mitnichten als sozialpolitischer Dammbruch, als inakzeptable Grenzüberschreitung gescholten, sondern seitens der DGB-Gewerkschaften bestenfalls zaghaft als “XXL-Arbeitstag” (NGG) betitelt, so als handle es sich um T-Shirts oder Schnitzel.

Darum braucht es Syndikalismus

Die Sozialdemokratie selbst, seinerzeit Urheberin des Achtstundentags, hat dem Koalitionsvertrag in einer Abstimmung unter ihren rund 358.000 Mitgliedern zu fast 85 Prozent zugestimmt. Debatten drangen, so sie stattgefunden haben, nicht nach außen. Damit hat die SPD, die seit 2013 ununterbrochen und seit 1998 nur mit vier Jahren Unterbrechung an der Bundesregierung beteiligt ist, jeglichen Anspruch der Vertretung von Arbeitnehmer*inneninteressen aufgegeben. In ihre Regierungszeit fallen Hartz IV, der größte Niedriglohnsektor Europas, konsequente Lohnzurückhaltung zum Wohle des Kapitals, sozialpolitische Stagnation und als Flexibilisierung getarnter Druck auf Arbeiter*innen.

Dies muss deshalb so deutlich herausgestellt werden, weil sich auch daraus erklärt, warum wir Syndikalist*innen sind: Weil niemals eine Partei unsere Interessen, die Interessen von Arbeiter*innen vertreten wird. Das ist die Erfahrung nicht nur des vergangenen Vierteljahrhunderts der Schröder-Gabriel-Scholz-SPD, das ist die Erfahrung der vergangenen einhundert Jahre.

Darum sind wir überzeugt: Selbst wenn eine andere Partei an die Macht käme, die sich linker als die SPD gibt, könnten wir uns nicht darauf verlassen, dass sie irgendwelche Verbesserungen durchsetzt. Schon in der Organisationsform der Partei liegt die Akzeptanz der momentanen Herrschaftsverhältnisse und auch das Versprechen von Reformen „für uns“ anstatt ein gemeinsames Erkämpfen von Veränderungen ist Teil des Problems. Jedes noch so hehre Wahlversprechen muss früher oder später an der „Realpolitik“ und Kompromissen mit den Kapitalbesitzenden scheitern, ganz zu schweigen davon, dass unser eigentliches Ziel, die Abschaffung von Staat und Kapitalismus, von vorneherein nicht einmal zur „demokratischen Debatte“ steht.

Klassenkampf von oben

Wer letzte Zweifel an der Klassengesellschaft hatte, sollte spätestens jetzt eines Besseren belehrt worden sein. Der Klassenkampf wird geführt: von oben. Er wird massenmedial als “Debatte” getarnt, die das Kapital aber nahezu ausschließlich unter sich führt. Erkennbar ist das daran, was alles nicht gesagt wird:

  • Etwa zu den 1,3 Milliarden Überstunden, die Arbeiter*innen in Deutschland allein in 2023 geleistet haben - die Hälfte davon unbezahlt.
  • Etwa zu den steigenden Pendeldistanzen und -zeiten, die Arbeiter*innen auf ihren Wegen zur und von der Arbeit zurücklegen - die meisten arbeiten schließlich nach wie vor nicht im Home Office.
  • Etwa zu dem Umstand, dass die Volkswirtschaft, als sie nach kapitalistischen Maßstäben noch wuchs, dies auch bei sinkenden Arbeitsstunden tat.

Selbst wenn gute Vorschläge in der Öffentlichkeit Gehör finden, werden sie umgehend durch die Linse des Kapitals gefiltert. Alles muss durch seinen Nutzen für „die Wirtschaft“ gerechtfertigt werden können, die Interessen der Menschen werden mit denen des Staates und der Unternehmen gleichgesetzt.

Sozialer Fortschritt statt Rückbau

Am schwersten wiegt jedoch, dass niemand mehr über sozialen Fortschritt spricht, so dass selbst diese Wortkombination inzwischen regelrecht befremdet. Der Achtstundentag war 1918 echter, spürbarer sozialer Fortschritt für Millionen Arbeiter*innen. Selbst die 5-Tage- bzw. Vierzigstundenwoche (1965) und die 35-Stunden-Woche, für die in den neunziger Jahren gekämpft wurde, knüpften daran noch an.

Jenseits der Vier-Tage-Woche, die aber oftmals eine Umverteilung von vierzig Arbeitsstunden auf eben diese vier Tage ist (also auch ein Wegfall des Achtstundentages) werden derzeit kaum vernehmbare Ideen, geschweige denn Utopien, zur Befreiung von Arbeit formuliert.

Darum setzen wir als Freie Arbeiter*innen-Union klar und deutlich entgegen: Wir müssen weniger arbeiten.

Es ist gut, weniger arbeiten zu müssen. Es eröffnet Möglichkeiten zur Erholung, zur Pflege- und Sorgearbeit, zur Bildung und natürlich zur politischen Organisation. Es ist gesund, macht fröhlich und wirkt belebend. Es bedarf keiner weiteren Begründung, weniger arbeiten zu wollen; vielmehr besteht der Begründungszusammenhang auf Seiten derer, die Mehrarbeit fordern. Das was uns die Kapitalseite in dieser Hinsicht jedoch auftischt, ist unverschämt und rundweg abzulehnen.

Die Kampagne ‘Jede Stunde zählt’

Mit der Kampagne Jede Stunde zählt wird die Freie Arbeiter*innen-Union der Obrigkeit entgegentreten. Ab September führen wir an Infoständen und im Rahmen von Frühverteilungen Gespräche mit Kolleg*innen, Arbeiter*innen über ihre Vorstellungen von Arbeit, Arbeitszeit und Freizeit, organisieren Demos und mobilisieren online wie auf der Straße Widerstand gegen die Pläne von Regierung und Wirtschaftsverbänden.

(Presse)anfragen nehmen die Koordinator*innen der Kampagne ebenso wie Beteiligungswünsche, Ideen oder Anregungen entgegen unter:
jede-stunde-zaehlt@fau.org