Was geht ab bei Gorillas?

Streiks – Prozesse – Kündigungen … Eine Übersicht mit etwas rechtlichem Hintergrund. [Update 23.11.: Betriebsratswahl findet statt
Update 23.11.: Betriebsratswahl wird fortgesetzt. In zweiter Instanz lehnt das Landes-Arbeitsgericht den Abbruch der Wahl ab und folgt damit der Vorinstanz. Gorillas kündigte an, sich in ein Franchise-Unternehmen umzuwandeln: https://www.tagesspiegel.de

(Nicht mehr) Aktueller Unterstützungsaufruf:

To support the fired workers of #gorillas, we're inviting all of you to share job offers you know of via DM. (Hier geht's lang) Let's be ears and eyes to show what caring for each other and solidarity mean but most importantly to help out our fellow workers!

Streiks – Prozesse – Kündigungen …
Eine Übersicht mit etwas rechtlichem Hintergrund.

Am 5. Oktober überraschte Gorillas mit der Kündigung von mehreren Dutzend Beschäftigten an mindestens drei Standorten in Berlin. Die genaue Zahl ist nicht bekannt und könnte noch deutlich höher liegen oder werden. An den Tagen zuvor hatte es zum wiederholten Mal Arbeitsniederlegungen gegeben. Noch kurz zuvor behauptete Gorillas-Chef Kagan Sümer, dass er Streikende nicht feuern würde. Nun hat er sich kurzfristig wohl doch dafür entschieden, die (vermeintlichen) Unruhestifter mit einer Entlassungswelle loszuwerden - selbst einen nach einem Arbeitsunfall krank geschrieben Rider traf es, wie rbb24 berichtet. Welche Folgen diese Eskalation hat und die Kündigungen überhaupt rechtmäßig waren, wird sich erst noch herausstellen.

Protestiert wurde an den drei Standorten Bergmannkiez, Schöneberg und Gesundbrunnen unter anderem gegen unvollständige Lohnzahlungen, kurzfristige Kündigungen, schlechte und gesundheitsgefährdende Ausrüstung wie in diesem Video von Labournet.tv dargestelltlabournet.jpg  (in english). Das Thema Arbeitsschutz spielte zum wiederholten Mal eine Rolle: Das Gorillas Workers Collective (Link zum twitter-Kanal mit aktuellsten Infos), Sprachrohr und Selbstorganisation der Protestierenden, veröffentlichte Schichtpläne, in denen die gesetzlichen Ruhezeiten von 11 Stunden zwischen zwei Schichten nicht eingehalten werden sowie Fotos von defekten Fahrrädern, deren technische Schwachstellen immer wieder für gefährliche Situationen sorgen. Es gab bereits zahlreiche schwere Unfälle.

Bereits im Februar protestierten Arbeiter*innen mit spontanen Ausständen (die dieser lesenswerte Express-Artikel analysiert) dagegen, nach kräftigen Schneefall trotz ungenügender Winterkleidung ausliefern zu sollen. Im Juni streikten Riders gegen die Kündigung ihres Kollegen Santi am Checkpoint Charlie. Weitere Proteste im Juli an mehreren Standorten in und um Kreuzberg forderten u.a. sichere und wetterfeste Ausrüstung. Die Geschäftsleitung reagierte bislang auf die Streiks, dass die Liefertätigkeit an den betroffenen Standorten kurzfristig eingestellt wurde. Nun folgen die Kündigungen.

Ferner wird gerichtlich um die Frage gerungen, ob die Arbeitsverträge der Riders rechtsgültig befristet sind. Dies wäre insbesondere wichtig beim laufenden Versuch einer Betriebsratsgründung.

Nachtrag: Aber auch hier wurden mit den fristlosen Kündigungen zunächst neue Fakten geschaffen: Rechtanwalt Martin Bechert teilt mit:
Wir vertreten 17 gekündigte Mitarbeiter. Davon sind 15 Kandidaten auf einer Vorschlagsliste für die laufende Wahl vom Betriebsrat und einer davon auch noch nachgerücktes Mitglied des Wahlvorstandes! Keiner ist einschlägig abgemahnt.

 

'Wilde' Streiks?

Verbandsfreie Streiks und die Zwangsjacke der deutschen Rechtsprechung im Dienst der Bosse.

Argumentiert wird, dass die Streiks 'wild' und damit illegal wären. Dies wurde jedoch bislang nicht gerichtlich geklärt, jedoch legt die deutsche Rechtsprechung an Streiks in der Tat hohe Hürden an. So muss dazu eine Gewerkschaft aufrufen. Das Gorillas Workers Collective wäre wohl keine Gewerkschaft im Sinne dieser Rechtsprechung, denn eine Gewerkschaft ist als überbetriebliche Arbeitnehmervertretung vorgestellt. Weder die FAU Berlin noch die NGG (Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten im DGB), die den Aktivist*innen mehrfach solidarisch und beratend zur Seite standen, haben zu den Streiks aufgerufen.

Auch das Streikrecht ist Deutschland eng gefasst. In einem Streik müssen demnach tarifvertraglich erreichbare Ziele verfolgt werden. Eine Streik um bessere Löhne oder Arbeitszeiten wäre demnach möglich, einer gegen die Kündigung eines Kollegen nicht.

Und selbst wenn eine Gewerkschaft einen Streik erklärt hätte, wäre damit vielleicht nicht viel gewonnen gewesen. Denn auch dann gibt es noch erhebliche juristische Hürden. So klagen bestreikte Firmen oft gegen Streiks, etwa weil sie unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Schaden anrichteten. Obwohl: Wirtschaftlichen Schaden muss ein Streik ja anrichten können – sonst wäre das wesentliche Druckmittel eines Streiks nicht gegeben! Die Bahn AG ist daran gegen die GdL zuletzt gescheitert. Auch der Krankhauskonzern Vivantes ist damit gescheitert, einen Streik verbieten zu lassen, unter der Bedingung, dass die Notfallversorgung gewährleistet ist.

Auch versuchen Arbeitgeber zuweilen, Streiks damit auszuhebeln, dass sie Gewerkschaften ihre Tariffähigkeit gerichtlich aberkennen lassen wollen – also behaupten, dass die streikende Gewerkschaft gar nicht die Macht habe, einen Tarifvertrag abzuschließen. Das soll – ganz paternalistisch gedacht – angeblich Arbeiter*innen davor schützen, sich Gewerkschaften anzuvertrauen, die für sie mangels Macht schlechte Tarifverträge abzuschließen. Diese Argumentation verfing vor Gericht zuletzt im Falle so genannte christlicher Gewerkschaften, was aber nicht heißt, dass selbst sehr kleine Gewerkschaften grundsätzlich nicht tariffähig sein können.  

Entgegengehalten werden kann dem die Europäische Grundrechtecharta – ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen – , die im Prinzip ein individuelles Grundrecht auf Streik konstituiert. Dieser Rechtsauffassung folgend, dürften einzelne Arbeitnehmer auch ohne Gewerkschaft die Arbeit zum Streik niederlegen.

Ausführlich diskutiert wird die Fragestellung des verbandsfreien Streiks hier (Labournet-Sonderseite). Die Aktion gegen Arbeitsunrecht hat als solidarische Unterstützung des Streiks der Gorillas Workers am 30.08.2021 einen Vortrag mit Rechtsanwalt Benedikt Hopmanns organisiert. Hier findet ihr den vollständigen Mitschnitt auf Youtube. Sein Fazit: Die deutsche Rechtsprechung, gedeckt von der Bundesregierung, verstößt schon seit Jahrzehnten gegen völkerrechtliche Standards, die die Vereinten Nationen und der Europarat gesetzt haben. Demnach müssten sowohl Streiks von so genannten Ad-hoc-Koalitionen, die keine Gewerkschaften sind, als auch Proteststreiks möglich sein, die nicht auf einen Tarifvertrag sondern auf die konkrete Beseitigung eines Missstandes zielen. Auch die 'Tariffähigkeit' einer solchen Ad-hoc-Koalition wäre dafür irrelevant.

Prozesse um Befristungen

oder weswegen auf keinen Fall kein Arbeitsvertrag besteht, aber die Betroffenen dennoch gekniffen sind.

Besondere arbeitsvertragliche Regelungen wie Befristungen und Probezeiten können nur schriftlich vereinbart werden. Ein Arbeitsverhältnis kann aber auch mündlich entstehen – es wäre dann ein Vertrag nach den gesetzlichen 'Normalbedingungen' zu Stande gekommen, nämlich unbefristet. Die Schriftformerfordernis ist traditionell als unterzeichneter Arbeitsvertrag vorgestellt. Eine Email beispielsweise erfüllt diese Erfordernis nicht – auch beispielsweise eine Kündigung funktioniert so nicht.

Nun haben die Riders aber die Verträge nur digital 'unterzeichnet'. Während einige deswegen darauf klagen, dass mangels rechtsgültiger Unterschrift nie eine Befristung bestanden hat, stellten sich bei den arbeitsgerichtlichen Güteverhandlungen die Anwälte des Unternehmens für diesen Fall auf den Standpunkt, dass mangels Unterschrift niemals ein Arbeitsvertrag zustande gekommen sei – das ginge aus einer entsprechenden Klausel in den vorgelegten Verträgen hervor.

Eine wagemutige Interpretation!

Sollte diese Vertragsklausel etwa gültig sein, obwohl dieser Vertrag nie rechtsgültig unterzeichnet wurde? Zumal doch offensichtlich beide Seiten miteinander einen Arbeitsvertrag geschlossen haben wollen, wie sich aus der Tatsache geleisteter Arbeit und dafür erhaltener – wenn auch dürftiger – Bezahlung eindeutig hervorgeht! Und dann muss es doch unbefristet sein, wenn der Vertrag nicht im Sinne der Schriftformerfordernis unterzeichnet wurde, oder befristet sein, wenn die digitale Unterschrift doch dafür als ausreichend anerkannt würde. Aber bestehen sollte ein Vertrag in jedem Fall!

Doch in arbeitsgerichtlichen Güteverhandlungen wird kein Urteil gefällt. Es wird nach einer gütigen Einigung gesucht. Die desinformierte Vorstellung der Anwält*innen von Gorillas (war es vielleicht eine geplante Schmierenkomödie?) ließ die Arbeitsrichter jedoch schnell erkennen, dass hier von Seiten Gorillas ganz sicher keine gütliche Einigung erzielt werden sollte.

Das ist jedoch der springende Punkt!

Damit hat Gorillas Zeit geschunden, denn bis ein rechtskräftiges Urteil gefällt würde (etwa im Februar), dürften viele Befristungen schon ausgelaufen sein. Damit wäre diejenigen zunächst wirksam ausgebremst, die mit langem Atem einen Betriebsrat gründen wollen aber vermutlich dann schlichtweg nicht weiter beschäftigt würden – Rechtmäßigkeit der Befristung hin oder her. Denn der besondere Kündigungsschutz gilt zwar für sie prinzipiell, hebelt aber keine Befristung aus. Aktuelles im Netz unter dem Hashtag #GorillasUNLIMITED

Update: Am 15.10. hat Gorillas gegenüber dem Arbeitsgericht Berlin für zwei Rider, die gegen ihre Befristung klagten und für den Betriebsrat kandidieren, die Entfristung erklärt. (Mitteilung von RA Martin Bechert) - Dies muss freilich nicht heißen, dass sie die Rechtsunwirksamkeit der Befristungen generell anerkennen.

Es geht bei Gorillas also bei weitem nicht nur um bessere Bezahlung und sichere Arbeitsbedingungen, sondern auch und nicht zuletzt um die restriktive deutsche Rechtsprechung im Gewerkschafts- und Streikrecht.

Gründe gibt es also genug, weiter zu kämpfen. Gründe genug, noch öfter auf der Straße zu sein – sei es bei Streiks, Protesten oder auch zur Prozessbegleitung. Und Gründe genug, um den Solidaritätsfonds des Gorillas Workers Collective aufzufüllen. Denn Arbeitskampf kostet Geld!

FAU-Webredaktion/faums6