Solidarisch bleiben – FAU sammelt Spenden für Bildungsstreik in Polen

Seit dem 8. April 2019 streikten in Polen bislang 68% der Lehrer*innen und Erzieher*innen in Schulen und Kindergärten. Das Ausmaß des Streiks ist mit dem bislang größten Bildungsstreik 1993 zu vergleichen, bei dem die Lohnforderungen zwar nicht durchgesetzt werden konnten, der aber eine Reihe von Arbeiter*innen-Protesten in anderen Branchen des öffentlichen Dienstes (u.a. im Gesundheitswesen) auslöste. Die Regierung hat bislang ihre starre Position beibehalten und obwohl die Sympathie der Öffentlichkeit auf Seite der Streikenden bleibt, wurde der Streik am 27.04.2019 vom Vorsitzenden der Lehrer*innen-Gewerkschaft Sławomir Broniarz überraschenderweise ausgesetzt. Hat sich die Befürchtung, dass der diesjährige Streik genauso endet wie der längste Bildungsstreik in Polen 1993, bereits bewahrheitet?

Seit dem 8. April 2019 streikten in Polen 68% der Lehrer*innen und Erzieher*innen in Schulen und Kindergärten. Das Ausmaß des Streiks ist mit dem bislang größten Bildungsstreik 1993 zu vergleichen, bei dem die Lohnforderungen zwar nicht durchgesetzt werden konnten, der aber eine Reihe von Arbeiter*innen-Protesten in anderen Branchen des öffentlichen Dienstes (u.a. im Gesundheitswesen) auslöste. Die Regierung hat bislang ihre starre Position beibehalten und obwohl die Sympathie der Öffentlichkeit auf Seite der Streikenden bleibt, wurde der Streik am 27.04.2019 vom Vorsitzenden der Lehrer*innen-Gewerkschaft Sławomir Broniarz überraschenderweise ausgesetzt. Hat sich die Befürchtung, dass der diesjährige Streik genauso endet wie der längste Bildungsstreik in Polen 1993, bereits bewahrheitet?

Preludium

Einerseits fordern die streikenden Lehrer*innen Lohnerhöhungen, da das Grundgehalt deutlich unter dem allgemeinen landesweiten Durchschnittslohn liegt. Andererseits richtet sich der Protest gegen die 2015 durchgeführten Bildungsreformen, bei denen durch die Abschaffung des Gymnasiums 6.600 Lehrer*innen (ca. 1%) ihren Job verloren. Diese Reform hatte aber noch weitere negative Folgen. (Ausführliche Hintergründe zu den Streiks auf direkteaktion.org).

Der Lohnkonflikt hätte sich ohne die Reform zur Abschaffung des Gymnasiums und die Änderungen der Lehrercharta (die einem Branchentarifvertrag entspricht) aus dem Jahr 2017 nicht so zugespitzt. Auslöser für den Lehrer*innen-Streik sind die gescheiterten Verhandlungen, die zwei Gewerkschaften, nämlich ZNP (Związek Nauczycielstwa Polskiego, Lehrer*innen-Gewerkschaft) und FZZ (Forum Związków Zawodowych, der polnische Gewerkschaftsbund) seit Ende März mit der Regierung führten. An den Verhandlungen hatte sich auch die Bildungssektion der Solidarność-Gewerkschaft beteiligt, die am 7. April ein von der Regierung vorgelegtes Abkommen unterschrieb.

Streikdynamik

Die beiden Gewerkschaften ZNP und FZZ, als auch das beteiligte Personal der Schulen und Kindergärten, zeigte sich entschlossen den Streik bis zur Erreichung der Ziele fortzusetzen. Umfragen belegten die große gesellschaftliche Unterstützung für die Streikenden. Es wurden u.a. viele Solidaritätsaktionen, Straßenproteste und Spenden-Aktionen organisiert. Ihre Unterstützung erklärten auch Gewerkschaften aus anderen Branchen. Infolgedessen schlossen sich vielerorts auch lokale Strukturen der „Solidarność“ dem Streik an. Manche „Solidarność“-Mitglieder wechselten sogar ihre Mitgliedsausweise und traten einer der streikenden Gewerkschaften bei.

Nicht nur die Öffentlichkeit, sondern vor allem die streikenden Lehrer*innen überraschte die Information über die Streikaussetzung und deren Begründung. Broniarz, der unter einem starken Druck der rechten polnischen Regierung und ihr nahestehender Medien steht, verkündete, man wolle die Abiturprüfungen nicht gefährden da andernfalls "Chaos" drohe. Die Reaktion der Streikenden war unterschiedlich. Von Überraschung, über Wut, bis zur Erleichterung: Die Lehrer*innen stellen sich die Frage, wie geht es weiter? "Sollen wir trotzdem weiter streiken? Wann wenn nicht jetzt – gerade vor den Abiturprüfungen – ist die beste Möglichkeit um die Forderungen umzusetzen? Oder doch bis zum September warten? Aber warum sollten wir bis zum Herbst warten? Oder sollen wir während der kommenden Abiturprüfungen im Mai doch in einigen Schulen protestieren?" Noch ist unklar, wie es weitergeht.

Spenden-Aktion

Auch die streikenden Mitglieder der polnischen Schwestergewerkschaft der FAU, der Arbeiter*innen-Initiative (IP), stellen sich diese Fragen. Die IP ging davon aus, dass der Streik länger dauern wird und hat – um die Kontinuität des Protests zu gewährleisten – eine Spenden-Aktion für die streikenden Lehrer*innen gestartet. Aus dem Streikfond werden ihre streikenden Mitglieder finanziell unterstützt. Während des Streiks beziehen die Lehrer*innen kein Gehalt, so dass jede noch so kleine finanzielle Unterstützung von großer Bedeutung ist. Das Geld für die Streikenden wird von der IP über folgende Crowdfunding-Seite gesammelt: https://zrzutka.pl/en/uccyrn. Die Geschäftskomission der FAU hat unterdessen ihre Syndikate zu Spenden aufgerufen um ihre praktische Solidarität mit den Lehrer*innen zu zeigen.

Nach Aussagen der Internationalen Sekretariats der IP wird trotz der Aussetzung des Streiks die Spende-Aktion weitergeführt. Die Bilanz wird später veröffentlicht, so dass es nachvollziehbar wird wie viel und wofür Geld ausgegeben wird bzw. wurde. Die gesammelten Spenden werden nicht nur aktuell für die Auszahlung der Löhne der Streikenden benutzt, sondern auch für den Ausbau des Streikfonds, um die Fortführung des Streiks im Herbst und eventuell um (lokale) Proteste im Mai zu ermöglichen. Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen in welche Richtung sich die Situation entwickelt. Über die Stimmung unter den Streikenden nach der Streik-Aussetzung und weitere Streikpläne, als auch über die Verwendung der Spenden informiert in einer persönlichen Einschätzung das IP-Mitglied Iwona aus Kujawien-Pommern. Sie bedankt sich gleichzeitig für die Solidarität und Unterstützung.

Wie geht’s weiter?

Die Entscheidung, den Streik auszusetzen, überraschte die protestierenden Lehrer*innen. Sie weckte starke und vielfältige Emotionen. Viele von uns sind darüber empört. Es ist schwierig, eine solche Entscheidung in einer Situation zu akzeptieren, in der die Regierung die Gehaltsforderung nicht umgesetzt hat. Trotz dieser kontroversen Entscheidung sind die Lehrer*innen entschlossen und werden höchstwahrscheinlich, wenn es nötig ist, im September wieder protestieren. Es scheint, dass dies die einzige Chance für eine bessere Bildung in Polen und angemessene Gehälter für die Lehrer*innen ist. Gleichzeitig gibt es immer mehr Aufrufe, die Form des Protestes zu radikalisieren und beispielsweise einen Streik mit Betriebsbesetzung zu beginnen. Man muss sich nur darauf vorbereiten – sowohl mental, als auch finanziell.

Man sollte jedoch auch eine andere Sichtweise beachten – zu den Streikenden gehören auch Lehrer*innen, die nach der Ankündigung der Aussetzung des Streiks Erleichterung verspürten und anerkannten, dass dies im Moment die beste Lösung ist. Dank der Aussetzung des Streiks konnte die Gefahr gestoppt werden, das Kind mit dem Bade aus zu schütten. Sie betonen die Bedeutung des Anstoßes einer breiten Diskussion über die Probleme der Bildung und der Lehrer*innen in Polen.

Die Mitglieder der Arbeiter*innen-Initiative (IP) sind dankbar für die finanzielle Unterstützung. Es ist die einzige Gewerkschaft, die in dieser Phase des Protestes die streikenden Lehrer*innen unterstützt hat. Zu Beginn des Monats nach Erhalt der Lohnzettels, werden wir eine genaue Abrechnung vornehmen und den Lohn-Verlust schätzen. Wenn möglich, werden wir mehr Unterstützungsleistungen beantragen.

Grüße und nochmals vielen Dank für Euer Engagement. Nachdem die Entscheidung zur Aussetzung des Streiks angekündigt wurde, kehrten wir zur Arbeit zurück. Wir möchten glauben, dass man manchmal den Kampf verlieren muss, um den Krieg zu gewinnen.“

Die FAU wird die weitergehenden Streikvorbereitungen der IP unterstützen, unabhängig davon wann dieser fortgesetzt wird. Solidarität ist unsere Waffe!