Griechenland – Selbstverwaltetes Staatsfernsehen

Zehntausende demonstrieren gegen die Schließung der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt ERT

Nachdem die griechische Regierung am Dienstag, den 11. Juni am Nachmittag ohne Vorwarnung das Aus für alle staatlichen Fernseh- und Radiosender verkündet hatte, übernahmen die Angestellten der „Griechischen Radio- und Fernsehanstalt“ (Ellinikí Radiofonía Tileórasi, ERT) die Programmgestaltung in Eigenregie. Im Laufe des Abends sammelten sich vor dem Gebäude im Athener Stadtteil Agía Paraskeví – und überall wo Zweigstellen der ERT existieren – Tausende Menschen, um gegen die Schließung der einzigen konzernunabhängigen Medienanstalt zu protestieren.
Auch die nach und nach erfolgte Abschaltung der Frequenzen im ganzen Land und kurz darauf die Sperrung des Internetzugangs konnte die Fortsetzung des Programms nicht verhindern. Private Radiostationen, Internetportale und der zur KKE gehörende Fernsehkanal 902 sprangen solidarisch in die Bresche und übernahmen die Ausstrahlung des Programms.

Die BesetzerInnen wurden indessen sowohl von der Geschäftsleitung als auch von der Polizei bedroht. Bereits Dienstagabend zogen MAT-Sondereinsatztruppen vor dem Gebäude auf, und auch am Mittwoch wurde die bedrohliche Polizeipräsenz aufrechterhalten. Die sicher erwogene Räumung des Gebäudes wurde wohl nur durch den stetigen Zustrom solidarischer Menschen verhindert, die auch Mittwochfrüh das Gelände schützend umschlossen.
„Sie werden mit dem Putsch nicht durchkommen“, war immer wieder zu hören. Im Vorhof des ERT-Gebäudes zündeten Demonstranten eine Flagge der EU an, Tausende skandierten: „Die ERT gehört dem ganzen Volk, uns bekommt ihr nicht weg, wir bleiben hier.“ Zur gleichen Zeit traten die MedienarbeiterInnen überall im Land geschlossen in den Streik. Seit Mittwochmorgen, den 12. Juni sendeten auch private Fernsehsender keine Informationen mehr und die KollegInnen bei den Printmedien haben sich dem als Dauerstreik geplanten Protest im Laufe des Tages angeschlossen. Der für den 13. Juni von den Dachgewerkschaftsverbänden GSEE (private Wirtschaft) und ADEDY (öffentlicher Dienst) ausgerufene Generalstreik wurde allerdings nur zum Teil befolgt. Weder die Metro, noch Supermärkte oder Banken wurden bestreikt. An der Athener Streikkundgebung, die nicht wie üblich im Zentrum, sondern rund um das besetzte ERT-Gebäude stattfand, nahmen mehrere Zehntausend Menschen teil. Am 15. Juni erschienen die Wochenendausgaben der Tageszeitungen mit verringerter Seitenzahl und unter Polizeischutz von StreikbrecherInnen erstellt und gedruckt, da sich die Medienschaffenden nach wie vor im Streik befanden.

Die Geschäftsführung versuchte unterdessen die widerständigen JournalistInnen und TechnikerInnen mit Drohungen zum Verlassen des Gebäudes zu zwingen. BesetzerInnen erhielten keine Abfindung und würden bei der für August geplanten Wiedereröffnung der ERT nicht berücksichtigt. Die Spaltungsversuche schlugen aber fehl.
„Es handelt sich um einen illegalen putschartigen Akt, der sich direkt gegen die Angestellten der ERT und die gesamte Bevölkerung richtet, welche die öffentliche Rundfunk- und Fernsehanstalt bezahlt und ein Recht auf objektive Berichterstattung hat“, erklärte Oppositionsführer Aléxis Zípras.
Aus dem In- und Ausland trafen zahlreiche Solidaritätsbotschaften ein, die die Forderung nach sofortiger Rücknahme der Schließung der einzigen unabhängigen Medienanstalt des Landes unterstützen. Auch die Europäische Rundfunkunion (European Broadcasting Union, EBU) zeigte sich entsetzt und forderte den konservativen Regierungschef Antónis Samarás auf, die Entscheidung unverzüglich zu widerrufen. „Von demokratisch legitimierten Entscheidungen kann in Griechenland offenbar keine Rede mehr sein.“ Die EBU ist ein Zusammenschluss von derzeit 74 Rundfunkanstalten in 56 Staaten Europas, Nordafrikas und Vorderasiens mit Sitz in Genf. Inzwischen kann das selbstverwaltete Programm der ERT in ganz Griechenland über den Satellitenkanal der EBU empfangen werden.

Samarás´ Fehlkalkulation

Die staatliche Hörfunk- und Fernsehanstalt ERT besteht aus fünf TV-Kanälen, sechs landesweiten und neunzehn regionalen Radiosendern. Sie wird über eine Abgabe von 4,24 Euro pro Monat finanziert, die pro Haushalt mit der Stromrechnung beglichen wird. Insgesamt 290 Millionen Euro wären das für 2013. Die Ausgaben für die ERT sollen sich dieses Jahr auf gerade mal 200 Millionen belaufen. Also würde die Anstalt einen Gewinn von 90 Millionen schreiben. Das Argument der Regierung, die ERT müsse schließen, weil sie zu teuer sei, stimmt also einfach nicht. Trotzdem bezeichnete Regierungssprecher Símos Kedíkoglou die ERT als einen „Hort der Intransparenz und Verschwendung“. Die Neueröffnung im August werde mit ca. 1200 der heutigen ca. 2700 Angestellten erfolgen. Wahrscheinlich ist, dass sich die Regierung mit der Schließung und der für August angekündigten Wiedereröffnung die absolute Kontrolle über die Inhalte der Programme sichern will.
Beide kleine Koalitionspartner der Nea Dimokratía, die sozialdemokratischen Parteien Pasok und Dimar, sprachen sich gegen die Schließung aus. Die Vorsitzenden, Evángelos Venizélos und Fótis Kouvélis betonten, vor der Entscheidung von Samarás nicht konsultiert worden zu sein. Der von Beobachtern für möglich gehaltene Bruch der Koalition wegen der autoritären Vorgehensweise von Samarás ist jedoch höchst unwahrscheinlich. Bisher haben Pasok und Dimar noch immer klein beigegeben. Darüber hinaus würden sie bei einem Scheitern der Regierung und den dann nötigen Neuwahlen möglicherweise an der Drei-Prozent-Hürde scheitern. Von den Parteien begrüßten nur die Faschisten von Chrysí Avgí die Schließung - und boten sich damit als zukünftige Koalitionspartner für die Nea Dimokratia an. Sogar die konservative Tageszeitung Kathimeriní kommentierte, dass die Entscheidung von Samarás an die Zeiten der Diktatur in Griechenland erinnere. Sie vermutet, dass er den Sender zu einem Zeitpunkt schließen wollte, wo die Großdemonstrationen merklich nachgelassen haben. Doch Samarás hat sich wohl verrechnet. Offensichtlich glaubte er mit seiner Basta-Maßnahme die Bevölkerung beeindrucken zu können und der Troika zu beweisen, dass er zu weiteren harten Einschnitten und Entlassungen in der Lage ist. Er rechnete nicht mit derart breitem und entschlossenem Widerstand. All die Menschen, die jetzt die öffentlichen Sender verteidigen, haben die ERT zuvor oftmals als gestrig und irrelevant beschimpft, ihr wahlweise Staatspropaganda oder Verdummung vorgeworfen und sich gerne und lautstark über die vier Euro Fernseh- und Rundfunkbeitrag im Monat geärgert. Dass die Anstalt gerade durch ihre Schließung derart beliebt wird, dass ganz Griechenland plötzlich nicht mehr ohne die ERT leben möchte, weil plötzlich aufscheint was eine selbstverwaltete ERT zu leisten in der Lage wäre, damit hat Samarás nicht gerechnet! Und dass die Schließung des Senders gar zu einem Generalstreik führt, dass Arbeiter der selbstverwalteten Fabrik Vio.Me. aus Thessaloníki, und die sich gegen den umweltzerstörenden Goldabbau wehrende Bevölkerung Chalkidikís live in die Wohnzimmer Griechenlands übertragen werden, dass die anarchistischen „Aufständischen Radiofrequenzen“ offen aus dem besetzten ERT-Gebäude senden und sich ERT-MitarbeiterInnen öffentlich für die Solidarität von indymedia Athen bedanken - auch damit hat er unter Garantie nicht gerechnet!
Bleibt zu hoffen, dass sich die nun betroffenen JournalistInnen in kommenden gesellschaftlichen Kämpfen daran erinnern, wer sie in ihrem Kampf um den Erhalt von ERT unterstützte.

Ralf Dreis