Bangladesh: Mehr als 100 Arbeiterinnen bei C und A-Zulieferfirma verbrannt

Erneute Brandkatastrophe in Textilfabrik

Bei einer der bislang schlimmsten Brandkatastrophen in der Textilindustrie Bangladeshs sind in der Nacht vom 24. auf den 25. November 2012 mehr als 100 Arbeiterinnen durch ein Feuer und seine Folgen getötet worden. Mehrere hundert weitere wurden verletzt. Nach Angaben der Feuerwehr gab es keine zugänglichen Fluchtwege, über die sich die Arbeiterinnen aus den oberen Stockwerken der Fabrik hätten retten können. Überlebende berichteten, dass die Gittertüren zwischen den Stockwerken teilweise verschlossen waren. Wie schon viel zu viele vor ihnen, waren auch diese Textil-Arbeiterinnen Opfer eines brutalen Textil-Weltmarktes. In der Fabrik wurden nach Angaben von Zeitungen aus Bangladesh hauptsächlich Textilien für den niederländischen Multi C und A und für Wal-Mart hergestellt.

Die Katastrophe ereignete sich in der Fabrik der Tazreeen Fashions Ltd, die zum Tuba-Konzern gehört. Das Werk befindet sich in einem Industriegebiet des Ashulia-Distrikts, rund 30 km nördlich der Hauptstadt Dhaka. Das Feuer brach gegen 18:45 am Samstag Abend aus noch nicht bekannten Gründen aus. Vom Erdgeschoss fraß es sich durch das neunstöckige Gebäude nach oben. Überlebende berichteten der Presse, dass sie einen Feueralarm gehört hätten und das Gebäude verlassen wollten. Sie seien aber vom Management aufgefordert worden, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren, da es kein Feuer gäbe sondern nur einen Fehlalarm.

Das entpuppte sich leider schnell als Lüge. Als das Feuer sich im Gebäude ausbreitete, gingen stapelweise Fertigprodukte und Garnrollen in Flammen auf, die man in den Korridoren gelagert hatte. Im Gebäude befanden sich rund 1.800 ArbeiterInnen, die versuchten, irgendwie zu entkommen. Es gab aber nur drei Treppenhäuser und nach Angaben der Feuerwehr keine Notausgänge. Beschäftigte gaben der Presse gegenüber außerdem an, dass die Gitter, mit denen die einzelnen Stockwerke voneinander getrennt wurden, teilweise verschlossen waren, so dass eine Flucht durch zwei der drei Treppenhäuser überhaupt nicht möglich war. Das bestätigte auch die Feuerwehr, die sich sich teilweise erst durch Metallgitter schneiden musste, um die oberen Stockwerke zu erreichen.

Ein Arbeiter, Zakir Hossain, berichtete, dass es Aufforderungen von Seiten des Managements gab, das Gebäude nicht zu verlassen. „Die Angestellten forderten uns auf zu bleiben, wo wir sind und keine Panik zu verursachen. Wir hörten nicht auf sie und begannen, uns einen Fluchtweg zu suchen.“ Viele aber, so Zakir, saßen fest. Einige Leute konnten fliehen, indem sie an den Stangen eines Bambusgerüstes herunterkletterten, in welches das Gebäude eingerüstet war.“

Kamrun Nahar, eine Näherin, die im fünften Stock des Gebäudes arbeitete, gab gegenüber einer Zeitung aus, dass sie und ihre Kolleginnen versucht hätten, das Erdgeschoss zu erreichen, dass sie aber im Treppenhaus vor dem verschlossenen Gitter zum zweiten Stock gestanden hätten. Der Aufseher habe sie aufgefordert, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. „Ich wartete hilflos zwei Minuten und rannte dann zum anderen Treppenhaus. Ungefähr 50 andere Frauen und Männer folgten mir und wir erreichten trotz Hitze und Rauch den Ausgang im Erdgeschoss, an dem alle Treppenhäuser zusammentreffen“. Dieser Ausgang entpuppte sich wenig später für viele aber als tödliche Falle, denn er führte ins Erdgeschoss, wo das Feuer im Lager ausgebrochen war und von wo aus es sich nach oben durch das Gebäude fraß.

Vielen ArbeiterInnen gelang die Flucht durch das Nachbargebäude, indem sie die Eisengitter vor den Fenster aufbrachen. Der Besitzer des Nachbargebäudes hatte nach Presseangaben eine Behelfsbrücke errichtet, die beide Gebäude verband und über die mehr als 400 ArbeiterInnen ihr Leben retten konnten.

Andere Beschäftigte sahen keine andere Chance als den Sprung aus einem der Fenster, um Hitze, Rauch und Flammen zu entkommen. Viele kamen dabei ums Leben. Einige schafften es, sich einen Weg durch das brennende Gebäude zu bahnen, bis sie von Feuerwehrleuten gerettet wurden. Manche versuchten, sich mit Seilen, die sie aus Garn hergestellt hatten, zu retten. Der Rest war eingeschlossen durch die versperrten Ausgänge und das sich ausbreitende Feuer.

Die Feuerwehr benötigte mehr als dreizehn Stunden, um den Brand schließlich unter Kontrolle zu bekommen. Sie hatte große Mühe, mit ihren Fahrzeugen überhaupt an das Gebäude heranzukommen und musste dann feststellen, dass es dort keinerlei Zugang zu Löschwaser gab. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Berichtes wurden von ihr bislang 124 Leichen geborgen und mehr als 200 Arbeiterinnen in umliegende Krankenhäuser gebracht. Dutzende von Leichen fanden die Feuerwehrleute in den oberen Stockwerken, viele so entstellt, dass sie nicht mehr identifiziert werden konnten.

Der Besitzer der Fabrik, Delwar Hossain, dem auch sechs weitere Textilfabriken in Bangladesh gehören, bestritt gegenüber der Presseagentur AFP, dass es irgendwelche Sicherheitsmängel gegeben haben könne. Stattdessen sprach er lieber über riesigen Verlust für seine Belegschaft und seine Fabrik, die das Feuer verursacht habe.

Die Behauptung, es habe keine Sicherheitsmängel gegeben, ja, die Sicherheitsstandards würden sich „an den Vorgaben der EU orientieren“, scheint allerdings an den Haaren herbeigezogen zu sein. Nach Angaben einer lokalen Zeitung, hatte im Mai 2011 ein Inspektor von Wal-Mart, einem der größten Kunden, die Fabrik in Bezug auf die Arbeitsbedingungen als „hochriskant“ bewertet. Zu Konsequenzen hat das offensichtlich weder in der Fabrik noch bei Wal-Mart geführt.

Als Teil der Aufrechterhaltung oder Verbesserung ihres Marken-Images sind in den letzten Jahren viele Konzerne dazu übergegangen, InspektorInnen zu beschäftigen, welche die Arbeitsbedingungen bei den Zulieferern prüfen sollen. Alle Seiten wissen dabei häufig genug, wie dieses Spiel gespielt wird. Lediglich eine kleine Minderheit der Produzenten erfüllt tatsächlich gewisse Standards. Die große Mehrheit gibt sich Mühe, eine gute Show auf die Beine zu stellen und Besserung zu geloben. Sie wissen dabei genau, dass letztlich ein guter Preis wichtiger für ihre Kunden ist, als alles andere und dass die internationalen Marken es nicht zulassen werden, dass die Inspektionen, zu denen sie durch die öffentliche Meinung gezwungen sind, allzusehr in die Realitäten verlässlicher Lieferketten eingreifen. Zumal die Inspektionen häufig auch lediglich anhand von Dokumenten, ohne tatsächliche Begehung, stattfinden und Papier ist bekannter Maßen mehr als geduldig. Auch bei den schlecht entlohnten staatlichen Inspektoren wurden mehr als einmal Fälle bekannt, in denen diese ihre Berichte - nach Schmiergeldzahlungen - „freundlicher“ gestalteten.

Wir mussten in der Vergangenheit mehrfach über tödliche Fabrikbrände in Bangladesh berichten, über die wir u.a. von der TextilarbeiterInnen-Gewerkschaft NGWF informiert worden sind. Ganz in der Nähe der aktuellen Katastrophe waren erst im Dezember 2010 bei einem Brand in einer anderen Textilfabrik 25 Arbeiterinnen ums Leben gekommen. Viele ArbeiterInnen mussten in der Vergangenheit u.a. deshalb sterben, weil die Fluchtwege und Tore verriegelt waren, um die Belegschaft am Verlassen ihrer Arbeitsplätze zu hindern.

In der Vergangenheit war die Politik in Bangladesh nie darum verlegen, die Opfer von Fabrikbränden auf völlig schamlose Weise für sich zu instrumentalisieren. Genau das passiert im Moment wieder. So erging sich Ministerpräsidentin Sheikh Hasina im Parlament in Spekulationen, welche finsteren internationalen und einheimischen Mächte wohl ein Interesse daran haben könnten, Fabriken in Brand zu setzen, um „Anarchie zu erzeugen“. Zwei Tage nach dem Brand fiel ihr bei der Eröffnung einer Textilmesse nichts weiter ein, als ihre Verschwörungstheorien zu wiederholen und die Unternehmer zu bitten „dieser Sache“ (den Fabrikbränden) „doch ein klein bisschen mehr Aufmerksamkeit zu widmen“. Auch der Chef des Textilausbeuter-Verbandes BGMEA, Shafiul Islam Mohiuddin, blies ins gleiche Horn. „Internationale oder lokale Konspiration (...) kann nicht ausgeschlossen werden“, erklärte er gegenüber der Presse. Politik und Wirtschaft sind derzeit völlig offensichtlich nur von einer Sorge getragen: Wie sie Schaden vom Image Bangladeshs abwenden können und wie schnellstmöglich der Normalzustand der möglichst laut- und reibungslosen Ausbeutung wieder herzustellen ist. Ein Normalzustand, bei dem die Familien der Opfer in der Regel mit USD 1.250,- für ein Leben entschädigt werden.

Für die ArbeiterInnen spielt es indes kaum eine Rolle, wie dieser und andere Brände entstanden sein könnten. Für sie zählt die Frage, warum sie immer wieder zu Opfern der Komplizenschaft von Bossen, Behörden und Politik werden müssen, die sich um ihr Leben wenig mehr als einen feuchten Kehrricht scheren, wenn nur der Profit stimmt. Und zu Opfern eines Wirtschaftssystems, bei dessen Kostenkalkulationen tote ArbeiterInnen quasi eingepreist sind.