Dokumentiert: Rede der FAU auf der M31 Demo

Redebeitrag der FAU am 31.03.2012 in Frankfurt a.M.

An dieser Stelle dokumentieren wir die Rede der FAU auf der "Capitalism is the Crisis"-Demo am 31.03.2012 in Frankfurt a.M. anläßlich des antikapitalistischen Aktionstags M31.
Sie ist auch bei Freie Radios anzuhören.

Liebe Freundinnen und Freunde, Genossinnen und Genossen,

unisono tönt uns die Medienlandschaft entgegen, „faule Griechen“ oder eine „südländische Mentalität“ seien schuld an der Staatspleite – denn es ist eine! – Griechenlands, aber auch Portugals, Italiens, Spaniens – „PIGS“, wie die Ökonomen sie liebevoll nach ihren Anfangsbuchstaben genannt haben. Woher allerdings z.B. Irland und Island – weitere Kandidaten auf der Pleiteliste – diese „südländische Mentalität“ haben sollen, bleibt schleierhaft.

Medien, Ökonomie und Politik scheinen unfähig, simpelste Zusammenhänge zu erkennen – oder sie wollen sie nicht erkennen. Deshalb reden sie von der Staatshaushaltskrise, von der Eurokrise, vorher von der Finanzkrise und davor von der Immobilienkrise des US-Markts. Das macht zumindest deutlich, dass aus der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus kein Entkommen ist, jedenfalls nicht mit und im Kapitalismus. Es verschleiert aber, dass wir es mit einer globalen Krise zu tun haben und dass diese Krise systemisch ist. Es verschleiert auch, was nie benannt wird, dass es sich nämlich nicht um eine von Bänkern und raffgierigen Börsenspekulanten ausgelöste Krise handelt, sondern auch eine Krise der sogenannten „Real“wirtschaft, eine klassische Überproduktionskrise.

Werfen wir einen kurzen Blick zurück: In den 1970er Jahren kam der keynesianische Kapitalismus – das „gemischte Wirtschaftssystem“ - an seine Grenzen. Die Krise, die sich in gleichzeitiger Stagnation und Inflation ausdrückte, löste eine Fluchtbewegung des Kapitals aus: in die Länder des Südens und in die Finanzwelt. Gewinne können, gerade da, wo keine brauchbaren Produkte hergestellt werden, sondern nur noch Dienstleistungen verkauft werden, eigentlich nur noch durch Einsparung von Lohnkosten gemacht werden. Das ist in den 1980er Jahren auf Druck von IWF und Weltbank zigfach in den Staaten Afrikas, Südamerikas und Osteuropas passiert. Die Maßnahmen waren dieselben wie heute in Griechenland, der Widerstand war entsprechend.
In Kürze: Um der zunehmenden Krisenhaftigkeit des Kapitalismus zu entkommen, wurden überall die Löhne gekürzt, das, was selbst nach marktwirtschaftlichem Verständnis Arbeiterinnen und Arbeitern zusteht. Um die Kaufkraft und den Lebensstandard zu halten, wurde den ArbeiterInnen das Geld, das an ihren Löhnen angespart wurde, wieder ausgeliehen – mit Zins und Zinseszins. Als klar wurde, dass dieses Geld, mit dem bereits gearbeitet wurde, gar nicht da ist, platzte die zigte Blase und es kam zur aktuellen Wirtschaftskrise. Die Krise des Kapitalismus ist – und war schon immer – der Anspruch der ArbeiterInnen, auch ein gutes Leben zu haben, sich nicht – oder zumindest nicht dermaßen – ausbeuten zu lassen.

Das ist nirgendwo deutlicher zu sehen als in den USA, wo die Menschen nicht nur an der Wall Street campen, sondern wo sich Zeltcamps über das ganze Land erstrecken, weil es die einzige Möglichkeit der Menschen ist, irgendwo zu wohnen. 2011 lebten 45 Millionen Menschen in den USA – 15 Prozent der Bevölkerung – von Lebensmittelgutscheinen im Wert von 134 Dollar.

Aber wir müssen nicht über den Ozean schauen und auch nicht nach Südeuropa, um uns die Krisenmechanismen und die Form ihrer Eindämmung anzuschauen. Die rücksichtslose und menschenverachtende Auspressung Griechenlands zugunsten insbesondere deutscher Konzerne und Banken hatte ihre Vorbilder, und eines dieser Vorbilder ist die Ausbeutung Ostdeutschlands in einer Art innerem Neoimperialismus nach 1989. Mit dem prophylaktischen Antikrisenprogramm der Regierung Schröder/Fischer wurde dieser Binnenimperialismus auf die arbeitende Klasse ganz Deutschlands ausgedehnt: Mit Hartz I bis IV, mit der Ausweitung der Leiharbeit und Niedriglohnjobs im Allgemeinen. Deutschland war im vergangenen Jahrzehnt der einzige europäische Staat, in dem die Reallöhne gesunken sind. Die Billigwaren des Exportweltmeisters Deutschland waren es auch, die die südeuropäischen Staaten schlicht niederkonkurriert haben.
Mit dem Mythos, hier gäbe es keinen Widerstand dagegen, müssen wir gründlich aufräumen. Wer von Straßenkämpfen und Generalstreik in Griechenland, vom arabischen Frühling oder von spanischen Asambleas und Occupy Wall Street spricht, darf von den Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV nicht schweigen und auch nicht von den betrieblichen Kämpfen der vergangenen Jahre etwa bei Opel Bochum, Gate Gourmet Düsseldorf, AEG Nürnberg, BSH Berlin, Bike Systems Nordhausen.

Wir sind heute auch hier, um unsere Solidarität mit der von einer europäischen Diktatur der Troika, angeführt von Angela Merkel, erpressten griechischen Bevölkerung auszudrücken. Solidarität ist etwas anderes als betroffenes Gutmenschentum. Solidarität ist die gegenseitige Erkenntnis einer ähnlichen Lage. Hartz IV ist zwar ein Witz gegen die Strukturanpassungsprogramme, die den Bevölkerungen der südeuropäischen Staaten aufgelastet werden, aber diese zeigen uns schon mal, wie Hartz V, VI, VII etc. aussehen werden. In Griechenland geben die Eltern ihre Kinder weg, weil sie sie nicht mehr ernähren können, die Selbstmordrate ist um über 40 Prozent gestiegen. Und das ist erst der Anfang: Bei den Konjunkturprogrammen der Troika geht es um die physische Vernichtung der ärmeren Bevölkerungsschichten. Dass wir hier aus Solidarität stehen, heißt auch, dass wir hier für unsere Bedürfnisse und Ansprüche stehen, dass wir hier aus Notwendigkeit stehen.

„Wenn es massive Proteste auf der Straße und Streiks der Arbeiter gleichzeitig gibt, dann steckst du richtig in der Scheiße“ betonte ein ägyptischer Aktivist. Gefährlich wird es für die Herrschenden, wenn die ArbeiterInnen nicht mehr arbeiten und die Reservearmee nicht mehr zur Verfügung steht. Die Revolten in Ägypten und Tunesien konnten nur deswegen etwas bewirken, weil sie mit Streikbewegungen einhergingen. Auch das ist ein Zusammenhang, den Medien und Politik verschweigen: Wir befinden uns in einer globalen Streikwelle, wie es sie seit 40 Jahren nicht mehr gegeben hat und die selbstverständlich mit dem Krisengeschehen in direktem Zusammenhang steht. Es ist insofern ein schlechter Witz, wenn der DGB gegen die Beschränkung der Tarifautonomie und damit des Streikrechts in Griechenland protestiert, in Deutschland aber ganz ähnliche Maßnahmen gemeinsam mit dem Bund deutscher Arbeitgeber als Gesetz durchdrücken will.

Das ist das, was in den Krisenprotesten hierzulande fehlte und bis heute fehlt: Die Verbindung zwischen den betrieblichen Kämpfen und den Kämpfen auf der Straße und vor den Ämtern. Wenn wir die Krise der Herrschenden werden wollen, und das müssen wir, dann müssen wir hier ansetzen, und das nicht nur in einem Staat, sondern global. Heute, am 31. März 2012, stehen wir nicht nur in Frankfurt. Wir stehen auch in Athen, Thessaloniki, Modena, Bologna, Zagreb, Utrecht, Wien, Warschau, Porto, Lissabon, Moskau, Ljubljana, Madrid, Bilbao, Zaragoza, Kiev, Brighton, Liverpool, in New York und an vielen anderen Orten. Wenn wir jetzt einfach wieder gehen, haben wir dem System in keinster Weise geschadet. Es kommt nun darauf an, die Vernetzung der Kämpfe, die mit M31 begonnen hat, zu verstetigen, um wirklich sagen zu können: Wir sind eure Krise!