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Dröhnende Bässe, tanzende Menschen – eine ungewöhnliche Demonstration wird am 2. Oktober durch die nächtlichen Straßen von Münster ziehen. Die erste Nachttanzdemo, die unter dem Motto „Waking up the city“ steht und sich unter anderem gegen die Sparpläne der Stadt im Rahmen der Krise, eine unschöne Umstrukturierung des Hafenareals und steigende Mieten richtet, unterstützen mittlerweile 27 politische und kulturelle Initiativen. Die FAU Münsterland ruft mit folgendem Text über Gewerkschaften in der Medienindustrie zur Demo auf.

Es beginnt, wenn wir morgens die Zeitung aufschlagen und hört auf, wenn wir abends die Tagesschau sehen. Es ist ein Thema das uns in der heutigen Zeit permanent umgibt. Rationalisierung, Stellenabbau, Sparmaßnahmen, Sozialplan, Arbeitslosigkeit, Krise – das sind Schlagworte, die verwendet werden würden, um es für das Web 2.0 zu taggen. Egal, ob es sich um die bevorstehende Pleite von Opel, den massiven Stellenabbau bei der Telekom oder die Arbeitsniederlegung der EisenbahnerInnen handelt – es geht dabei immer um eins: Arbeitskampf.

Die, die nichts zu verkaufen haben außer ihrer Arbeitskraft, kämpfen um den Preis dafür oder um überhaupt irgendeine einigermaßen sichere Zukunftsperspektive. Auf der anderen Seite stehen Firmen und Konzerne, die ihre Gewinne immer weiter steigern wollen und gleichzeitig die Personen weg rationalisieren, die diese Gewinne erschuftet haben.

Seit Beginn der sogenannten Krise werden wir durch die Medien mit Nachrichten über Opel, Karstadt, Telekom, Foxconn und anderen voll getextet. Wir sehen lächelnde Konzernbosse neben Gewerkschaftsfunktionären, die betroffen wirken und geloben ihr bestes zu tun, um möglichst viele Stellen zu retten und faire Arbeitsbedingungen zu schaffen. Und eigentlich kann jede/r erahnen, dass sie nur Rädchen in der großen kapitalistischen Maschinerie sind. Auch wenn die Medien der Öffentlichkeit oft nur den schönen Schein eines angeblichen gemeinsamen Interesses von Arbeitnehmer(vertreter)Innen und Konzernbossen vorgaukeln – jede/r, die/der einen Fernseher hat, weiß um die Angst der ArbeiterInnen bei Opel.

Aber was ist mit all den anderen? Der Arbeitsmarkt besteht nicht nur aus spektakulär streikenden EisenbahnerInnen, MetallerInnen und PilotInnen. Was ist zum Beispiel mit GrafikerInnen, ProgrammiererInnen, JournalistInnen, FotografInnen und den vielen anderen Berufen des so genannten Informationszeitalters? Sie werden genauso ausgebeutet, nur hört und sieht mensch nicht viel davon.

Auszubildende im IT-Sektor erhalten im Durchschnitt gerade mal 280 € Ausbildungsvergütung, Mediendesigner 230 € und ein Fotograf schlappe 180 €. StudienabsolventInnen im Bereich Design, Informationstechnik und Web-Journalistik verdienen nach ihrem Abschluss meist gar nichts, da sie von Praktikum zu Praktikum stolpern. Die Ausbildungssituation in den neuen Berufen ist katastrophal und der Berufseinstieg gleicht einem Roulettespiel. Wer es dann schafft, einen Fuß in die Tür zum Arbeitsmarkt zu bekommen und vielleicht sogar einen Zweijahresvertrag zu ergattern, muss dennoch jeden Tag aufs neue um seinen Arbeitsplatz kämpfen. Nicht wenige unterliegen dem Arbeitsdruck und der permanenten Angst, den Leistungsanforderungen nicht zu genügen. In vielen Fällen führt dies zu „freiwilligen“ 60-Stunden- Wochen und den Verzicht auf Urlaub. Mensch will ja schließlich nicht negativ auffallen. Wer es nicht schafft, einen zeitweise festen Arbeitsplatz zu bekommen, dem bleiben nur zwei Möglichkeiten. Entweder irgendeine berufsfremde Stelle anzunehmen, um über die Runden zu kommen – und sei es Leiharbeit oder Call Center –, oder der Schritt in die „Selbständigkeit“: Freelancer (FreiberuflerIn), One-Man/Girl-Agency oder einfach Ich-AG.

In den Köpfen der Menschen existiert ein sehr verzerrtes Bild der freischaffenden Arbeit: Romantisierend wird an kreative Genies gedacht, die im Loft wohnen, die meiste Zeit in Cafés sitzen und nach Lust und Laune ein paar Stunden arbeiten, um Geld zu verdienen – an Menschen wie Larry Page (dem Erfinder von Google), Jean-Remy von Matt (einer der schillerndsten Figuren der heutigen Grafikindustrie) oder Carry Bradshaw (die fiktive Autorin aus Sex and the City). Doch für die meisten Menschen bedeutet dieser Schritt eher das Gegenteil. Es bedeutet, permanent arbeitsbereit zu sein, ohne soziale Sicherheit und komplett auf sich selbst gestellt. Während für „normale“ ArbeiterInnen Arbeitslosen- und Krankenversicherung eine Selbstverständlichkeit sind, können viele Freelancer einfach keine Krankenversicherung finanzieren.
Agenturen, Verlage und andere Unternehmen reiben sich natürlich die Hände. Freelancer machen das Unternehmen flexibel und effizient. Sie sind hervorragende Arbeitskräfte, die nur dann bezahlt werden müssen, wenn sie eingesetzt werden. Mensch muss für Freelancer eben keine Sozialabgaben abdrücken und keine teure Krankenversicherung bezahlen. Die Unternehmen dezimieren ihr Risiko auf ein Minimum. Oder besser gesagt: Sie lagern es einfach an den Freelancer aus. Viele der jungen Leute in den neuen Berufen leiden unter den katastrophalen Arbeitsbedingungen. Dumpinglöhne und Zeitverträge machen eine planbare Zukunft unmöglich. VermieterInnen, Banken und Dienstleistungsunternehmen sind verständlicherweise nur ungern bereit, dass Risiko eines Zahlungsausfalls einzugehen.

Doch wo ist der Arbeitskampf? Noch nie hat man von einem Streik der Grafik- oder KommunikationsdesignerInnen gelesen. Noch nie wurden im Fernsehen hunderte von ProgrammiererInnen gezeigt, die gegen Dumpinglöhne in den IT-Klitschen kämpfen. Es gab auch noch keine Besetzungen von Berufsschulen und Ausbildungsbetrieben durch Azubis, wie etwa beim Bildungsstreik.
Warum? Weil das alles Einzelschicksale sind? Kann man bei hunderten oder tausenden von Menschen von Einzelschicksalen sprechen, nur weil sie nicht zum selben Betrieb gehören?

Die großen Gewerkschaften wie Verdi und IG Medien versuchen zwar inzwischen auch, diese neuen Berufsgruppen zu bedienen, doch genau wie beispielsweise im Leiharbeitssektor wirken sie dabei ziemlich hilflos. Die gewohnten Rezepte funktionieren hier offensichtlich nicht – ein Arbeitskampf in den alten gewerkschaftlichen Hochburgen wie Opel ist einfacher, spektakulärer und lukrativer, als sich mit den Problemen der verstreuten Mitglieder in den neuen Branchen herumzuschlagen. Dennoch wird der Kampf für faire Arbeitsbedingungen und Vergütungen im Bereich der neuen Medien und kreativen Berufe immer wichtiger.
Aber wie soll mensch sich organisieren? Es müssen Alternativen geschaffen werden. Die Organisation muss durch Leute erfolgen, die wirklich wissen, worum es geht, also vor allem von den Betroffenen selbst. Der Widerstand muss an der Basis beginnen und dort sollte auch die Lösung erarbeitet werden, anstatt sich auf Funktionäre und Gewerkschaftsbürokratien zu verlassen.

Also:
Lasst euch nicht alles gefallen! Organisiert euch und fangt an für ein besseres Leben zu kämpfen!

Die Nachttanzdemo Münster startet um 21 Uhr am Hauptbahnhof, Bremer Platz.
Weitere Infos unter http://www.nachttanzdemo.de.ms.