Wer nicht kämpft ... verliert eben!

500 Euro im Semester: Niedersachsen verschärft soziale Auslese an Uni

Nicht einmal ein Jahr nach der Zurückweisung des Verbots von Studiengebühren durch das Bundesverfassungsgericht hat Niedersachsen das Rennen um den Titel „Erstes Bundesland mit Studiengebühren“ gewonnen.

Artikel aus der Direkten Aktion, Nr. 173

Am 9. Dezember hat der niedersächsische Landtag ein Gesetz verabschiedet, das u.a. die Einführung von Studiengebühren vorsieht. StudienanfängerInnen sollen ab dem Wintersemester 2006 mit 500 Euro zur Kasse gebeten werden. Für alle Anderen gilt dieselbe Gebühr ab dem Sommersemester 2007.
Wie viele der 4000 Studierenden, die noch am 8. Dezember in Hannover gegen dieses Gesetz demonstrierten, mögen wohl mit diesem Ausgang gerechnet haben? Immerhin hatte es doch im Laufe des Jahres auch in Niedersachsen zahlreiche Proteste gegeben. Neben den üblichen Demonstrationen wurden z.B. in Göttingen, Braunschweig, Hildesheim, Lüneburg und Hannover die Präsidien der jeweiligen Universitäten besetzt. In Osnabrück traf es zunächst das örtliche CDU-Büro (April 2005), später wurde dann auch das Hauptgebäude der Uni für eine Nacht besetzt (Juli 2005). In Oldenburg wurde die Bildung mal wieder zu Grabe getragen, in Hannover wurden die städtischen Brunnen mit einer nächtlichen Aktion zum „Schäumen“ gebracht.

Tropfen auf heiße Steine

Von all dem zeigten sich die Abgeordneten im Landtag offensichtlich nicht sonderlich beeindruckt. Stattdessen brachten sie noch eine Reihe weiterer Reformen auf den Weg. Die Idee von Hochschulräten mit Vertretern aus Wirtschaft und Gesellschaft wurde im Hochschulnovellierungsgesetz verankert. Die Pflichtmehrheit der ProfessorInnenschaft in den Gremien wurde festgeklopft, einige Vorgaben zur Frauenförderung wurden hingegen gestrichen. Ganz nebenbei wurde außerdem über Pläne zur Erhöhung der Langzeitstudiengebühren auf 800 Euro pro Semester beraten. Jedenfalls scheint ihnen die Sorge vor weiteren Protesten nicht gerade im Nacken gesessen zu haben.
Ehrlich gesagt ist dies auch kein Wunder. Die diversen Demonstrationen waren zwar recht groß, aber insgesamt beteiligte sich nur ein Bruchteil der Studierenden. Darüber hinaus gab es vielleicht eine Handvoll Versuche, die den Rahmen des akzeptablen Protestes zumindest symbolisch ankratzten. Die Idee „Warum blockieren wir nicht einfach mal die Autobahn?“ kursierte höchstens als Witz zwischen den demonstrierenden Studis. Im großen und ganzen also kein Grund zur Beunruhigung, 2005 ist nun einmal nicht 1968. Damals forderte die Studierendenbewegung die Weltrevolution und erreichte unter anderem die Abschaffung von Studiengebühren. Heute achten die Aktiven zumeist peinlich genau darauf, „realistisch“ und themenbezogen zu argumentieren und erreichen ... gar nichts.

Vor uns die Sintflut?

Für andere Bundesländer (aktuell: Bremen, Ba-Wü, NRW und das Saarland) kann die niedersächsische Erfahrung nur ein positives Signal zur Verfolgung ähnlicher Pläne sein. In der wirtschaftlichen Krise ist es eine zu verlockende Möglichkeit, die leeren Staatskassen durch Einsparungen im Bildungshaushalt zu entlasten. Denn genau das, was durch die Studiengebühren reinkommt, wird beim Staat eingespart werden können. Dabei ist dieses Vorgehen weder eine Charakterschwäche der Regierenden noch eine spezifische Grausamkeit dieser oder jener Partei. Die staatlichen FunktionsträgerInnen tun schlicht und ergreifend genau das, was im Rahmen bestehender Verhältnisse rational ist. Zukünftige Studierende werden sich durch Kredite zur Finanzierung ihres Studiums derart verschulden, dass sie später bei der Annahme von Jobs nicht unbedingt wählerisch sein können. Ein weiterer Schritt zur Schaffung einer Schicht von flexiblen, prekär arbeitenden AkademikerInnen.

Land in Sicht?

Besonders einfach ist es dann natürlich, wenn weit und breit keine soziale Bewegung in Sicht ist, welche die gesellschaftliche Ordnung an sich kritisiert und aus ihrer Kritik heraus auch entsprechende Aktionsformen entwickelt. Für die Regierenden ist abzusehen, dass die Aktionen nach der Verabschiedung des Gesetzes wahrscheinlich an Heftigkeit nicht gerade zunehmen werden. Spätestens nach der 5. Demo werden die Studis wohl merken, dass das alles nichts bringt und ... zu Hause bleiben.
Auch im Bildungssektor gibt es aber noch Menschen, die über die Studiengebührendebatte andere Verschlechterungen keinesfalls vergessen. Das beginnt bei der fortschreitenden „Verschulung“ des Universitätsstudiums, geht über die zunehmende Einschränkung des Lehrangebotes und hört bei künftigen Einsparplänen noch lange nicht auf. Als Reaktion darauf gründen sich zur Zeit einige neue Bildungssyndikate und vernetzen sich im Rahmen der FAU. Dies war auch am 8. Dezember in Hannover bemerkbar. Einige Studierende versuchten im Vorfeld der Demonstration, zusammen mit den Bildungssyndikaten Hannover und Osnabrück das Parteibüro der lokalen CDU zu besetzen, um kämpferische Aktionen wenigstens wieder denkbar zu machen. Leider setzte die Staatsgewalt diesem Treiben schon nach 45 Minuten ein Ende. Nach der Räumung zogen die BesetzerInnen zur Demo, um von ihren Erfahrungen zu berichten. Dabei trugen sie ein schwarzrotes Transparent, auf dem stand: „Wir kriegen nur wofür wir kämpfen!“