Paideia – Schule der Anarchie

Seit über 25 Jahren existiert in Merida (Bandajoz), einer kleinen spanischen Stadt in der Nähe der portugiesischen Grenze, die Freie Schule Paideia. Die „Schule der Anarchie“, wie sie sich selbstbewußt nennt, öffnete am 9. Januar 1978 mit 10 Kindern als Vorschule ihre Pforten.

Überarbeitete Version eines Artikels, der ursprünglich in: Contraste Nr. 224, 20. Jg., Heidelberg 2003, S. 8, erschien.

Mittlerweile ist die Grundschule zu einer Ganztagsschule (10-18h) mit derzeit 40 Schüler_innen angewachsen. Neben den Schüler_innen, die die Schule direkt besuchen, werden weitere per Fernunterricht betreut. Die Klassengröße beträgt deshalb im Schnitt 8 bis 13 Schüler_innen. Eine Benotung der Leistung gibt es nicht.
Die Initiative zur Gründung ging von der Pädagogin Josefa Martin Luengo aus. Angeregt durch Konzepte wie die „moderne Schule“ von Francisco Ferrer und vor allem durch das Schulkonzept von F. de la Sierra (s.: Frenegal de la Sierra: Una Expresión en Libertad). Zusammen mit ihren Kolleginnen Cancha Castaño Caesaseca und Ma. Jesús Checa Simo gründete sie die anarchistische Schule.
Das Konzept der Schule beruht nach eigener Darstellung auf den folgenden Prinzipien:

- Selbstverwaltung
- Selbstverantwortung
- Kollektivität / Solidarität
- Anarchistische Ethik („eine Ethik, die im gegenseitigen Konsens die Interessen des Individuums mit denen des Kollektivs in Einklang zu bekommen versucht“)
- Gleichheit
- Gewaltfreiheit
- Freiheit

Von dem Schulkonzept „Summerhill“ und auch dem Erziehungskonzept von Jean-Jacques Rousseau, die spontan in den Sinn kommen, grenzt sich die Schule deutlich ab. Deutlich wird dies vor allem in den acht bildungspolitischen Grundsätzen die Luengo formulierte:

1.) Bildung gegen die Abhängigkeit von den Eltern
2.) Bildung gegen Privateigentum
3.) Bildung gegen die Autoritätsgläubigkeit
4.) Bildung gegen Egoismus / Egozentrismus
5.) Bildung gegen den Konkurrenzkampf der sozialen Klassen
6.) Bildung gegen Frustation / Aggressivität / Gewalt
7.) Bildung gegen den Wunsch nach Machtverhältnissen
8.) Bildung gegen die Konsumgläubigkeit (Luengo / Colectivo Paideia, 42).

Diese Art der Bildung wird von ihr häufig auch mit dem problematischen begriff der „Gegenmanipulation“ beschrieben. Ziel dieser „Gegenmanipulation sei es, so die offizielle Darstellung, der gesellschaftlichen Manipulation des Individuums, die als ein Hauptproblem für die Befreiung des Individuums gesehen wird, entgegen zu wirken.
Einen wichtigen Grundsatz für das Konzept bildet darüber hinaus die Überlegung, daß eine anarchistische Erziehung sich ständig auf der Suche nach (neuen) Formen der Bildungsvermittlung befindet, die die Gleichheit, die Kreativität der Persönlichkeit und die Autonomie wahren. In den Selbstdarstellungen findet sich wiederholt die Betonung des Kampfes gegen Herrschafftstrukturen – konkret richtet sich dieser Kampf gegen den Staat und das Patriachat. Die Schule sieht sich mit ihrem Konzept in der Tradition der libertären Erziehung – vor allem Peter Kropotkin mit seiner anarchistischen Ethik – und verbindet dies mit einer Analyse der aktuellen Situation. Dies findet sich auch in der Schüler_innenzeitung wieder, wo das Thema „klassischer Anarchismus“ ein breites Feld einnimmt.
Die Organisation der Schule beruht auf zwei Stützpfeilern – der in den 80er Jahren gegründeten Kooperative und dem Kollektiv Paideia. Die Kooperative, die sich aus Unterstützer_innen und Eltern zusammensetzt, ist für die Finanzierung der Schule zuständig. (Die Eltern haben die Kosten für Schulmaterial und Essensgeld zu entrichten.) Sie hat Informationsrecht über die Verwaltungsangelegenheiten in der Schule, aber kein Mitspracherecht. Weitere finanzielle und materielle Unterstützung erhält die Schule von den Mujeres por Anarchia (Frauen für die Anarchie)*, Mujeres Libres (Freie Frauen) und von einzelnen Ortsgruppen der anarchosyndikalistischen CNT. Die Schule ist somit stark in der anarchistischen Bewegung in Spanien verwurzelt und in anarchistischen Strukturen findet mensch immer wieder ehemalige Schüler_innen dieser schule.
Für die direkte Organisation der schule ist das Kollektiv verantwortlich. Es setzt sich aus dem Lehrpersonal und den Schüler_innen zusammen. Sie haben alle gleiche Rechte und Pflichten, wozu z.B. Küchendienst, Reinigung der Räumlichkeiten, Protokollführung bei den regelmäßigen Plena u.a.. Über die Anschaffung von neuem Schulmaterial, Reparaturarbeiten und den Essensplan wird kollektiv entschieden.
Trotz aller Schwierigkeiten, die die Schule mit staatlichen Stellen hatte – vorrangig in den 90er Jahren – existiert die Schule immer noch. Leider wird sie bislang außerhalb Spaniens kaum wahrgenommen.

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* Ein Mitte der 90er Jahre entstandener Zusammenschluß von anarchistisch orientierten Frauen in Meridan.

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Paideia-Homepage: www.paideiaescuelalibre.org.

Verwendete Literatur

Arachas. Boletin de la Exsuela Libre Paideia, Merida 2002. Colectivo Paideia: 25 aniversario de paideia, in: CNT, Granada Marzo 2003. Dies.: Paideia – Esculea Libre, Merida 1999. Luengo, Josefa Martin: Desde nuestra escuela Paideia, Mostolas 1990. Dies. / Colectivo Paideia: La escuela de la Anarquia, Madrid 1993.