Venezolanische Arbeit zwischen Chavez und den Golpistas

Die bolivarische Regierung gegen die Gewerkschaftsautonomie

Orlando Chirino, ein revolutionärer venezolanischer Arbeiterführer, hat kürzlich die bolivarische Regierung beschuldigt, gegen Arbeiter und gegen Gewerkschaften zu sein.

Es dürfte schwer fallen, Chirino als „golpista“ (dt: Putschist) oder als Freund des Imperialismus zu bezeichnen. Er mobilisierte im Jahr des Coups 2002 die Arbeiter gegen den von Unternehmensmanagements befohlenen Produktionsstop in der Ölindustrie. Er unterstützte und begleitete Arbeiter, die versuchten, von ihren Bossen geschlossene Fabriken selbst zu verwalten. Er ist unter den Arbeitern verwurzelt und wurde so zum Sprecher der Unión Nacional de Trabajadores (UNT), der von Hugo Chávez unterstützten Gewerkschaft.

Wenn Orlando über die Jahre ein Teil der so genannten pro-bolivarischen Bewegung gewesen ist, was veranlasste ihn dann im Jahr 2009 zu den obigen Äußerungen gegen die Regierung, die er einst verteidigte? Ganz einfach: Chirino ist ein eiserner Verfechter des Autonomierechts der Gewerkschaften.

Sofort nachdem Chávez zum Präsident von Venezuela gewählt worden war, versuchten die Chavistas, die Kontrolle über die Arbeiterbewegung zu erlangen. Entscheidend waren die Auseinandersetzungen innnerhalb der von der mitte-links Partei Acción Democrática (AD) beeinflussten traditionellen Gewerkschaft Confederación de Trabajadores de Venezuela (CTV). Sie war im Jahr 1947 gegründet worden und entwickelte sich seit 1959 zum wichtigsten Gesprächspartner des Staates über die Arbeitspolitik. Trotz Vorwürfen der Chavistas gegen Vertreter der CTV partizipierten sie aus Ermangelung einer eigenen Arbeiterbewegung bei den internen Wahlen im Oktober 2001. Der bolivarische Kandidat, Aristóbulo Isturiz, wurde vom AD-Kandidaten Carlos Ortega abgestraft, der Vorsitzender der CTV werden sollte. Anderthalb Jahre später wiederholte sich eine ähnliche Entwicklung wie bei der CTV. Per Dekret verabschiedete die Regierung von Venezuela den Entwurf einer „echten Gewerkschaft“, der Unión Nacional de Trabajadores (UNT). Die reproduzierte schnell die Korruption, gegen die sie angetreten war.

Opción Obrera, eine marxistische Organisation, die zu den Gründungsmitgliedern von UNT gehört, sagt es noch deutlicher als wir: „Die UNT wurde durch Beschlüsse von oben gegründet; sie sollte eine Show für die Parteibasis sein, in der wirkliche Arbeiterführer nichts zu sagen haben“. Die UNT gelangte alleinig durch staatliche Hilfe ans Licht der Welt. Jetzt sind die einstmals kritisierten Funkionäre der CTV abhängig von loyalen Anhängern des Staates. Paradoxerweise begannen die bolivarischen Kräfte, wegen der geringen Akzeptanz der neuen Gewerkschaft bei den Arbeitern und dem Widerstandes gegen deren Kooptation, mit der Unterstützung der Gewerkschaft Frente Socialista Bolivariano de los Trabajadores (FSBT), damit diese die UNT ersetzt.

Ein weiterer Meilenstein, der die CTV Bürokratie schwächen sollte, war die Einführung des so genannten „paralelismo sindical“ (dt.: Gewerkschafts-Paralellismus) durch die Regierung. In den Schlüsselindustrien wurden künstlich geschaffene Gewerkschaften installiert. Dadurch gelang es Chávez, die Anzahl der registrierten Gewerkschaften auf 700 zu puschen. Obwohl dieser bolivarische Prozess die Organisation der Arbeiter wie nichts zuvor förderte, brachte die Steigerung der Anzahl der Gewerkschaften keinen größeren Einfluss auf die Arbeitspolitik. Ein Indikator dafür ist das Ende der Diskussion um kollektive Verträge im öffentlichen Dienst mit 243 ausgelaufenen und nicht unterschriebenen Verträgen gegen Ende des Jahres 2007, ein Sektor, der im Mai 2009 genau 2.244.413 Menschen beschäftigte, wovon ein Viertel im privaten Sektor engestellt war.

Die Entscheidungen über das Gehalt, die Arbeitsbedingungen und das Arbeitsrecht werden von den staatlichen Institutionen inaugiriert und dann automatisch von Sprechern der UNT an die Öffentlichkeit gebracht. Neben der Fragmentierung und dem Machtverlust verschlechterte der Gewerkschafts-Parallelismus die Kontrolle über die Arbeitsplätze in der Öl- und Bau-Industrie, wo die Gewerkschaften bislang 70% besetzen konnten. Das erhöhte die Anzahl der ermordeten Gewerkschaftsführer und Arbeiter durch Streitereien zwischen den Gewerkschaften. Zwischen dem Juni 2008 und der Entstehung dieses Textes kam es zu 59 Morden, die bis heute ungestraft sind.

Ein drittes Element war die Gründung der Partido Socialista Unido de Venezuela (PSUV), einer Körperschaft, in der, nach den Worten von Chávez, alle den bolivarischen Prozess unterstützenden Organisationen, inklusive den Gewerkschaften, aufgehen sollten. Ein paar Leute verteidigten die Autonomie der Gewerkschaften, doch Abweichungen von der offiziellen Linie wurden nicht toleriert. Chávez bestätigte das im März 2007: „Gewerkschaften sollten nicht unabhängig sein […] Damit müssen wir Schluss machen“. Dem folgte eine Reihe ähnlicher Aussagen. Seinen Zenit erreichte dieses Diskurs im März 2009, als Chávez, nachdem er Forderungen von Schlüsselindustrien in Guayana, dem größten Industriegürtel im Land, verspottet hatte, damit drohte, Streiks und Demonstrationen polizeilich niederschlagen zu lassen. Für einen Revolutionär wie Orlando Chirino war das unerträglich. Er sagte daraufhin: „Das ist eine Kriegserklärung an die Arbeiterklasse“.

Augenblicklich werden verschiedene Initiativen ins Leben gerufen, um die Kontrolle über die Arbeiter im Land zu erhöhen. Es werden Gesetze ins Leben gerufen, die Proteste einschränken und kriminalisieren. Außerdem wird Menschen verboten, auf Demonstrationen zu gehen, und sie müssen regelmäßig vor Gericht erscheinen. Fünf Gewerkschaftsführer der Öl- Raffinerie in El Palito ist das kürzlich passiert. Die fünf Raffinerie-Arbeiter erhielten einen gerichtlichen Beschluss, in dem ihnen vorgeworfen wird, „Versammlungen abgehalten zu haben, welche das normale Funktionieren von Einrichtungen des Öl-Komplexes verhinderten“.

Den Berichten von Sprechern verschiedener Gemeinden nach sind wenigsten 2.200 Menschen von dieser Vorgehensweise betroffen. Lustigerweise sind davon 80% Mitglieder der nationalen Regierungsbewegung. Das ist ein signifikantes Detail, denn seit 2008 mehren sich soziale Unruhen der Arbeiter aufgrund des Elends und den materiellen Beschränkungen. Inzwischen hat die Forderung nach sozialen Rechten die Mobilisierung politischer Rechte, wie sie für die Jahre 2002 bis 2006 typisch waren, ersetzt. Das Versagen, die von der bolivarische Rhetorik hervorgerufenen Versprechungen einzulösen, die Schwächung durch sinkende Öleinnahmen und die Stagnation und der Niedergang der populistischen sozialistischen Politik katalysierten die akkumulierte Unzufriedenheit über das Ausbleiben profunder Veränderungen, durch die das Leben weiter Teile der Bevölkerung verbessert wird.

Eine weitere von oben dirigierte Initiative soll Gewerkschaften durch „Arbeiterräte“ ersetzen, damit dort die Verhältnisse am Arbeitsplatz diskutiert werden. Die Nationalversammlung, die sich in aller Welt als Champion der partizipatorischen Demokratie präsentiert, hat diesen Vorschlag im Geheimen ausgearbeitet und im Rahmen der Reformen des Arbeitsrechts (LOT) aufgebracht.

Andere Gesetze, die auf den ersten Blick keine Beziehung zur Arbeitswelt haben, beschränken genauso die Rechte der Arbeiter. Nach Artikel 74 des neu verabschiedeten Verkehrsgesetzes ist jetzt die Schließung von Straßen zugunsten von Fußgängern, wie das bei Demonstrationen regelmäßig der Fall ist, verboten.
Zwischenzeitlich wurde am 15. August ein neues Bildungsgesetz verabschiedet, das für seinen Säkularismus und für die strenge Regulierung der Privatschulen bei oppositionellen Gruppen Proteste hervorgerufen hat. Die mitte-rechts und sozialdemokratische Opposition stellt allerdings noch weniger als der Chavismo die Beschränkung von Arbeiterrechten in Frage. Ein Zeichen des reaktionären Characters des neuen Gesetzes ist der Abschnitt 5f des ersten Kapitels, der „physische Aggression, Reden oder anderer Formen der Gewalt“ von Lehrern und Professoren gegen Vorgesetzte unter schwere Strafe stellt. Noch schlimmer ist die im fünften Abschnitt getroffene Regelung über Streikbruch aus Gründen der Notwendigkeit, durch die Streiks und Arbeitsniederlegungen gebrochen werden sollen, eine Maßnahme, die in so genannten bolivarische Venezuela inzwischen Alltag geworden ist.

Zusätzlich hat die Chavista-Bewegung einen Angriff auf Medien gestartet, die nicht die offizielle Linie des Staates vertreten. Diese Medien zeigen Konflikte und Proteste auf, im Gegensatz zu den staatlichen und para-staatlichen Medien, die sich selbst als „alternativ und gemeinschaftlich“ präsentieren, selbst aber vom Staat zensiert und finanziell von ihm abhängig sind.

Die Rolle der venezolanischen Anarchisten in diesem Moment des Zerbrechens der bolivarischen Hegemonie ist Anteilnahme und Begleitung der unteren Klassen sowie die Radikalisierung der Konflikte, um so die angegriffene Autonomie sozialer Bewegungen wiederherzustellen. Sie muss sich außerdem aktiv an der Konstruktion einer anderen, revolutionären Alternative zu den Kämpfen innerhalb der Bourgeoisie um die Kontrolle des Öls beteiligen. Der Kampf gegen die bolivarischen Bourgeousie muss genauso geführt werden wie der gegen die politischen Parteien. So geben wir, wie immer, keine Konzessionen an die Macht und blicken auf unsere alten Prinzipien – Selbstverwaltung, direkte Aktion, Antikapitalismus und gegenseitige Hilfe – wie auf den sich erhellenden Horizont.

Rafael Uzcátegui (August 2009)