EU-Parlament lehnt die Einführung der 65-Stunden-Woche ab

Am Mittwoch dem 17.12. lag dem EU-Parlament der Entwurf einer neuen Arbeitszeitrichtlinie der europäischen Arbeits- und Sozialminister zum Beschluß vor. Hintergrund der Richtlinie ist die Forderung der Unternehmer, die bisherige Grenze der maximalen Arbeitszeit zu erhöhen und EU-weit Arbeitszeiten von 60 - 65 Stunden und mehr zu ermöglichen.

Ein Kernpunkt der Richtlinie betraf den Bereitschaftsdienst, bei dem zwischen "aktiver" und "inaktiver" Zeit unterschieden werden sollte. Der "aktive" Teil der Bereitschaften, bei denen es am Arbeitsplatz auch zum Einsatzfall kommt, sollte als Arbeitszeit angerechnet werden, der "Inaktive", bei dem kein Notfall eintritt, jedoch nicht. Damit sollten zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofes ausgehebelt werden, der Arbeitszeit als die Zeit definiert hatte, in der Beschäftigte am Arbeitsplatz verfügbar sein müssen.

Außerdem sollte die sogenannte "opt-out Regelung" eingeführt werden, d.h. die Möglichkeit, dass die maximale wöchentliche Arbeitzeit (48 Stunden) nicht gilt, wenn ein Lohnabhängiger einer längeren Arbeitszeit "freiwillig" zustimmt.

Die erste Runde haben die Unternehmer und ihre Minister verloren...

Die EU-Abgeordneten stimmten diesmal mehrheitlich gegen die Einführung der 65-Stunden-Woche, sie wollen an der regulären 48-Stunden-Woche festhalten, die unter bestimmten Bedingungen aber auch schon mehr als 60 Stunden Arbeit in der Woche ermöglicht. Außerdem verlangte das Parlament, dass Bereitschaftsdienste grundsätzlich als Arbeitszeit angerechnet werden.

421 EU-Abgeordnete lehnten die neue Arbeitszeitrichtlinie am Mittwoch ab, 273 stimmten für sie. Mit der Entscheidung des Parlaments ist eine Neuregelung der EU-Arbeitszeitrichtlinie ersteinmal vertagt. Die Ziele der Mehrheit der Regierungen der 27 Mitgliedsländer bleiben aber bestehen, sie wollen den Unternehmern die Möglichkeit geben, die Lohnabhängigen 65 Stunden pro Woche auszubeuten.

So heult die größte Unternehmerlobbyorganisation BusinessEurope bereits, "die Wettbewerbsfähigkeit" der europäischen Wirtschaft stehe auf dem Spiel und ihnen würde "die Flexibilität, die sie brauchen" verweigert...

Kommt zwischen den Arbeits- und Asozialministern der EU-Staaten und dem EU-Parlament keine Einigung zustande, gilt weiterhin die Arbeitszeitrichtlinie von 1993. Nach der müßten umgehend Sanktionsverfahren gegen viele EU-Staaten eingeleitet werden, da sie die Bereitschaftsdienste von Beschäftigten nicht vollständig als Arbeitszeit anrechnen. Diese Praxis war vom EU-Gerichtshof in mehreren Verfahren für illegal erklärt worden.

Jetzt müssen die zuständigen Minister eine neue Vorlage präsentieren und dann, innerhalb von acht Wochen, mit dem EU-Parlament einen endgültigen Kompromiss aushandeln.

...aber der Kampf geht weiter

Im Hintergrund werkeln bereits u.a. die Abgeordneten von SPD und CDU/CSU und versuchen, dass bei den weiteren Beratungen zwischen EU-Regierungen und Europaparlament die "Tarifparteien" stärker ins Spiel kommen. Ihr Versuch ist, dass auch in anderen EU-Staaten die Gewerkschaften über Verschlechterungstarifverträge mitbestimmen könnten, ob und wann Lohnabhängige länger arbeiten müssen, so wie es in Deutschland bereits geschieht.

Die Bestimmungen aus der bereits verabschiedeten Leiharbeitsrichtlinie geben die mögliche strategische Linie vor: Es gilt formal die 48-Stunden-Woche, aber "ein Tarifvertrag kann abweichende Regelungen zulassen. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren."

Damit könnte die 65-Stunden-Woche durch Verschlechterungstarifverträge doch noch durchgesetzt werden, falls sich das EU-Parlament unter dem Druck der Beschäftigten auch nach dem Vermittlungsauschuß nicht traut, der Richtlinie zuzustimmen.

Von DGB/SPD Seite heißt es bereits, es "könne die inaktive Bereitschaftszeit von den Tarifpartnern oder per Gesetz unterschiedlich gewichtet werden. Damit sei in Ausnahmefällen auch Bereitschaftsdienste mit einer Arbeitszeit von über 48 Stunden pro Woche erlaubt. ... Mit dieser Ausnahmeregelung soll der besonderen Situation von Krankenhausärzten, Werkfeuerwehren und Wachdiensten Rechnung getragen werden."

...wenn der Kampf nicht wieder verschlafen wird

In Deutschland ist der Kampf gegen die Arbeitszeitrichtlinie vollständig verschlafen worden. Außer einer bescheidenen Informationskampagne der FAU und einer Demonstration der DGB Gewerkschaften mit ihrem Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) am 16.12. in Straßburg, hat es keinerlei Widerstand gegeben. Uns ist die Einführung der 65-Stunden-Woche im ersten Anlauf ausgerechnet durch die Monsterbürokraten des EU-Parlamentes erspart worden.

Jetzt haben wir etwas Zeit gewonnen Widerstand zu organisieren und vieleicht beflügelt der Aufstand in Griechenland auch bei uns die Gemüter, so dass wir uns nichts mehr gefallen lassen...