Griechenland vor dem Generalstreik: Erinnerung an die Zeit der Junta

Am 9. Dezember, dem Tag der Beerdigung von Alexandros und einen Tag vor dem Generalstreik, fand in Patras eine der größten Demonstrationen in der Geschichte der Verwaltungsmetropole statt. Bis zu 5.000 Menschen zogen unter schwarzen Fahnen und mit Transparenten gegen die Polizeigewalt durch die Straßen. Am Abend lernten sie diese Gewalt in einer Form kennen, die es seit dem Ende der Militärdiktatur, der Junta, so nicht mehr gegeben hatte. In einer perfekt synchronisierten Aktion griffen Polizisten und Faschisten gemeinsam die Demonstration an. Augenzeugen fragen sich vor dem Hintergrund des heutigen Generalstreiks, ob die in die Enge getriebene Regierung, sich der Faschisten als nützliche Idioten bedienen wird.

Der Dienstag begann mit einer der größten Kundgebungen in der Geschichte von Patras. Zwischen 3.000 und 5.000 Menschen waren dem Aufruf lokaler anarchistischer Kollektive zu einer Demonstration anlässlich der Beerdigung von Alexandros gefolgt. Während der Demonstrationszug durch die Straßen der Stadt zog, die mit rund 120.000 Einwohnern das Verwaltungszentrum Westgriechenlands darstellt, begann die Polizei große Mengen an Einheiten rund um ihre Zentrale zusamenzuziehen, um diese vor den wütenden Menschen zu schützen.

Gegen Ende der Demonstration ging die Polizei zum Angriff über und zwang die TeilnehmerInnen gewaltsam zum Rückzug Richtung der Parartima, des historischen Universitätsgebäudes der Stadt. Kurz darauf begann ein bis dahin nicht für möglich gehaltener Angriff: Dutzende von Faschisten, die offensichtlich aus ganz Griechenland zusammengekarrt worden waren, griffen die Demonstration mit Messern und Steinen an. Der Überfall war perfekt mit der Polizeistrategie koordiniert, Augenzeugen sprechen sogar davon, dass die Faschisten Leute festgenommen und der Polizei ausgeliefert haben. Für die älteren TeilnehmerInnen der Demonstration kehrte in dieser Nacht die Vergangenheit zurück: Sie sahen sich attackiert von einem Mob, der Tränengasgranaten aus dem Arsenal der Polizei nach ihnen warf und dabei "Blut - Ehre - Goldene Dämmerung", den Namen einer faschistischen griechischen Organisation, brüllte. Für eine Nacht schienen die Jahre des Obristenregimes, der Junta, zurückgekehrt, in denen die Faschisten als verlängerter Arm des Staates die Bevölkerung terrorisierten.

Unter dem Eindruck der kombinierten Angriffe von Polizei und Faschisten mussten sich die verbleibenden rund 500 DemonstrantInnen in Gruppen in umliegende Wohnungen zurückziehen. Versuche der Polizei und von Faschisten, einige Wohnungen zu stürmen, konnten verhindert werden.

Die bügerlichen Medien machten aus den Faschisten, in nahezu wortgleichen Meldungen, umgehend "lokale Geschäftsleute", die ihr Recht "in die eigenen Hände genommen hätte". Wenn man einmal von dem Umstand absieht, dass keinerlei lokale Geschäfte während der Demonstration in Mitleidenschaft gezogen worden waren, strafte sich diese Presse mit ihren Bildern umgehend selbst Lügen. Dort waren die vorgeblichen "Ladenbesitzer" und "gesetzestreuen Bürger" abgebildet: Sie hatten Sturmhauben aufgesetzt und hielten Messer in der Hand!

Dafür, dass es sich bei dem Zusammenspiel von Polizei und Faschisten nicht um ein zufälliges Ereignis, sondern um eine geplante und koordinierte Aktion handeln könnte, spricht noch ein weiteres Detail. Im griechischen Indymedia-Netzwerk berichteten seit Montag Menschen aus mindestens zwei Dutzend Städten übereinstimmend, dass Polizisten lokale Ladenbesitzer aufgefordert hätten, ihre Läden am Dienstag zu verbarrikadieren und sich zu schützen. An allen Orten habe man den Ladenbesitzern erzählt, am Dienstag, dem Tag der Beerdigung würden Busladungen von Anarchisten, wahlweise aus Athen oder Thessaloniki in ihrer Stadt einfallen, um diese zu verwüsten. BeobachterInnen sehen das gezielte Vorbereitung mit dem Ziel, Überfälle wie den in Patras zu legitimieren.

AktivistInnen in Griechenland nehmen die unglaublichen Vorfälle in Patras sehr ernst. Vor dem Hintergrund einer in die Enge getriebenen und um ihre Pfründe fürchtenden Regierung und einer Polizei die kein Mittel gegen die Wut einer ganzen Generation zu finden scheint, ist es zumindest nicht ausgeschlossen, dass die Behörden erneut die faschistischen Kettenhunde von der Leine lassen, derer sie sich auch in der Vergangenheit immer schon einmal wieder bedient haben. Umso verlockender, als sie sich die Faschisten gleich auf dreierlei Art zunutze machen könnte: Zum ersten, um die Drecksarbeit zu erledigen, für die die Polizei zu sehr im Licht der Öffentlichkeit stünde, zum zweiten, weil man den faschistischen Mob zugleich noch als Anwort der "anständigen Bürger" medial verdrehen kann und zum dritten, weil die dadurch transportierte Angst vor einem angeblichen Bürgerkrieg zwischen "den Jugendlichen" und "den Bürgern" einen Vorwand zu einem härteren Durchgreifen der Polizei liefert und den Staat als Retter aus der - von ihm selbst geschaffenen - Not legitimiert.

Die kommenden Tage und der Generalstreik werden deshalb von vielen als sehr kritisch angesehen. Wobei sich schon jetzt die Zeichen mehren, dass die großen reformistischen Gewerkschaften den Generalstreik nutzen werden, um der Regierung zu helfen, die Welle der Proteste zu beenden. Eine ursprünglich angesetzte Demonstration durch die Straßen von Athen wurde kurzfristig von den Gewerkschaftsvorständen abgesagt und durch eine statische Kundgebung in der Nähe des Parlamentes ersetzt.

Nachtrag, Donnerstag, 12. Dezember 2008

Aus Protest gegen die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Faschisten fand am Donnerstag eine weitere Demonstration in Patras statt, an der sich mehr als 6.000 Menschen beteiligten. TeilnehmerInnen berichteten, dass den beamteten Schlägern und den ebenfalls wieder anwesenden Faschisten nach einigen Provokationen angesichts der Geschlossenheit und Bestimmtheit der DemonstrantInnen nichts weiter übrig blieb, als sich in die Seitenstraßen zurückzuziehen.


Das Bild zeigt einen Polizisten, der - wenige hundert Meter von der Beisetzung entfernt - Schüsse in die Luft abgibt. Die Polizeiführung dementierte zunächst, gab dann zu, es habe einen Warnschuss gegeben. AnwohnerInnen haben insgesamt 15 Patronenhülsen eingesammelt.