Update: Nokia Bochum schließt die Pforten

Als am 15.01. Veli Sundbäck, Nokia Aufsichtratsvorsitzender Deutschland, das Aus für die Nokia-Endmontage in Bochum verkündete, gab es ein erschrecktes Aufhorchen in der gesamten Republik: Das Ende der Nokia-Produktion ist das Aus für die Mobiltelefonproduktion in Deutschland. Erst vor sechs Monaten kündigte der US-Hersteller Motorola seinen Rückzug aus Deutschland an. Bereits vor gut einem Jahr hatten durch die Pleite von BenQ Mobile rund 3.000 Menschen unter anderem an den Standorten Kamp-Lintfort und Bocholt ihre Jobs bei der ehemaligen Mobilsparte von Siemens verloren.

Auf dem Bild: die Nokia-Bahnstation.

Nach einer Studie vom November 2007 der Marktforschungsfirma Gartner, besitzt Nokia einen weltweiten Marktanteil von 38,1% im Mobiltelefonbereich und liegt damit vor Samsung (14,5%) und Motorola (13,1%) weltweit an der Spitze. Laut dieser Studie betrug der Gewinn von Nokia im Jahr 2006 runde 3,6 Milliarden Euro.

In Deutschland ist Nokia im Januar 2008 noch an vier Standorten vertreten.
• Bad Homburg: Mobiltelefone und Unternehmenslösungen
• Bochum: Produktion (Endmontage) und Entwicklung von Mobiltelefonen
• Düsseldorf: Forschung und Entwicklung von Netzinfrastruktur, Vertrieb, Kundenservice und Verwaltung.
• Ulm: Forschung und Entwicklung

Nach Opel ist Nokia heute der größte industrielle Arbeitgeber in Bochum.

Nach diversen Medienberichten wurde Nokia mit 88 Millionen Euro „Fördergelder“ an den Standort geholt, beziehungsweise an diesen gebunden. Im November 2006 liefen die entsprechenden Verträge (Arbeitsplatzgarantie, Standortgebundenheit usw.) zwischen NRW und Nokia aus. Schon 2001 hat Nokia Deutschland von den ca. 4.500 Arbeitsplätzen (3.000 alleine in Bochum) fast 10% abgebaut. Gleichzeitig wurden begonnen sogenannte LeiharbeiterInnen eingestellt. Weltweit hat Nokia 55.505 Mitarbeiter, zusammen mit dem Telekomausrüster Networks sogar rund 112.000 Beschäftigte. Offensichtlich plant die Nokia-Zentrale seit Ende 2006, die Produktion in Bochum zu schließen.

Im März 2007 kündigte Nokia an, sein Werk in Rumänien weiter auszubauen. Die vorgebrachten Gründe für die Verlagerung der Produktion nach Finnland, Ungarn und Rumänien - nämlich die "hohen Produktions-/Arbeitskosten in Bochum" - sind offensichtlich nicht stichhaltig. Die Fertigung der Mobiltelefone ist hochautomatisiert, die Lohnkosten machen gerade mal 4% der Produktionskosten aus. „Das Kostenargument ist damit vorgeschoben“, so Torsten Gerpott von der Universität Duisburg-Essen zur "Westdeutschen Allgemeinen". Entscheidend ist vielmehr der Wille Nokias, zu einer Konzentration der Standorte zu kommen und ganz nebenbei Vorteile wie

  • steuerliche Anreize, etwa durch niedrigere Gewerbesteuern oder die Schaffung von Sonderwirtschaftszonen
  • niedrigere Abgaben

  • größere Nähe zu den Wachstumsmärkten in Osteuropa.

zu nutzen. Bochum ist für den Global-Player nur ein kleiner Standort „und den kleinsten beißen dann halt die Hunde“. Damit aber noch nicht genug. Schon im
vergangenen Jahr hatte Nokia Siemens Networks (NSN) in Deutschland die Streichung von 2.800 bis 2.900 Stellen angekündigt.

NRW prüft Rückforderung

Das Land Nordrhein-Westfalen hat Nokia in den Jahren 1995-1999 rund 60 Millionen Euro „Fördermittel“ gezahlt. In der Zeit von 1998-2007 kamen dann noch einmal weitere 28 Millionen an Forschungsgeldern durch den Bund in die Kassen von Nokia. Obwohl selbst die NRW-Ministerin für Wirtschaft, Christa Thoben (CDU), eine Rückforderung des Geldes nicht für sehr aussichtsreich hält, lässt sie dies gerade von ihrem Beamtenaparrat prüfen. Veli Sundbäck, Chef von Nokia Deutschland, teilt diese Einschätzung. Das Geld sei bestimmungsgemäß eingesetzt worden und die vertraglich geregelten Fristen eingehalten bzw. verstrichen.

Laut Sundbäck bekommt Nokia „keine direkten Subventionen“ für seinen Umzug nach Finnland, Ungarn und Rumänien. Allerdings, so gibt er auf Nachfrage zu, könnte Nokia in Ungarn dieselben Subventionen nutzen wie andere Unternehmen auch. Ungarn fördert u.a. mit Mitteln der EU die Ansiedlung von Hightech-Firmen mit der Übernahme von bis zu 50% der Kosten. In Rumänien hat sich Nokia im Industriepark in Jucu bei Cluj niedergelassen. „Förderungen“ für Nokia lassen sich an den Infrastrukturarbeiten erkennen, zu denen sich Rumänien verpflichtet hat. Unter anderem sollte die rumänische Eisenbahngesellschaft dort ein extra Nebengleis für die Güterwaggons errichten. Die Elektrizitätswerke sollten in «Nokia Village», so der Name des neuen Industrieparks, für 17 Millionen Euro ihre Infrastruktur erneuern.

Nach einem Bericht der «Westdeutschen Allgemeinen Zeitung» soll der rumänische Staat 33 Millionen Euro für das «Nokia Village» aufgebracht haben. Die ArbeiterInnen werden in Jucu laut Medienberichten zwischen 170 und 238 Euro verdienen. Das ist nicht nur im Vergleich zu Deutschland sehr wenig. Der Netto-Durchschnittslohn in Rumänien beträgt 320 Euro! Spiegel-Online bemerkt in dazu: "Vielleicht wird Nokia aber auch gar nicht lange in Rumänien bleiben.

"Die Lohnvorteile haben nicht lange Bestand", sagt auch Mirko Maier von der Landesbank Baden-Württemberg. Schließlich steigen die Gehälter in Osteuropa rasant."

Wider die Heuschreckenrhetorik


Wider die Heuschreckenrhetorik

In den Massenmedien tauchen in den Kommentaren und Berichten zur geplanten Schließung vermehrt moralische Argumentationen auf („die haben doch eine soziale Verantwortung“) und das Bild der „Subventionsheuschrecke.“

Beides ist absolut unangebracht. Zum einen sollten sich die ArbeiterInnen von dem Trugbild sogenannter „sozialer Verantwortung“ ihrer Bosse verabschieden. Dies kennen nur eine Verantwortung: „das Wohl der Firma“. Laut Spiegel-Online hat Nokia das Ziel für die Gewinnmarge von 17 auf 20 Prozent angehoben. Damit würde Nokia knapp über der weltweit stillschweigend anerkannten durchschnittliche Profitrate von 17-19 % (EBITDA) liegen. Firmen mit geringerer Profitrate laufen Gefahr, dass die Anleger mit ihrem Geld woanders hingehen. Diese Erhöhung des Gewinnzieles ist selbst für den Marktführer Nokia sicherlich nicht ganz einfach zu erreichen. Darum ist das Management ganz offensichtlich dabei, einerseits jede noch so kleine Einsparmöglichkeit zu nutzen, und sich andererseits so nah wie möglich an den boomenden Märkten in Osteuropa und China zu positionieren.

Das Bild von der Heuschrecke oder auch das von der Subventionsheuschrecke erklärt gar nichts. Im Gegenteil – es lenkt ab von den wesentlichen Dingen. Beides ist nur Rhetorik und verleitet die weniger gefestigten unter uns dazu, sich oberflächlich und moralisch aufzuregen, anstatt die Ursachen für die Erscheinungen zu suchen. Insbesondere ist den betroffenen ArbeiterInnen mit einer solchen Rhetorik nicht geholfen! Wie dem auch sei, die ArbeiterInnen sehen (entgegen den Verlautbarungen in der Presse) keiner „ungewissen Zukunft“ ins Gesicht.
WENN sich die KollegInnen nicht noch dazu aufraffen, in den nächsten Tagen zu Formen des Widerstandes zu finden, die über das reine Verhandeln hinausgehen; dann ist ihre Zukunft deutlicher gezeichnet als ihnen das lieb sein dürfte: Der Nokia-Standort Bochum wird schließen. Ein Sozialplan wird ausgehandelt werden und nach einem Jahr Abfindung und einem Jahr Arbeitslosigkeit, werden die Leute in Hartz IV, also in die Armut entlassen. Welche Form der Widerstand gegebenenfalls noch annehmen wird, ist derzeit nicht abzuschätzen. Sicher ist es nicht falsch, möglichst bald mindestens zu einem effektiven Streik zu kommen. Ebenso begrüßenswert wäre sicherlich auch eine "dauernde Betriebsversammlung" (Betriebsbesetzungen sind ja "illegal") - und der dann hoffentlich erfolgreiche Versuch, den Abtransport von Material (egal, ob Produkte oder Maschinen) zu verhindern.

Die Rolle von Gewerkschaft und Betriebsrat



In Bochum werden seit Monaten Sonderschichten gefahren und einige Modelle, die dort produziert werden, haben lange Lieferzeiten. Das spricht dafür, dass ein sofortiger und konsequent geführter Streik, zusammen mit der Verhinderung der Auslieferung, noch eine nicht zu unterschätzende Wirkung entfalten könnte! In diesem Zusammenhang muss die Frage gestattet sein, warum der Betriebsrat und die Gewerkschaft IGM mit scheinbar allen Mitteln Proteste zu verhindern suchen, die sich auf die Produktion auswirken könnten? Dass sie selbst nicht ernsthaft an das Mittel des Streiks zur Rettung der Arbeitsplätze denken, sollte ebenfalls jeden stutzig machen. Denn was haben die ArbeiterInnen im Falle eines Streikes zu verlieren?

Post Scriptum



Wir alle sind aufgefordert, die KollegInnen bei Nokia-Bochum zu besuchen. Eine Gruppe von Opel-Arbeitern hat es uns schon vorgemacht. Nur durch den direkten und persönlichen Kontakt zu den KollegInnen können wir ihnen unsere Solidarität zeigen. Und wer weiß - vielleicht ergibt sich ja, in den nächsten Tagen doch noch die Möglichkeit eines gemeinsamen Widerstandes! Auch die ArbeiterInnen in Nordhausen (Bike Systems/Strike Bike) haben den einen oder anderen Tag gebraucht, um zu Formen des Widerstandes zu finden, die jenseits der alten Wege lagen.

FAU-Düsseldorf



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Zur Großkundgebung “Zukunft für die Arbeitsplätze bei Nokia” am 22. Januar erwartet die IG Metall mehrere tausend Menschen. Die Demonstration beginnt um “fünf vor zwölf” am Werkstor von Nokia. Eine zweite Demonstration beginn um 12:30 Uhr am Gewerbepark Riemke (Parkplatz Variété Et cetera). Um 13 Uhr wird die Kundgebung auf dem Marktplatz in Bochum-Riemke beginnen. Vom Hauptbahnhof (ZOB) und vom Rathaus setzt die BoGeStra ab ca. 11.15 Uhr Sonderbusse ein, die kostenlos die DemonstrationsteilnehmerInnen zum Gewerbepark Riemke befördern.

Was kostet ein Mobiltelefon? / Einer von vielen: Jens König verliert bei Nokia seinen Job

Was kostet ein Mobiltelefon?

Ein Mobiltelefon ohne Vertrag kostet ca.: 300 Euro
Die Produktionskosten belaufen sich auf ca.: 25 Euro
35% Computerchip
15% Display
10% Software
15% Kamera, Akku, Gehäuse
4% Arbeitskosten
Quelle: wdr.de

Einer von vielen: Jens König verliert bei Nokia seinen Job

Nein, aus allen Wolken seien sie nicht gefallen, meint König. Seit einem Jahr hätten sie keine "Roadmap" mehr zu sehen bekommen. Sie wussten deshalb nicht, welche Geräte, welche technischen Anwendungen sie künftig zu entwickeln haben. Und sie haben sich ihren Teil gedacht: "Entweder das Management weiß nicht, welche Produkte entwickelt werden sollen. Oder sie planen nicht mehr mit uns," dachte König. Er hat Erfahrung im Kampf um Jobs. Bereits 2005 stand die Entwicklungsabteilung vor dem Aus. Doch damals hätten sie ein Faustpfand in der Hand gehabt, erinnert sich der 40-Jährige: "Nokia wollte damals eines unserer Produkte unbedingt auf den Markt bringen". Und setzt lakonisch hinzu: "Das ist jetzt anders."
Quelle: wdr.de