SozialarbeiterInnen: Prekäre im Dienste der Prekarität

Dieser Text setzt sich der Rolle der SozialarbeiterInnen in Frankreich auseinander. Von gewissen lokalen Besonderheiten abgesehen, dürfte er aber problemlos auf die Sozialarbeit in der BRD übertragbar sein. Der Beitrag wurde verfasst von Mitgliedern der französischen CNT-AIT die im Sozialsektor arbeiten. Übersetzt wurde er von der LISA, der "Libertären Initiative Sozial Arbeitender" aus Wien. Wir dokumentieren ihn als Diskussionsbeitrag in einer sprachlich leicht überarbeiteten Version.

Die Zwiespältigkeit der Funktion von SozialarbeiterInnen ist bekannt. Zuständig dafür, den am meisten Ausgebeuteten und den Ärmsten zu helfen, sind SozialarbeiterInnen gleichzeitig Instrumente des sozialen Friedens, eine notwendige Voraussetzung für das gute Funktionieren dieser Ausbeutungs- und Profitgesellschaft. Da sie täglich diese schizophrene Situation erleben, sind sie dauernd dem Zynismus der Macht ausgesetzt und mit der Not der benachteiligten, verarmten und ausgestoßenen Bevölkerungsschichten konfrontiert.

Unter der Schirmherrschaft insbesondere der sozialistischen Regierung wurde die Verwaltung der Armut in den 80er Jahren durch die Vermehrung von Vereinen der sogenannten "Sozialhilfe", "Hilfe durch Arbeit" oder "Resozialisierung" durchgeführt. Das Geschäft lohnt sich! Der Staat, das Land und die Gemeinde wälzen die Verwaltung der Armut auf diese Vereine gegen eine gewissen finanziellen Unterstützung ab, um den Laden am Laufen zu halten.

Wackliger Status, Mindestlohn, ausufernde Arbeitszeiten - die SozialarbeiterInnen befinden sich in einer Falle. Angesichts der Not der Hilfsbedürftigen schuften sie meistens ohne Bezahlung, jonglieren mit Behördengängen, den willkürlichen Gesetzen, den niederträchtigen Verordnungen, und versuchen in diesem Papierkram-Labyrinth ihren Gleichgesinnten zu helfen, den Kopf oben zu behalten und einen Ausweg aus dieser Sackgasse zu finden, in die das System unerbittlich gerät.

Aber die 80er Jahre liegen sehr weit zurück. Die Zeit der paternalistischen Almosen ist vorbei. Heute wird dem Sozialsektor befohlen, sich an die Marktgesetze anzupassen, die zu der Not sowie zu dem Rest der Gesellschaft passen. Die Schlüsselwörter haben sich verändert! Berechnung, Kontrolle, Rentabilität, Produktivität, das sind die neuen Werte, die das Funktionieren des Sozialbereiches beherrschen. Bis auf wenige Ausnahmen haben sich die staatlichen Hilfen für die Resozialisierungsvereine weiter verringert, während sich die Forderungen der Mächtigen noch verstärkt haben. Unter dem Deckmantel der Resozialisierung werden die SozialarbeiterInnen ungewollt zu Polizeispitzeln, zu Kontrolleuren der Not, zu einer Polizeihilfskraft, die die Überwachung der aus dem System ausgestoßenen Personen übernimmt. Und die Leute irren sich dabei nicht. Viele verzichten auf ihr Recht auf ein Realeinkommen, um die Kontrolle über ihr Leben zu vermeiden, ihre Art und Weise in diesem Zustand zu überleben. Und zahlreiche Ausgeschlossene haben noch ganz andere Schwierigkeiten zu erleiden, da sie nicht den Verwaltungsnormen entsprechen, die Bedingung sind, diese Almosen zu erhalten.

Man fühlt es täglich; die Not ist mehr als ein Übel, das man ausmerzen muss, es ist ein gefährlicher Makel geworden, der verwaltet, beherrscht und betreut werden soll. Das betrifft alle: die Ausgeschlossenen ebenso wie die SozialarbeiterInnen. Aufgrund der gekürzten Subventionen verringern die Vereine ihre Ausgaben. Die Situation der SozialarbeiterInnen ist von da an nicht so weit entfernt von dem ihrer "KlientInnen". Wiederholter befristeter Vertrag... CES (Contrats emploi solidarité: Programm zur Beschäftigung für Arbeitslose an Schulen), Zeitaufwand, Teilzeitarbeit, Mindestlohn .... sind meistens die Arbeitsbedingungen des Erziehers XY. Und die ungerechte Seite der Situation will, dass man nicht selten feststellt, dass die Leiter dieser Vereine sich gleichzeitig Löhne von mehreren tausenden Euros pro Monat zahlen lassen.

Personen im Zustand des Prekariats um das Prekariat zu betreuen, das muss man sich einmal überlegen. In Montauban fragte ein Sozialarbeiter vorigen Monat einen "Klienten", der wegen Behördengängen kam, welchen Beruf er ausübte, bevor er die Schrecken der Arbeitslosigkeit kennen lernte, und dann den Mindestlohn. "Erzieher", antwortete er, "aber aus Mangel an Subventionen hat der Verein dicht gemacht".

Die Zukunft der Sozialarbeit lautet: Verschwinden!

Eine Hilfsorganisation zu gründen, bedeutet zu beschließen, dass diese Organisation auf Dauer angelegt ist, dass es kein konjunkturelles Ereignis ist, sondern eine Struktur, die integraler Bestandteil des kapitalistischen System ist. Es ist auch Aufgabe der Sozialarbeiter die Rolle zu verstehen, die man sie spielen lassen will. In einer Gesellschaft, in der Recht und Gerechtigkeit herrschen, wäre es die Zukunft der Sozialarbeit so schnell wie möglich zu verschwinden.

Weiterführende Infos:

CNT-AIT Frankreich
LISA Syndikat, Wien