Solidarität!

Für einen Augenblick konnte die (Protest-)Welt heile sein, denn es ist immer wieder schön, wie kraftvoll und mitreißend es ist, mit vielen Menschen auf die Straßen zu gehen und, zugegebenermaßen mehr oder weniger erfolgreich, seine Forderungen rauszuposaunen. Es wäre ein so schönes Bild, wenn es nicht irgendetwas verzerrt hätte. Fast 20.000 PolizistInnen und 1000 SoldatInnen, über 1200 – größtenteils rechtwidrige – Festnahmen, über 100 AktivistInnen mehrere Tage in Haft, Dutzende durch Polizeigewalt Schwerverletzte und Traumatisierte, durch bürgerliche Medien kaum kritisierte Grundrechtsaushöhlungen mittels Versammlungs- und Demonstrationsverboten, ständige Kriminalisierung der radikalen Linken, und die scheinheiligen Deeskalationsverlautbarungen und Dementierungen des Polizeistabs "Kavala", hinter der sich der wirkliche – grüne – Block der Gewaltbereiten versteckte, sprachen die Sprache einer aggressiven Politik, die sich angesichts solch gelungener kreativer und zu tausenden auf die Straßen getragener Proteste nicht anders zu helfen wusste.

Die Medien, allen voran die BILD, hetzten mit Schlagzeilen wie "Wollt ihr Tote ihr Chaoten?" und rührten kräftig mit an der Maschinerie, die nichts anderes wollte als die legitimen Proteste zu kriminalisieren, zu spalten, zu entpolitisieren, herunterzuspielen und zu verwischen. Mehr als 80.000 Menschen nahmen an der Demonstration - zwischen 15.000 und 20.000 AktivistInnen über die Woche verteilt - an den Aktionstagen und Protesten teil. Es liegt auch an uns, was wir aus all diesen Dingen machen. Für die Staatschefs wird ein Ort zur Manifestation ihrer kapitalistischen Politik in Zukunft immer schwieriger zu finden sein...

Gekommen um zu bleiben, um zu gehen, auf Wiedersehen?

Die Proteste sind nun schon zwei Augenblicke länger als gestern vorbei, der Zaun wird abgerissen, doch Repressionen kommen und sind schon auf uns zugerollt. Die Debatte um ein Verbot von schwarzer Kleidung auf Demonstrationen, weitere Hausdurchsuchungen, PolitikerInnen, die sich im Ultra-Ultraviolet ihres Sicherheitswahns sonnen, Polizei im aufgehetztem Rückenwind der Presse, gerade alles zu Lasten der verschiedenen Spektren der radikalen Linken – wir können noch mit weitaus mehr Geistesbrei rechnen. Wir sollten nicht denken, dass sich nun erstmal die Wellen der Ostsee glätten, um den Blick auf den Horizont frei zu machen! Vielmehr ist es jetzt der alltägliche und ebenso aufwendige Kampf, etwas von alledem für uns am Leben zu erhalten, die Kämpfe in den Alltag zu tragen. Es werden die vielen kleinen Dinge sein, die uns "auf den Gipfel treiben", Dinge, die wir nur zu gut kennen und Tag für Tag zu erdulden gelernt haben. Die Bewegung konnte viel mitnehmen, aufbrechen und neu schaffen. Jetzt müssen wir die Augen offen halten, um in der Zukunft nicht wieder nur einzustecken.

..Denn..

Mit einem wahren Spitzenrepertoire an Sonderhandhabungen, Gesetzes- und Grundrechtsbrüchen hielten die Behörden die G8-GegnerInnen in Schach. Nun drohen einigen dutzend AktivistInnen Verfahren mit Bewährungs- und Freiheitsstrafen. Dabei lassen selbst die bereits gefällten Urteile an ihrer Rechtmäßigkeit stark zweifeln. Wir können uns für die Zukunft sicher sein: Die Polizei hat ihre strategischen Fehler öffentlich eingeräumt, jedoch nicht ihre Rechtsbrüche, denn aus diesem wertvollen Fundus an Schikanen wollen sie auch künftig noch zehren. Andere Gipfel haben in der Vergangenheit gezeigt, was so alles von Behördenseite möglich ist. Der Fall des am 20. Juli 2001 in Genua erschossenen Demonstranten Carlo Giuliani zieht noch immer Kreise. Kreise, die nicht für eine „rechtsstaatliche“ Praxis in Italien sprechen. Genau deshalb ist Solidarität mit den von Repression betroffenen Menschen gefordert, und wenn wir jetzt nicht daran anknüpfen, wird sie noch viele treffen. Wir wissen: wenn keiner hinsieht, spielt der Staat erst recht seine Karten aus, froher Dinge, dass ihm keiner mehr auf die Finger schaut.

Schauen wir ihm alle auf die Finger! Nach G8 ist vor G8.
Solidarität ist und bleibt unsere Waffe.
Kapitalismus sprengt den Gipfel des Zumutbaren, jeden Tag!


Jörg Dorte