Recht und Willkür ...

Artikel aus der aktuellen DA Nr. 172 - aufgrund aktueller Ereignisse geringfügig verändert

... liegen enger beieinander, als mancheR hierzulande glauben mag.

Ein besonders augenfälliger Beleg für diese These ist das derzeit laufende
Revisionsverfahren gegen Daniel W. Gelang es im Hauptverfahren nicht, die
drei Magdeburger Daniel, Marco und Carsten wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung“ zu verurteilen – letzterer musste gar mangels Beweisen freigesprochen werden -, versucht der zuständige Richter Braun nun offensichtlich, durch „schöpferische Auslegung“ der Vorschriften, die Strafen zu verschärfen.

Die im ersten Verfahren Mitangeklagten, Marco und Carsten, wurden wegen Aussageverweigerung in Beugehaft genommen (DA berichtete). Diese sogenannte „Erzwingungshaft“ kann für die Dauer des Verfahrens bzw. max. 6 Monate verhängt werden. Braun hat in den letzten Monaten immer wieder das ursprünglich nur bis Juni angesetzte Verfahren künstlich verlängert, in dem er die Verhandlungen oft schon nach Minuten aussetzte und in den Folgemonat vertagte. So kam es, dass bei einer Verfahrensdauer von inzwischen 6 Monaten insgesamt nur ca. 11 Stunden verhandelt wurde. Die bisherigen Verhandlungen wären rein rechnerisch vermutlich in 2 – 3 Prozesstagen zu erledigen gewesen. Carsten wurde nun nach fast 5. Monaten am 2. November aus der Beugehaft entlassen , Marco hat, die in solchen Fällen maximal mögliche Haftdauer von 6 Monate abgesessen und wurde am 25. Oktober aus der JVA Halle entlassen und "erwartet" die Haftstrafe des über ihn gefällten Urteil“. Durch die Stattgabe eines Antrags der Anwälte wird seine bevorstehende Haftstrafe bis in den Februar ausgesetzt, da er laut Gesetz das Recht in Anspruch nehmen kann, seine Ausbildung vor Haftantritt abzuschliessen. Beim jüngsten Verhandlungstag am 4. Oktober kündigte Braun an, die Beweisaufnahme am 1. November schließen und die Zwangsmaßnahmen gegen Carsten und Marco beenden zu wollen - was auch eintraf, wohl bemerkt: Marcos Beugehaft endete ohnehin bereits am 26. Oktober. Jedoch waren an diesem Tag deutlich mehr ProzessbeobachterInnen im Gerichtssaal, unter ihnen der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Hans-Christian Ströbele. Dadurch liess sich Braun offensichtlich jedoch nicht von seiner auch gegen geltendes Recht verstossenden Vorgehensweise abbringen. Der Prozesstag selbst verstrich wieder einmal in weniger als 10 Minuten, nachdem festgestellt wurde, dass der vorgeladene Zeuge – der sich bereits etliche Tage zuvor krank gemeldet hatte – nicht erschienen war. Auch hätte am selben Tage die Beweisaufnahme abgeschlossen werden können, was auch die Freilassung der Beugehäftlinge bedeutet hätte – und von Braun offensichtlich nicht gewollt war. Auf der Pressekonferenz im Anschluß an die Verhandlung erklärte Ströbele, daß ihm „sämtliches Verständnis für das Vorgehen des Richters“ fehle, das Vorgehen des Gerichtes verstoße gegen die Menschenrechtskonvention. Fraglich ist aber, ob die durch seine Anwesenheit erhöhte Aufmerksamkeit in den Medien noch positive Folgen für die Gefangenen haben wird.

Proteste und Solidarität
Am 28. August und am 9. Oktober mobilisierten verschiedene Gruppen und
Organisationen vor die Mauern der JVA Halle, um sich mit den Gefangenen zu solidarisieren und das Vorgehen der Justiz anzuprangern. In verschiedenen Redebeiträgen wurde die Solidarität zu Marco und Carsten ausgedrückt und die anderen Häftlinge über Standpunkte und Anliegen der Demonstrierenden informiert. Bei der letzten Knastkundgebung waren auch „Geigerzähler“ aus Berlin und der Rapper Albino mit von der Partie – um den Gefangen mit einem kleinen „Liveact“ ihre Solidarität auszudrücken. Am 15.9. hatte eine „UnterstützerInnengruppe für die politischen
Magdeburger Gefangenen“ das Bürgerbüro von Ströbele besetzt und dieses
einen Tag später nach dessen Zusage, sich selbst ein Bild von den kritisierten Vorgängen beim Verfahren zu machen, nach einer Pressekonferenz wieder verlassen. Ein Solidaritätsschreiben des Gegeninformationsbüro wurde inzwischen von weit über 300 Personen und Organisationen unterzeichnet, darunter 17 Ortsgruppen der FAU. Viele leisteten moralische und finanzielle Unterstützung, ohne die die laufenden Kosten der Gefangenen, wie z.B. Miete für die Wohnung, finanzielle Unterstützung im Knast, Strafbefehle, Anwaltskosten etc. kaum finanzierbar wäre. Dafür ein Dank an alle!

(FAU Magdeburg)

Die Gefangenen brauchen weiter unsere Unterstützung – nach der Beugehaft
sind die Kosten für dieselbe in Höhe von 20,- Euro pro Tag von diesen zu
bezahlen (!). Spenden können auf das Konto der FAU, Kto-Nr. 961 522 01,
BLZ 200 100 20, Postbank Hamburg, Kennwort: „Beugehaft“ überwiesen werden.

Erste politischen Einschätzung des Plädoyers am 1.11. und des Verfahrens gegen Daniel

Nach 6 Monaten Beugehaft, die maximale Dauer über die eine Erzwingungshaft verhängt werden darf, wurde Marco am 25. Oktober aus der JVA Halle entlassen. Ihm steht nun erstmal das Recht zu, seine Ausbildung beenden und bis zum Abschluss der Ausbildung im Februar von der Haft verschont zu bleiben. Nach dem Richter Braun das Urteil von 2,5 Jahren in der Revision gegen Marco erneut fällte, drohen Marco nun unter Anrechnung der Untersuchungshaft bis zu weiteren 1,5 Jahren Haft. Am 2. November wurde auch Carsten nach fast 5 Monaten Beugehaft unerwartet aus der JVA Halle entlassen. Nicht nur dass die Länge der Beugehaft ungewöhnlich ist und bisher sehr selten in der Bundesrepublik angewandt wurde, so war auch das kollektive Verhalten, die Aussageverweigerungserklärung von 11 ZeugInnen und die begleitende Solidaritätsarbeit einmalig und ein Versuch, dieser politischen Verfolgung entgegen zutreten. Im Zuge dessen kam die Aussageverweigerung und die Solidaritätsarbeit als Mittel gegen die politische Verfolgung durch Staatsschutz und Justiz erneut in die Diskussion und bot Ansätze für einen Umgang mit politischen Verfahren.

Soligruppe Magdeburg:
Am 1. November 2005, dem letzten Prozesstag, hielt die Bundesstaatsanwaltschaft im derzeitigen Staatsschutzverfahren gegen den Antifaschisten Daniel W. ihr Plädoyer. Brisant ist dabei, dass sie erneut versucht Daniel nach Paragraph 129a (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung) zu verurteilen. Daraus würden sich zwei ganz neue Besonderheiten ergeben, die wir im Folgenden versuchen werden zu erläutern.
Dass die Linke bundesweit wieder mit einer stärker werdenden Repressionswelle konfrontiert wird, dürfte mittlerweile nun auch für den/die Letzte/n offensichtlich sein. Sie erstreckt sich dabei gegen Hausprojekte, die Anti-AKW-Bewegung, gegen globalisierungskritische – und antikapitalistische Gruppen, Umsonst-Kampagnen, soziale Protestbewegungen und die Antifa-Bewegung fast gleichermaßen. Die Räumung der York59 in Berlin, das Verfahren gegen einen Libertad!-Aktivisten wegen einer Online-Demo gegen Lufthansa in Hamburg, das 129-Verfahren gegen GegnerInnen des Mövenpick-Restaurants im Hamburger Wasserturm, das 129-Verfahren im Rahmen einer lutherkritischen Kampagne in Wittenberg, die Hausdurchsuchungen unter anderem gegen Mitglieder der ALB und FelS im August in Berlin, die Inhaftierung von Julia in Potsdam und nicht zuletzt das seit drei Jahren laufende 129a-Verfahren in Magdeburg; all dies sind nur einige Schlagwörter der politischen Verfolgung im Jahr 2005. Ziel der staatlichen Angriffe waren meist linke und emanzipatorische Menschen, Projekte und Gruppen. Systematisch wird hier versucht, Menschen und Gruppen einzuschüchtern und deren politische Arbeit zu unterbinden.
Zeitgleich wird versucht im Hinblick auf die WM 2006 und den G8 2007 in Heiligendamm die Weichenstellung für einen reibungslosen Ablauf beider Veranstaltungen zu organisieren. Politische Oppositionsbewegungen werden dabei nur als Störfaktoren für den Standort Deutschland begriffen, die es, wenn möglich auch präventiv auszuschalten gilt. Andererseits droht ein Imageverlust für die Eliten in Politik und Wirtschaft. Dabei wird auch auf der juristischen Ebene versucht, frühzeitig Präzedenzfälle zu schaffen, die spätere Verfolgungen vereinfachen sollen. Ein solcher Präzedenzfall könnte das Magdeburger 129a-Verfahren werden.
Im derzeitigen Verfahren wird Daniel vorgeworfen, gemeinsam mit anderen Mitgliedern des „Autonomen Zusammenschlusses Magdeburg“ („AZ MD“), unter drei wechselnden Aktionsnamen Brandanschläge, unter anderem auf das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen-Anhalt und ein Einsatzfahrzeug der Bundespolizei verübt zu haben. Bereits im Jahr 2003 war die Bundesanwaltschaft mit ihrem Konstrukt der „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ nach Paragraph 129a gegen Daniel und seine damaligen Mitangeklagten Marco und Carsten gescheitert. Grund war ein vermeintliches Auflösungsschreiben, dass bei einer der Hausdurchsuchungen in Magdeburg gefunden worden sein soll. Danach habe sich die Vereinung aufgelöst und aus diesem Grund könne man die vermeintlichen Mitglieder nicht mehr nach Paragraph 129a verurteilen. Heute, drei Jahre später, erkennt die Bundesstaatsanwaltschaft in dem Schriftstück keine Auflösungserklärung mehr, sondern einen Hinweis auf einen neuen Anschlag, weil die unterzeichnende Gruppe nicht identisch ist mit den drei zuvor verwendeten Aktionsnamen. Der Text sei unterschrieben mit dem Kürzel „R.E.“ als Gruppenname. Die vorangegangenen drei verwendeten Aktionsnamen der angeblichen Terrorgruppe ließen sich aber mit dem Kürzel „R.E.“ nicht abkürzen, weshalb davon auszugehen sei, dass weitere Aktionen unter anderen Bezeichnungen geplant waren. Die Gruppe die nach Paragraph 129a also tätig gewesen sein soll, habe sich aus dem „AZ MD“ entwickelt und weitere Anschläge unter anderen Aktionsnamen geplant. Die militante Gruppe habe sich also nicht, wie im ersten Hauptverfahren angenommen aufgelöst, sondern sei durch die Verhaftungen von Marco, Daniel und Carsten gescheitert. Dennoch habe es sie zum Zeitpunkt der Anklageschriftverfassung im ersten Hauptverfahren noch gegeben und Daniel sei aus diesem Grund zu diesem Zeitpunkt auch noch Mitglied dieser Gruppe gewesen. Genau deshalb sei er nun nach Paragraph 129a zu verurteilen.

Was bedeutet dies nun wenn das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen wird?
Zum einen ist die Gefahr hoch, dass das BKA weiterhin in Magdeburg ermitteln wird. Wie im Zuge des Verfahrens öffentlich wurde, ist die so genannte BKA Einsatzgruppe Magdeburg auch nach Erhebung der Anklage im ersten Hauptverfahren nicht aufgelöst worden, sondern existiert weiterhin, wenn auch personell reduziert, und stellt nach wie vor Ermittlungen an.
Ermittelnde Beamte des BKA konnten im derzeitigen Verfahren auch nur eingeschränkte Angaben machen, weil sie nach eigenen Aussagen noch immer in die laufenden Ermittlungen integriert sind. Da nicht nur Marco, Daniel und Carsten, sondern eine Vielzahl von Menschen in Magdeburg von Ermittlungsverfahren im Zuge des ersten Hauptverfahrens betroffen waren, droht ihnen nun eine erneute Ermittlung und unter Umständen auch eine Anklage.
Zum zweiten hätte aber eine rechtskräftige Verurteilung von Daniel nach diesem Konstrukt auch mögliche Auswirkungen auf viele in der BRD arbeitenden politischen Gruppen und Initiativen. Es wird in diesem Verfahren insofern ein rechtliches Neuland betreten was den Paragraphen 129a angeht, als dass der Urteilsspruch eine Klammerwirkung hätte. Beispiel:
Es existiert eine offen und legal arbeitende Antifa Gruppe „XY“. Zudem gibt es irgendwo einen Anschlag auf ein Fahrzeug der Bundespolizei.
Zukünftig reicht es aus, wenn die Bundesstaatsanwaltschaft behauptet, wie haben die Antifa „XY“ in der folgende namentlich bekannte Personen arbeiten und wir gehen davon aus, dass sich aus dieser Gruppe heraus eine militante Gruppe gebildet hat, die den Anschlag auf das Fahrzeug der Bundespolizei verübt hat. Folglich können alle Mitglieder der Antifa „XY“ wegen Mitgliedschaft in eben dieser Gruppe verurteilt werden, ohne dass dem/der Einzelnen die Tat konkret nachgewiesen werden muss!
Genau damit schafft sich der Staat einen Präzedenzfall, der früher oder später auf Jede und Jeden angewendet werden kann, der/die sich in irgendeiner Form politisch betätigt.
Das heißt nicht, dass es so kommen muss! Wir denken nur, dass es genau so kommen kann! Wir denken es ist deswegen wieder notwendiger denn je sich kritisch und sensibel mit dem Thema Repression auseinander zu setzen!

Gegen die Kriminalisierung unserer Strukturen!
Für die Soziale Revolution weltweit!