Dranbleiben - Selbstorganisation wagen!

Die Proteste ebben langsam ab, ohne daß sich an den “Reform”-Vorhaben von Regierung und Opposition etwas Wesentliches geändert hätte. Ursache dafür dürfte nicht zuletzt sein, daß die Protestierenden trotz aller anderslautenden Erfahrungen immer noch auf „die da oben“ vertrauen. So berechtigt die weit verbreitete Abneigung gegenüber Parteien und Gewerkschaften ist, so notwendig ist dennoch die (Selbst-)Organisierung derjenigen, die sich mit dieser Situation nicht abfinden wollen.

Nicht die Existenz von Organisationen an sich ist das Problem, sondern die Art und Weise der Organisierung und deren Teilhabe am herrschenden System. Es macht – zumindest für die Betroffenen von Sozialabbau und Entmündigung – keinen Sinn, wieder mal eine neue Partei zu gründen, die dann die Interessen der “kleinen Leute” im Parlament vertreten soll. Solche Versuche gab es immer wieder und alle sind sie dort versandet, wo es das herrschende System vorsieht: im Sumpf von Postengerangel, Korruption und Selbstversorgermentalität. Dabei liegt das Problem weniger im „Verrat an der Basis“, sondern daran, daß die Machtstrukturen und Entscheidungsspielräume im Parlament so angelegt sind, daß vorher schon feststeht, was eigentlich erst im Parlament beschlossen werden soll. Zum einen geschieht dies durch die latente Drohung der Konzerne mit Standortverlagerung, zum anderen wird vieles im Geflecht von Arbeitgeberverbänden, sogenannten Expertenrunden, diversen Lobby-Organisationen usw. ausgehandelt, was später im Parlament nur noch abgesegnet wird. Der verbale Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition dient letztlich nur noch dazu, Demokratie zu simulieren, indem Widersprüche zwischen den Vertretern der verschiedenen Parteien aufgebauscht werden, die real gar nicht existieren. Ebenso wie in der Werbung werden minimale Unterschiede bei nahezu identischen Produkten herausgestellt.

Das einzige, was in dieser Situation die Entscheidungen der “Volksvertreter” noch zugunsten des “Volkes” beeinflussen kann, ist der Druck von der Strasse bzw. – noch wichtiger – aus den Betrieben. Massen-Demonstrationen sind sinnvoll, damit die Beteiligten sehen, daß sie in ihrem Kampf nicht alleine sind. Wirklich beeindrucken tun sie die Machthabenden allenfalls unmittelbar vor wichtigen Wahlen. Problematisch für die Herrschenden in Wirtschaft und Politik wird es nur, wenn es an’s Eingemachte geht: die Profite. Aktionen, die die Profiterwirtschaftung stören, dürften das erfolgversprechendste Mittel sein, der eigenen Stimme Geltung zu verschaffen. Konkret heisst das, daß entweder die Betriebe, Verwaltungen bzw. öffentliche Einrichtungen bestreikt oder aber blockiert werden müssen. Letzteres dürfte das wichtigste Mittel sein, das Menschen, denen die Möglichkeit zu streiken verwehrt ist, zur Verfügung steht.

Zugegeben, es ist nicht leicht, viele Menschen gleichzeitig zu solchen Schritten zu bewegen. Aber es gibt immer wieder auch andere Möglichkeiten, Sand in’s Getriebe des Systems zu streuen. Wenn man nicht streiken kann, so kann man möglicherweise die Überstunden verweigern. Oft hilft es sogar, wenn man auf Arbeit seinen Job ordentlich macht: Qualität herstellt, statt des immer häufiger verlangten Pfuschs (das dauert nämlich meist viel länger) oder alle Vorschriften einhält. Und Arbeitslose können die Armutsverwaltung auch dadurch stören, daß sie alle ihre Rechte ausschöpfen, die Ämter mit Widersprüchen überhäufen, die Anträge erst zum letztmöglichen Termin abgeben usw.

Wir hören die Politprofis spätestens jetzt wieder aufschreien: das sei ja Radikalismus, damit werden die Entscheidungen der demokratisch gewählten Parteien unterlaufen usw. Dabei vergessen sie scheinbar, daß bei den letzten Wahlen die NichtwählerInnen die Mehrheit gestellt haben und wieviele der WählerInnen ihre Stimme nur für das “kleinere Übel” abgegeben haben und nicht, weil sie auf deren Versprechungen vertraut haben.

Wir kritisieren nicht die real existierende Demokratie, weil wir gegen Demokratie
sind, sondern weil das, was sie uns als solche verkaufen, mit dieser allenfalls den Namen gleich hat. Wirkliche, basisdemokratische, Strukturen, die noch dazu auf alle Bereiche der Gesellschaft, also auch die Betriebe, ausgedehnt würden, sind mit Sicherheit das Letzte, was die herrschenden “Demokraten” sich wünschen. Und so schließt sich auch der Kreis zu ’89. Auch damals ging es - zumindest anfangs - um wirkliche Demokratie und gegen die Arroganz der selbsternannten Demokraten. Sicher ist es heute deutlich ungefährlicher, seine Meinung auf Demonstrationen kund zu tun. Die Herrschenden im real existierenden Kapitalismus wissen eben, daß man solcherart Meinungsäußerungen relativ gefahrlos dulden kann. Solange die Profitproduktion nicht beeinträchtigt wird, ist fast alles erlaubt. Man vermittelt dadurch den Protestierenden (bzw. mehr noch den Aussenstehenden), daß sie ja alle politischen Freiheiten besässen und es nur darauf ankomme, “demokratische Mehrheiten” hinter sich zu bringen. Aber letztlich geht es nur darum, daß Auseinandersetzungen auf der dafür vorgesehenen Spielwiese und nach den Regeln der Mächtigen stattfinden. Politische Freiheit – so positiv diese für viele auch erstmal ist – nützt nichts, solange der wichtigste Sektor der heutigen Gesellschaft, die Ökonomie, allein von einigen wenigen Reichen beherrscht wird, die damit auch die politischen Entscheidungsfindungen dominieren.

Nun stellt sich die Frage nach Alternativen. Wir denken, daß das Problem wirkungsvoll nur an seiner Wurzel bekämpft werden kann. Ein System, das einzig darauf ausgerichtet ist, Profite zu erwirtschaften und zu vermehren, kann dauerhaft – und schon gar nicht in Zeiten der Globalisierung – im Zaume gehalten werden. Solange wir, die Arbeitenden und Arbeitslosen – in Deutschland und global – uns gegeneinander ausspielen lassen, wird sich die Spirale nach unten bei den Löhnen und Sozialleistungen nicht stoppen llassen.

Wir denken, daß nur eine unabhängige Organisierung aller derjenigen, die sich diese Entwicklung nicht gefallen lassen wollen, eine Chance verspricht, etwas wirklich neues aufzubauen. Dabei dürfen wir uns aber nicht wieder auf die Spielregeln der Mächtigen einlassen und uns am Wettbewerb der Wahlversprechungen beteiligen, sondern eben da ansetzen, wo es den Mächtigen wehtut. Die Freie Arbeiter und Arbeiterinnen Union (FAU) ist der Versuch, eine Gewerkschaft der Arbeitenden und Arbeitslosen aufzubauen, die sich allein auf ihre eigenen Kräfte verlässt. Bei uns gibt es keine Funktionäre, die ihren Lebensunterhalt mit den Beiträgen der Mitglieder bestreiten und wir verlassen uns auch nicht auf Führer und Politiker – egal welcher Partei – die unsere Interessen im Parlament durchsetzen sollen. Durch ein Höchstmaß an basisdemokratischer Beteiligung aller wollen wir verhindern, daß die Mitglieder zur Verfügungsmasse von abgehobenen Funktionären werden, die sich zwar in Verhandlungsrunden mit den Wirtschaftsbossen auskennen, aber von den realen Problemen so weit entfernt sind, wie Schröder, Merkel & Co.

FAU Magdeburg