Linksgewerkschafter in der Krise?

Eindrücke vom 6. bundesweiten Treffen der Gewerkschaftslinken am 31.1.04 in Berlin
Mir ist noch nicht recht klar geworden, welcher Teufel mich nun eigentlich geritten hat, um halb 6 am Samstagmorgen aufzustehen und zum 6. bundesweiten
Treffen der Gewerkschaftslinken nach Berlin zu fahren. Naja, ich werd's vielleicht noch rauskriegen und schon mal berichten:

Das Treffen stand unter dem Motto "Gewerkschaften in der Krise - wie weiter?" und wurde von ca. 150 Leuten besucht (gerechnet wurde wohl mit deutlich weniger, der Raum war jedenfalls zu klein).

Das Einleitungsreferat hielt Kollege Hensche, seines Zeichens ehemaliger Vorsitzender der IG Medien. Dem Auftreten nach war er ganz Politprofi (er konnte sehr gut reden - aber fast nur Blasen).

Er bestritt letztlich, dass die Gewerkschaften in der Krise seien - schliesslich wird das schon seit 17 Jahren behauptet und gerade eben streikt die IGM ja schon wieder. Auch belegten aktuelle Umfragen , dass die herrschende Politik über keine
Hegemonie in der Bevölkerung verfügen würde. Dann kam die übliche Leier von
der keynesianistischen Politik, die es wieder in den Köpfen zu verankern
gelte - allerdings wollte er sich von jeglichen PartnerInnen in politischen
Parteien "auf Nimmerwiedersehen" verabschieden. Damit sei aber auch endlich
die schon lange geforderte Autonomie erreicht - jetzt stehen die
Gewerkschaften wirklich allein da. Zudem plädierte er für "Realitätssinn",
aber auch ein "zurück zu den Wurzeln" und das "utopische Denken" nicht
aufzugeben.

In der anschliessenden Diskussion gab es einige Einsprüche. Ein Kollege vom
Chemiekreis, der bei Aventis arbeitet, war angesichts der derzeitigen
Auseinandersetzungen bzgl. des Kampfeswillens seiner KollegInnen eher
skeptisch. Ein anderer warnte davor, dass Attac die SPD in ihrer Rolle als
politischer Mentor der Gewerkschaften ablösen könnte. Ein Betriebsrat aus
Wiesbaden stellte eine akute "Glaubwürdigkeitskrise" der Gewerkschaften fest und
forderte, dass man als Gewerkschaftslinke erkennbar nach aussen auftreten
und sich strikt auf ausserparlamentarische Opposition konzentrieren solle.

Eine Vertreterin der Sozialhilfe/Erwerbslosengruppen forderte den Kampf für
ein Existenzgeld. Weiterhin wurde mehrfach die innergewerkschaftliche
Demokratie kritisiert. Die sei angesichts von Kanzlerrunden, Ignoranz von
Basisentscheidungen und nicht zuletzt wegen des selbstherrlichen Abwürgen
des Streiks im Osten durch Zwickel "eine Katastrophe".

Anschliessend folgten diverse AGs. Ich hatte mich zu der "Aufarbeitung des
Streiks der IGM in Ostdeutschland" gesellt.

Das Einleitungsreferat hielt Karl-Friedrich Zais, IGM Betriebsrat aus Chemnitz und Landtagsabgeordneter der PDS in Sachsen. Er erzählte zunächst einiges zu den Streikhintergründen. So gibt es nach seinen Angaben rund 208.000 IGM-Mitglieder (davon ca. 50.000 Rentner und Vorruheständler) im Bezirk Berlin-Brandenburg/Sachsen. 52.000 Metaller waren vom Streik betroffen, 15.000 davon hatten letztlich gestreikt.

Entscheidende Bedeutung kam dem Streik bei FM in Dresden zu. Die produzieren Dichtringe für die gesamte europäischen Automobilindustrie. Daher wären schon nach 2 Wochen Streik internationale Auswirkungen kaum zu vermeiden gewesen. Bei der Urabstimmung am Donnerstag unter den 280 Beschäftigten hätten 75% für den Streik gestimmt, am Montag letztlich aber 120 Leute, die meist von ihren Meistern übers Wochenende bearbeitet wurden, doch gearbeitet. (Die Details mit dem Hubschrauber, Ministerunterstützung usw. erspare ich mir.) Dennoch ist es z.B. bei VW (Chemnitz?) gelungen, einen Prototypen für den Motor des Golf V, der für die Produktion in Wolfsburg dringend benötigt wurde, nicht aus dem Werk zu lassen - auch gegen den Willen von Herrn Hartz persönlich.

Die Streikenden hätten im Grunde den grössten Teil der Bevölkerung gegen
sich gehabt ("was wollen die, die haben schliesslich Tariflohn...", lautete
das Standardargument). Man kann faktisch von einem Bündnis zwischen Unternehmern und Bevölkerung gegen die Streikenden sprechen. Zudem gab es eine ständige Belagerung durch die Medien und deren parteiische Berichterstattung. Zwar hätte auch Streikführer Düwel sich auf ein Ende des Streiks vorbereitet, wollte jedoch wenigstens noch ein paar Zugeständnisse erreichen, um so das Gesicht wahren zu können. Vom Streikabbruch selbst habe er jedoch wie alle anderen auch nur aus dem Radio gehört.

Ein anwesender BR und IGMler aus Köln hingegen meinte, dass die IGM-Führung
die Härte des bevorstehenden Streiks sträflich unterschätzt habe. Zwar
hätten auch interne Auseinandersetzungen in der IGM-Führung eine Rolle
gespielt, er würde aber nicht soweit gehen, die These von einem gezielten
Streikscheitern zu unterstützen.

In der folgenden Diskussion - die TeilnehmerInnen waren alle nicht direkt am
Streik beteiligt, einige hatten jedoch in Berlin und Umland die Streikposten
unterstützt - kam es zu kontroversen Darstellungen. In Hennigsdorf hätte die
Bevölkerung vom Streik garnichts mitbekommen, wohingegen einer, der bei ZF
war, meinte, dass er erstaunt über die hohe Kampfbereitschaft dort war. In
Berlin sei auch die Stimmung unter der Bevölkerung mehr für den Streik
gewesen (was aber möglicherweise an der aktuellen Betroffenheit vom
Sozialabbau dort gelegen haben könnte), während alle anderen aus anderen
Gegenden die Aussagen von Zais hinsichtlich der eher feindseligen Haltung
der Bevölkerung bestätigten.

Anschliessend wurde die Streiktaktik der Gewerkschaften kritisiert.
Scheinbar wussten die Streikenden nirgendwo genau, ob nun am nächsten Tag
gestreikt wird - manchen hätten wohl nur aus den Medien vom bevorstehenden
Streikbeginn in ihrem Betrieb erfahren. Generell wurde die
Informationspolitik bemängelt und gegen die Führung gewettert.

Zum Schluss wurde noch mal auf die entscheidende Bedeutung der aktuellen
Tarifbewegung der IGM verwiesen, die - wie mehrere RednerInnen betonten - in
ihrer Bedeutung von den meisten noch gar nicht erkannt würde. Es wurde eine
engere Vernetzung der Gewerkschaftslinken und die Abhaltung einer Konferenz
zur Privatisierung im öffentlichen Dienst vereinbart.

Also insgesamt nix spektakuläres. Wer vermutet hatte, vielleicht was von
irgendwelchen Gründungsbestrebungen in Richtung Basisgewerkschaften zu
hören, wurde enttäuscht. Zumindest im offiziellen Teil standen alle in Treue
fest zu ihren Vereinen. (In Pausendiskussionen war teilweise schon ein erhebliches
Frustpotential zu spüren und mitunter auch Gedanken in diese Richtung zu
hören).

Und last but not least habe ich erfahren, dass inzwischen von Arbeitermächtigen eine 5. Internationale angestrebt wird und die KollegInnen von Spartakist aktuell die Verteidigung der chinesische Revolution von 1949 sich auf ihre Fahnen geschrieben haben.

Weitere Informationen bei www.labournet.de