ALCAN: Arbeiterkontrolle in Jonquière (Kanada)

Als die Führungsetage des Multis ALCAN während des Weltwirtschaftsforums im schweizerischen Davos die Schließung der Aluminiumschmelzen der kanadischen Arvida ankündigten, hatte sie ohne Zweifel nicht mit der Büchse der Pandora gerechnet, die sie damit geöffnet haben. Natürlich hatte jeder mit Wutausbrüchen von Seiten der ArbeiterInnen gerechnet, wie schon allein die Anwesenheit der Aufstandsbekämpfungseinheit der Provinz Quebec in Jonquière zeigt, kaum das die Nachricht die Runde machte. Aber mit "dem", was dann passierte, hatte niemand gerechnet.

Wie denn auch, wer konnte schon damit rechnen, dass im Jahr 2004 in Quebec eine lokale Gewerkschaft unbekümmert die Anlagen eines mächtigen Multis besetzen würde, und dazu noch als Druckmittel damit beginnen würde die Produktion unter der Kontrolle der ArbeiterInnen wieder voll anzufahren? Genau das aber hat das "Syndikat national des employés d'aluminium d'Arvida", die landesweite Gewerkschaft der Aluminiumarbeiter von Arvida (SNEA) getan.

Monatelang wurde die Arbeiterklasse in der Region Saguenay-Lake-Saint-Jean von einer schlechten Nachricht nach der anderen heimgesucht. Der Verlust gutbezahlter Jobs hat sich vervielfacht. Im Mai 2003 ging die Forst-Kooperative von Laterrière (650 Jobs) in den Konkurs. Kurz vor Weihnachten kündigte Abitibi-Consolidated die Schließung ihres Werkes in Port-Alfred mit 650 Beschäftigten an. Und ALCAN setzte noch einen drauf mit der vorzeitigen Schließung seiner Söderberg-Schmelze im Industriekomplex Jonquière und der Vernichtung von weiteren 550 Jobs. Gegen all das sind die Aktionen der Gewerkschaft gerichtet.

**Arbeiterkontrolle**

Am Wochenende des 24. Januar berief der Gewerkschaftsvorstand ein "Krisentreffen" ein, auf dem hundert Vertrauensleute die Strategie diskutierten. Normalerweise beschließen solche Treffen psychosoziale Hilge für die Lohnempfänger, die ihre Beschäftigung verlieren und versuchen, einen bestmöglichen "Sozialplan" auszuhandeln. Am Montagmorgen fand hinter verschlossenen Türen eine Vollversammlung der Gewerkschafter statt, um die vorgeschlagene Strategie vorzustellen und darüber abzustimmen. 2.000 ArbeiterInnen beteiligten sich und nicht ein Sterbenswörtchen verließ den Raum. Die Presse mutmaßte, dass sich die Druckmittel auf einen Boykott von Überstunden beschränken würden.

Am nächsten Tag, Dienstag den 27. Januar, deckte die Gewerkschaft ihren Aktionsplan auf und informierte die Öffentlichkeit darüber, was in der Nacht geschehen war. Die Grundidee war einfach: Wiederaufnahme der Produktion unter ihrer Kontrolle, bis ALCAN sich schriftlich bereit erklärt, durch Investitionen Ersatzjobs in der Region zu schaffen. Am Montag Abend nach der ersten Vollversammlung ihrer Mitglieder hatte die Gewerkschaft begonnen ihre Strategie in die Tat umzusetzen und die Arbeiter der Söderberg-Schmelze dazu aufgefordert, den vollen Betrieb aufrecht zu erhalten. Die erste geschlossene Halle mit Schmelzöfen nahm den Betrieb wieder auf und die Gießerei, die im vergangenen Sommer geschlossen worden war, wurde wieder mit flüssigem Metall versorgt.

Nach Angaben von Claude Patry, dem Gewerkschaftsvorsitzenden, sind die Arbeiter in der Lage, den Betrieb von Söderberg über einen langen Zeitraum aufrecht zu erhalten. Die ArbeiterInnen kontrollierten die komplette Fertigungskette von der Anlieferung des Bauxits in den Hafenanlagen über die Schmelze, ebenso wie das chemische Werk von Vaudreuil, wo das Bauxit in Alumnium umgewandelt wird, das Schienennetz und die hydroelektrische Stromversorgung.

Die Unterbrechung der Versorgung mit ausländischem Bauxit oder mit Strom ist nach Angaben der Gewerkschaft nicht im Interesse von ALCAN, weil die anderen Werke des Konzerns in Alma, Laterrière und der Hudson Bay ebenfalls darunter leiden würden.

Das beste an der ganzen Geschichte ist, dass bis jetzt ALCAN für die Löhne der ArbeiterInnen aufkommen muss, weil sich der ganze Schließungsprozess bis in den März hinzuziehen droht.

Das vollständige Wiederanfahren der Produktion unter Kontrolle der ArbeiterInnen ist in gewissem Sinn der Joker im Pokerspiel der Gewerkschaft. An einen Streik, die traditionelle Waffe, ist in diesem Zusammenhang nicht zu denken, weil ein Streik die Schließung der Schmelze bedeuten würde, was ja genau das wäre, was die Eigentümer wünschen. Es ist deshalb wichtig deutlich zu machen, dass in diesem speziellen Fall die Arbeiter am längeren Hebel sitzen.

Eine Schmelze dicht zu machen ist eine komplexe Operation, zu der die Kooperation der ArbeiterInnen gebraucht wird. Die Firmenleitung ist dafür auf die Zustimmung der Gewerkschafter angewiesen, solange sie nicht einfach beschließt, die komplette Produktion zu verlieren, indem sie die Belieferung mit Energie einstellt. Hinzu kommt, dass durch das Hochfahren der Produktion auf Vollast, die Gewerkschaft ALCAN davon abhält ihren Strom in die USA zu verkaufen (was eines der erklärten Ziele der ganzen Operation ist).

Auf eine Nachfrahe nach der Legalität der "Besetzung" antwortete der Gewerkschaftsvorsitzende Claude Patry, dass es ja schließlich nicht illegal sei, weiter zu arbeiten. Das Arbeitsgericht von Quebec mochte diese Auffassung allerdings nicht teilen und erklärte nach fünf Tagen Produktion unter Arbeiterkontrolle die Besetzung für illegal. Die ArbeiterInnen in der Schmelze der ALCAN in Jonquière erklärten darauf hin, dass sie die Besetzung unabhängig davon fortsetzen werden, was das Arbeitsgericht meint.

Sie veröffentlichten am 2. Februar eine Presseerklärung, in der sie darauf hinwiesen, dass es unter der Kontrolle der ArbeiterInnen große Produktivitätsgewinne gegeben habe. In einer Woche wurden 1.500 metrische Tonnen Aluminium erzeugt. Diese seien 2.25 Millionen Kanadische Dollar wert und könnten durch Weiterbearbeitung 9 Millionen Kanadische Dollar erwirtschaften. Sie erklärten weiterhin, dass die Produktion ruhig weiterginge, obwohl des Sabotageversuche von Seiten des Managements gäbe und die Bosse unkooperativ seien.

Die Arbeiter verlangen schriftliche Garantien von ALCAN,bevor die es dem Konzern gestatten würden, seine alten Anlagen zu schließen. Sie fordern ein neues Aluminiumwerk in Jonquière und die Umwandlung der Anlagen im Komplex von Jonquière.

Es wurde beispielsweise vorgeschlagen, dass die Firma zusammen mit einem Automobilkonzern in Jonquière investiert und so einige tausend neue Jobs schafft. Ausserdem wollen die ArbeiterInnen von ALCAN, dass neue Fertigungsbetriebe in der Gegend hochgezogen werden. Die Forderungen konzentrieren sich dabei auf fünf Felder: Erhöhung und gleichzeitige Diversifizierung der Produktion der Fabrik von Vaudreuil, Konzentrierung der gesamten Anodenproduktion innerhalb des Konzerns in die Region, die Rückverlagerung der Reperatureinrichtungen nach Quebec, Erhöhung der Investitionen für Grafitkathoden und die Gründung eines Servicezentrums für alle ALCAN-Einrichtungen der Region.

Offensichtlich haben die Gewerkschafter die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung der Gegend. Innerhalb von 48 Stunden ist es dem Gewerkschaftsrat bei ALCAN gelungen, mehr als 5.000 Leute für die Unterstützung der Forderungen in Jonquière auf die Strasse zu bringen.

Es liegt auf der Hand, dass die ganze Operation, auch wenn sie sehr kreativ und sehr kämpferisch ist, sich dennoch innerhalb eines strikt legalistischen und reformistischen Rahmens bewegt. Man wird abwarten müssen, wie die Gewerkschaft sich jetzt, da die Besetzung für illegal erklärt worden ist, verhalten wird.

Im Moment sagt die Führungsspitze der "Quebec Federation of Labour" (QFL), der die Gewerkschaft vor Kurzem durch ein Zusammengehen mit den "Canadia Auto Workers" beigetreten ist, dass sie die Aktion voll und ganz unterstützt. Henri Masse, der Vorsitzende der QFL, hat damit gepunktet, dass er in einer offiziellen Erklärung sagte: "Wir unterstützen voll und ganz den kreativen Widerstand durch die spektakuläre Aktion, die unsere Mitglieder bei ALCAN in Jonquière durchgeführt haben".

Wirklich sensationell aber ist das, was diese Aktion in den Köpfen der Leute ausgelöst hat. Dem Management wird das Recht zur Führung der Firma rundweg verweigert und stattdessen eindrucksvoll eine Arbeiterkontrolle eingeführt. Und letztlich ist es von der Arbeiterkontrolle zur Selbstverwaltung nur ein kleiner Schritt!

[Collectif anarchiste La Nuit (NEFAC-Québec)]