Proteste bei der Pressekonferenz der IG Farben

Frankfurt/M: "Wir haben beschlossen, wegen drohender Zahlungsunfähigkeit unverzüglich Insolvenz anzumelden", sagte der Liquidator der I.G. Farbenindustrie AG in Abwicklung (i.A.), Rechtsanwalt Pollehn, auf der Pressekonferenz in Frankfurt. Auslöser seien Zahlungsschwierigkeiten des Immobilien- und Beteiligungskonzerns WCM, der die Immobilien der Rechtsnachfolgerin der I.G. Farben erwerben sollte.
Mit dieser angeblichen Zahlungsunfähigkeit versucht sich die IG Farben vor der Entschädigung der Opfer zu drücken.
Die Pressekonferenz wurde von Protesten von Gegnern und früheren Opfern begleitet.

Wir dokumentieren die Redebeiträge der Protestkundgebung:

IG Farben angeblich zahlungsunfähig

Wo bleiben die Gelder zur Entschädigung der Opfer? - Das ist nicht erst heute die Frage an die Liquidatoren, an die Vorstände, an die Aufsichtsräte und an die Aktionäre der IG Farben in Abwicklung.

Dieses Unternehmen ist der Rechtsnachfolger des größten europäischen Chemiekonzerns IG Farben - eines der kriminellsten Unternehmen Europas. Und dieses Unternehmen befindet sich schon seit Jahrzehnten in Abwicklung. Ihre Hauptversammlungen fanden in den vergangenen Jahren nur noch unter großem Protest und dem mächtigen Aufgebot der Polizei statt. Während bis in die 80er Jahre die Hauptversammlungen noch in den großen, schicken Frankfurter Hotels stattfanden, will inzwischen der IG Farben in Abwicklung kein Hotelier mehr Räumlichkeiten zur Verfügung stellen. Mit diesem Unternehmen will außer den schäbigsten Profiteuren niemand mehr etwas zu tun haben.

Auf der Hauptversammlung am 17. September 2001 wurde durch den Liquidator Otto Bernhardt das Jahr 2003 als Zeitpunkt bekannt gegeben, bis zu dem das Unternehmen vollständig abgewickelt sein soll. Das ließ hoffen, daß das Restvermögen endlich den Opfern der Zwangsarbeit zuteil wird. Denn bisher versuchte die Abwicklungsgesellschaft, die Liquidation hinauszuzögern, solange Masse vorhanden ist. Das Vermögen schrumpfte ohnehin von Jahr zu Jahr, indem Pensionen an ehemalige leitende Angestellte bezahlt wurden, obwohl diese Angestellten teils Angeklagte der Nürnberger Prozesse waren. Noch vor zwei Jahren betrug das Vermögen mehrere Millionen Euro. Und jetzt kommt die unglaubliche Pressemeldung: Das Unternehmen IG Farben in Abwicklung ist zahlungsunfähig. Die IG Farben hat ihr Restvermögen endgültig vernichtet und damit die Zwangsarbeiter ein weiteres Mal betrogen. Denn moralisch steht das gesamte Vermögen den Zwangsarbeitern zu.

Mit der angeblichen Zahlungsunfähigkeit drückt sich die IG Farben in Abwicklung vor der Entschädigung der Opfer.

Geschichte der IG Farben
Die Interessengemeinschaft Farben entstand 1925, indem die Badische Anilin- und Sodafabrik in Ludwigshafen ihren Namen in IG Farbenindustrie AG änderte und sich mit den Konzernen Farbenwerke Höchst, Bayer, Agfa, Cassella und Kalle zusammenschloß. Dabei entstand eines der größten Industrieunternehmen Deutschlands. Das Stammkapital betrug 1926 rund 1,1 Milliarden Reichsmark. Dieses Riesenunternehmen expandierte rasch.

Das Verhältnis der IG FARBEN zur NSDAP und dem Nationalsozialismus entwickelte sich zügig und war für beide Seiten von großer Bedeutung. Obwohl die IG Farben nicht zu den ersten Unterstützern Hitlers gehört hatte, war sie sich dennoch sicher: Eine Zurückdrängung der rebellierenden Massen in der Arbeiterschaft und der gleichzeitige wirtschaftliche Aufstieg waren nur durch die Diktatur eines "Führers" möglich, dem blind zu gehorchen sei (Carl Duisberg, Generaldirektor der Bayer AG).

IG Farben rüstet zum Krieg
Die IG Farben entwickelten sich im Verlauf des deutschen Faschismus zum Paradebeispiel für die Verknüpfung der deutschen Wirtschaft mit dem nationalsozialistischen System: Schon vor der Machtübergabe ließ der Konzern der NSDAP finanzielle Unterstützung zukommen. Und das sollte sich für das Unternehmen später auszahlen. Bereits 1933 wurde zwischen der IG FARBEN und Hitler ein Vertrag unterzeichnet, der der IG Farben die Alleinrechte zur Benzinversorgung der Wehrmacht sicherte. 1936 präsentierte Hitler in einer "Denkschrift" seine Ziele: Die deutsche Wehrmacht muß in vier Jahren einsatzbereit sein. Die deutsche Wirtschaft in derselben Zeit kriegsfähig. Diese "Denkschrift" hatte Carl Krauch, Direktor der IG Farben, mitverfaßt und teilweise initiiert. Durch diese Vorgabe waren die Weichen gestellt. Deutschland steuerte in den Krieg und die IG Farben in unermeßliche Gewinne.

Durch die Kriegseinsätze mangelte es an Arbeitskräften, so daß die IG Farben immer lauter Zwangsarbeiter forderte. 1942 wurde das KZ Monowitz gebaut. Obwohl es Werksgelände der IG Farben war, hatte es doch alle Einrichtungen für ein Konzentrationslager, inklusive eigenem Gleisanschluß. Der Begriff der "Vernichtung durch Arbeit" wurde für die IG Farben zum Leitsatz.

Einige ihrer Manager wurden Wehrwirtschaftsführer und planten die Vernutzung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in den Konzentrationslagern sowie in den von den Deutschen besetzten Gebieten Europas. Die IG Farben war für die Wirtschaft vor allem deshalb von Bedeutung, weil sie Kohle in synthetisches Benzin und in synthetisches Gummi (Buna) verwandelte; ohne diese Stoffe war kein Krieg zu führen. Neben seiner Rolle als Rüstungsbetrieb war der Konzern auch als Besatzer in den von Deutschland eroberten Ländern aktiv.

Zyklon B und Menschenversuche
Am 25. Oktober 1941 wurde Zyklon B, ein Schädlingsbekämpfungsmittel auf Blausäure-Basis, zum ersten Mal an Menschen getestet. Ein Gruppe von 800 russischen Kriegsgefangenen wurde in einer Gaskammer von Auschwitz damit getötet. Rudolf Höß, der Leiter des Konzentrationslagers Auschwitz, bestellte über 10.000 Kilo des Giftes. Lieferantin war die DeGesch (Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung), eine Tochter der IG Farben. Auch im Bereich der Arzneimittelherstellung machte sich der Konzern das Vernichtungsprogramm der Nazis zunutze. Es fanden barbarische Versuche an Menschen statt. Die Opfer wurden mit Krankheitserregern infiziert und anschließend mit meist wirkungslosen Medikamenten behandelt. Nur wenige überlebten diese Prozedur - so war es geplant.

Befreiung und Anklage
Nach der Befreiung von der Hitlerbarbarei wurde auch die IG Farben angeklagt. Die Anklageschrift, die am 3. Mai 1947 vorgelegt wurde, erhob unter anderem die Vorwürfe der Planung, Vorbereitung und Durchführung eines Angriffskrieges, von Raub und Plünderungen, der Ausbeutung und Vernichtung von Zwangsarbeitern und der Mitgliedschaft in der SS. Eine Anklage wegen Gewinnmaximierung durch Krieg, Ausbeutung und Mord fand sich damals ebenso wenig, wie dies wahrscheinlich heute der Fall wäre. In vielen Anklagepunkten wurden die Herren Direktoren freigesprochen, u. a. in den Punkten "Teilnahme am Massenmord" und "Verbrecherische Menschenversuche". Sie wurden zu lächerlich geringen Haftstrafen von nicht mehr als acht Jahren verurteilt. Schon drei Jahre später wurden alle Verurteilten begnadigt und fanden sich wenig später in führenden Positionen der deutschen Wirtschaft wieder.

Die IG Farben heute
Am 25.5.1955 zog die 1. Hauptversammlung der IG Farben Bilanz. Indem die Nachfolgekonzerne mit ausreichend Stammkapital ausgestattet worden waren, waren die Gründerfirmen mit 90% des Vermögens gesichert. Ein kleiner Teil dieses Vermögens blieb in den Händen der IG FARBEN, die sich nun den Namenszusatz "in Liquidation - i.L." gab. Durch die Ausgabe sogenannter Liquidationsscheine war außerdem gesichert, daß die alten Aktionäre auch die Neuen waren.

Seitdem hat das Unternehmen seine endgültige Auflösung und damit die Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter systematisch verschleppt und immer neue Gründe für die Verzögerungen vorgebracht. Seit Jahrzehnten werden die Opfer von damals verhöhnt, die ihnen zustehenden Entschädigungen werden ihnen vorenthalten. Indem die IG Farben in Abwicklung nun mit Zahlungsunfähigkeit droht, scheint sie ihr lang verfolgtes Ziel erreicht zu haben: Eine Auflösung des Unternehmens, ohne daß das Vermögen ausgezahlt werden muß. Dies wäre ein letzter Schlag ins Gesicht der ehemaligen Zwangsarbeiter. Ihnen wird damit jede Aussicht auf Entschädigung endgültig genommen.

Wir fordern das Ende dieser Machenschaften und die sofortige Entschädigung der Zwangsarbeiter!

Heike und Frank (FAU-Ffm)

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