IG BAU - Reinigungskräfte in der Hartz-Falle

Es wird der November 2003 sein, in dem die Industriegewerkschaft Bauen Agrar Umwelt (IG BAU) erstmals in ihrer Geschichte einen einst hart erkämpften Tarifvertrag ohne jede Gegenwehr um bis zu 20 % nach unten absenkt.

Die Ursachen für die vollständige Demontage der Löhne im Reinigungsgewerbe liegen indes in der Politik aller DGB-Gewerkschaften: Bereits seit dem Frühjahr 2002 gestalteten sie ihren Niedergang mit der Teilnahme an der sogenannten "Hartz-Kommission" nachhaltig mit ­ jetzt müssen die Reinigungskräfte dafür zahlen.

Die Betriebsratsvorsitzende der Potzblitz Gebäudereinigungs GmbH (Name
geändert) in Hamburg traute ihren Ohren nicht. Gerade hatte sie erfahren, dass ihre Gewerkschaft die Löhne der Beschäftigten um bis zu 20 % senken- und auch der Streichung diverser Leistungen des Rahmentarifvertrages der Branche zustimmen will. "Wie ist so etwas möglich?", fragte sich die Gewerkschafterin mit zornesrotem Gesicht.

Wir schreiben den 15. August 2002, als der Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschafts Bundes (DGB) eine interne Gesamtbewertung des sogenannten "Hartz-Konzeptes" verbreitete ­ Produkt eines zweifelhaften
Expertengremiums, dem auch einige wenige GewerkschafterInnen angehörten.

"Der DGB begrüßt das von der Kommission ´Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt´ unter der Leitung von Peter Hartz vorgelegte Gesamtkonzept", hiess es damals, und: Die "aktive Arbeitsmarktpolitik mit einer ausgewogenen Balance des Förderns und Forderns verspricht die rasche und nachhaltige Integration von Arbeitssuchenden und Arbeitslosen in den regulären Arbeitsmarkt".

Ein wichtiger Punkt des Hartz-Konzeptes war bereits zu diesem Zeitpunkt
die massive Ausweitung der Leiharbeit, die Demontage des
Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes AÜG als Schutzfunktion vor zügellosem Verleih und die Einrichtung von "Personal-Service-Agenturen (PSA´s)".

Dazu äußerte zwar unter anderem die IG BAU leise Kritik ("Gerade für Arbeitnehmer unseres Organisationsbereiches kann die Gefahr einer Verdrängung
regulärer Beschäftigungsverhältnisse nicht völlig ausgeschlossen
werden"), schwächte diese aber mit einer beinahe schon lasziven Zustimmung im gleichen Kommentar wieder ab: "Unsere Anmerkungen dürfen deshalb keineswegs als Generalkritik am Gesamtkonzept missverstanden werden (...)".

Doch damit nicht genug: Trotz massiver Proteste aus der Mitgliedschaft traten
die Gewerkschaften Anfang 2003 in Tarifverhandlungen mit den Arbeitgebern der Leiharbeitsbranche ein. Obwohl die Bundesregierung nach langem Ringen die europäische "Equal Pay"-Verordnung unter §3 im AÜG gesetzlich verankerte, hebelten die Einzelgewerkschaften des DGB genau diesen
Gleichbehandlungsgrundsatz durch Abschluss eines Tarifvertrages wieder aus und autorisierten damit im Frühjahr 2003 flächendeckend Dumpinglöhne
in der Leiharbeit.

Heute hört sich das natürlich völlig anders an: "Unter Hunderten von
Änderungen und Neuerungen befand sich am 23. Dezember 2002 in Berlin auch die Neuregelung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes. Ein echtes Kuckucksei war das, kurz vor Weihnachten." ("Der Grundstein", Mitgliederzeitschrift der IG BAU, Oktober 2003). Nun versuchen die vermeintlichen Spitzenfunktionäre der IG BAU, aber auch anderer Gewerkschaften, ihre Hände in Unschuld zu waschen. Niemand habe geahnt, welch Sprengstoff in den Hartz-Gesetzen liegt, wohl nicht einmal der Gesetzgeber, wurde beispielsweise unserer Betriebsratsvorsitzenden und der Hamburger Fachgruppe der GebäudereinigerInnen berichtet ­ eine glatte Lüge.

Bereits kurz nach Veröffentlichung des Hartz-Konzeptes im August 2002
hatten KritikerInnen in allen Einzelgewerkschaften vor allem die Gefahr
des Lohndumpings immer wieder betont und die Verhinderung des Hartz-Konzeptes gefordert. Auch innerhalb der IG BAU gab es mindestens in Berlin, Hamburg und im Ruhrgebiet zum Teil erheblichen Protest gegen die Unterstützung
der Pläne. Deren Bundesvorsitzender Klaus Wiesehügel sah sich am 22.
März diesen Jahres sogar dazu genötigt, den Hamburger Bezirksverbandstag
der IG BAU für seine Verantwortung an Hartz um Entschuldigung zu bitten: er habe sich in der Bewertung der politischen Gesamtsituation "geirrt".

Schon kurz nach Verabschiedung der Hartz-Gesetze I und II im Dezember 2002
hatten gleich mehrere Konzerne u.a. der Automobilindustrie angekündigt,
Teile ihrer Stammbelegschaften durch Leihkräfte zu ersetzen und seit
Sommer diesen Jahren nutzen die Arbeitgeber des Reinigungsgewerbes die neuen Möglichkeiten:

Statt weiterhin nach dem für sie unattraktiven weil "teuren" Tarifvertrag der IG BAU arbeiten zu lassen, gründeten einige Unternehmen schlicht Briefkastenfirmen im Leiharbeitsbereich, nötigten ihre MitarbeiterInnen mit Kündigungsdrohung, künftig dort unter Vertrag zu gehen und wendeten den wesentlich niedrigeren DGB-Tarif für LeiharbeiterInnen an (Lohnverlust: fast 30%).

Trotz gültiger und allgemeinverbindlicher Tarifverträge bis Ende 2004 läßt sich die IG BAU deshalb jetzt hinreissen, ihre eigenen Vereinbarungen kampf- und beinahe lautlos um das von den Arbeitgebern gewünschte Mass abzusenken. Die Folgen sind dramatisch:

Statt 8 Euro stündlich werden ungelernte Reinigungskräfte künftig nur noch 7,58 Euro erhalten, den heutigen Tarif erreichen sie dann frühestens im Jahre 2006 wieder. In höheren Tarifgruppen und in Bundesländern wie Bayern wirken sich die Absenkungen noch weit dramatischer aus.

Als sei dies alles noch nicht genug, fällt mit den gesenkten Tariflöhnen auch die einst hart umkämpfte Jahressondervergütung ­ eine Art 13. Monatseinkommen - im
neuen Bundesrahmentarif unter den Tisch. "Wer", fragt die Hamburger Betriebsratsvorsitzende daraufhin, "wer garantiert uns denn, dass nicht in wenigen Monaten die nächsten Kürzungen gefordert werden ?".

Natürlich kann
ihr das niemand garantieren, schon gar nicht die zuständige Irmgard
Meyer (IG BAU Bundesvorstand) oder Branchensekretär Andreas Wittig, der
zur Hamburger Fachgruppensitzung eigens aus Frankfurt angereist war. Aber Wittig sagt auch, dass "wir (...) alles daransetzen (werden), der Politik deutlich zu machen, was für einen Mist sie da gemacht hat."

Theoretisch muss er damit auch den Bundesvorstand seiner Organisation meinen, der "diesen Mist" im August letzten Jahres in aller Form abgenickt hat. Und selbst
nach seinem Kniefall vor dem Hamburger Bezirksverbandstag sah sich Klaus Wiesehügel nur Wochen später nicht daran gehindert, gemeinsam mit Vorstandsmitglied Dietmar Schäfers die Tarifverträge für Leiharbeiter zu
unterzeichnen.

Jene skandalösen Dumpingverträge zwischen den DGB-Gewerkschaften und dem
Bundesverband Zeitarbeit (BZA) sowie der Interessengemeinschaft
Zeitarbeit (IGZ) regeln seit ihrer Unterzeichnung Ende Mai, bzw. Anfang Juni diesen Jahres Löhne und Arbeitsbedingungen der LeiharbeitnehmerInnen in Deutschland. Seitdem ist es nicht mehr anstößig, ArbeiterInnen tarifär nur 24 Tage Jahresurlaub zuzugestehen. Die Entlohnung in Höhe des Arbeitslosengeldes in den ersten sechs Wochen, bzw. 6,85 Euro stündlich im Anschluss für "Tätigkeiten, die eine kurze Anlernzeit erfordern" sind darin ebenso gewerkschaftlich abgesegnet, wie jährliche Lohnsteigerungen von üppigen 2,5% bis ins Jahr 2007.

Das ist es also nun, was der DGB-Vorsitzende Michael Sommer während einer "Kommunikationskampagne" der Gewerkschaft im April in Hamburg mit den Worten emporhob: "Kollegen, Ihr wißt überhaupt nicht, was wir mit diesen Tarifverträgen erreicht haben!

Zum ersten Mal ist die Leih-Branche reguliert!"

Die Reinigungskräfte in Deutschland werden sich bedanken, sie sind sozusagen zu Tränen gerührt. Dank der tarifpolitischen Weisheit des Deutschen
Gewerkschaftsbundes verdienen sie im Jahresschnitt künftig zwischen 10%
und 20% weniger ­ und machen damit nur den Anfang. So ist das, wenn Dummheit Schatten wirft...

OH

http://www.labournet.de/branchen/dienstleistung/rg/dummheit.html