i2002 Internationale Solidaritätskonferenz in Essen, 29.8 - 1.9.2002 - Ein Konferenzbericht

Es gibt keine Alternative zur sozialen Revolution

«ZECHE CARL». Das ist ein Sozial- und Kulturzentrum in den Gebäuden einer ehemaligen Kohlenmine. Mitten im einstmals "roten Ruhrgebiet", in Essen. Oder besser: mitten im "schwarz-roten Ruhrgebiet", denn die umliegenden Industriestädte waren Anfang des letzten Jahrhunderts eine Hochburg von Anarchosyndikalismus und Unionismus.

Damals war es den radikalen ArbeiterInnen gelungen, zeitweilig den Sechsstundentag im Ruhrbergbau durchzusetzen, bevor ihre Milizen nach 1920 im Auftrag der sozialdemokratischen Reaktion zerschlagen wurden.

Es scheint, als habe dieser Rahmen ein wenig die international Konferenz inspiriert, zu der die Freie ArbeiterInnen Union (FAU), die deutsche Sektion der IAA, eingeladen hatte. Der Einladung waren 160 Militante aus 20 Ländern gefolgt, manche als Gruppe, manche individuell. Unter ihnen befanden sich, um nur diejenigen zu nennen, die den weitesten Weg hinter sich gebracht hatten, ArbeiterInnen aus Argentinien, Australien, Japan und Sibirien.

Viele mehr wären gerne gekommen, waren jedoch an den bürokratischen Hürden der «Festung Europa» gescheitert oder daran, die Mittel für die Reise inmitten einer globalen kapitalistischen Krise aufzubringen. Einige hatten stattdessen Grüße ausrichten lassen, wie z.B. die Auslandsregion der spanischen CNT, die "Industrial Workers of the World" (IWW) und die WSA aus den Vereinigten Staaten, die syndikalistische Erziehungsgewerkschaft aus Australien und viele andere.

FREITAG. Am ersten Konferenztag wurden verschiedene Vorträge gehalten, in denen es u.a. um die Krise der globalen Ökonomie ging, ebenso aber auch um die Potentiale einer weltweiten ArbeiterInnenklasse, die heute erstmals in der Geschichte weltweit die Mehrheit darstellt. Es ging um das Konzept der Direkten Aktion als kollektives und selbstbestimmtes Kampf-mittel der ArbeiterInnen und um unser Verhältnis zu betrieblichen Befriedungsorganen wie z.B. Betriebsräten.

Weitere Themen waren die weltweiten Wanderungsbewegungen und die Kämpfe von ArbeiterInnen ohne Papiere. In einem weiteren Vortrag rief die AG "Frau und FAU" dazu auf, eine internationale Dynamik zum Thema "Gender and Class" in Gang zu setzen. Drei kurze Berichte über aktuelle Kämpfe von ArbeiterInnen u.a. bei McDonalds rundeten zusammen mit einem eindringlichen Vortrag zu den aktuellen Geschehnissen in Argentinien den ersten Konferenztag ab. Das eine solche Informationsfülle überhaupt bewältigt werden konnte, lag nicht zuletzt auch an der fünfsprachigen Simultanübersetzung mit Unterstützung wohlgesonnener SpracharbeiterInnen.

Da das dichtgepackte Programm erwartungsgemäß sehr fordernd und anstrengend war und darüber hinaus noch Stoff für die eine oder andere hitzige Diskussion lieferte, tobte die Konferenz am Abend ausgelassen auf einem Konzert der Gruppen CHUMBAWAMBA (eine britische anti-royalistische Pop-Gruppe mit unverkennbaren Sympathien für den Anarchismus), RANTANPLAN (Ska-Punk) und SCHNITTER (Folk-Rock).
Schließlich hatten uns die deutschen GenossInnen ja angedroht: "Eine Revolution auf der ich nicht tanzen kann, ist nicht meine Revolution!"
(Emma Goldman).

SAMSTAG UND SONNTAG. Am zweiten und dritten Tag ging es dann in diversen Arbeitsgruppen richtig zur Sache. Die Workshops bildeten sich auf Basis der Wünsche und Erfordernisse der TeilnehmerInnen selbst und im Geist der Selbstverwaltung ("Niemand Fremdes soll für dich entscheiden!").
Die Konferenzorganisation hatte sich darauf beschränkt, den materiellen Rahmen zur Verfügung zu stellen und dafür zu sorgen, dass Interessierte die Arbeitsgruppen im Vorfeld vorbereiteten. Die Verantwortung für den konkreten Inhalt der Gruppen lag bei den TeilnehmerInnen und das funktionierte meistens recht gut. Es enstand so ein breites Spektrum von Workshops:

Branchengruppen: Transport, Bildung, Untersuchung & Befragung, Bausektor, Informationstechnologie & Kommunikation.

Internationalismus: Kooperation mit Osteuropa, McDonalds und die "Herausforderung" sich zu organisieren, die Kämpfe der Sans-Papiers, Internationale Solidarität und das Sprachproblem, Situation der ArbeiterInnen in den EU-Beitrittsländern.

"Klassiker", aber alles andere als im Schlußverkauf: Nationalismus, Frauen in syndikalistischen Organisationen, Strategien. Und schließlich noch eine AG zu einem Untersuchungsprojekt in Callcentern und - auf Vorschlag einer britischen (direkten) Aktionsgruppe - Prekarisierung und (tödliche) Arbeitsunfälle nebst einem Bericht über die Kampagne "Casualisation kills" (Prekarisierung tötet).

Der zweite Tag endete mit einer Reihe von Videovorführungen. Der Kampf der Bahnarbeiter von Kokuro: dieser Film wurde präsentiert von einer Gruppe japanischer Anarchosyndikalisten, die im Transportsektor arbeiten. Er zeigt die Geschichte eines Sozialplans à la Japonaise, der die Privatisierung einer Eisenbahnlinie begleiten soll. Von 180.000 ArbeiterInnen werden 120.000 auf die Straße gesetzt, ohne dass irgendein System der Unterstützung vorgesehen wäre. Der Staat beschließt, den Entlassenen neue Uniformen zu verpassen und sie in öffentliche Arbeitskolonnen zu stecken. Die Selbstmordrate unter den Deklassierten steigt dramatisch, die Privatisierung geht weiter.

Der Kampf der Bahnarbeiter dauert seit Jahren an, die japanischen Medien schweigen ihn vollständig tot. Die beiden anwesenden Bahnarbeiter erhoffen sich von der Vorführung eine größere Verbreitung der Informationen und eine Sensibilisierung der SyndikalistInnen aus den anderen Ländern: "Wir sind immer noch da und wir werden bis zum Ende kämpfen!"
(http://www.h4.dion.ne.jp/~tomonigo) und
(http://www.jca.apc.org/apwsljp/japan/No38.pdf)

Ein Mitglied der Kuriergewerkschaft SiMeCa aus Buenos Aires zeigt ein Video über die ihre Aktivitäten und die aktuellen Auseinandersetzungen in Argentinien. 50.000 Leute arbeiten alleine in Buenos Aires in diesem "jungen" Sektor. Die SiMeCa wurde gegründet in Abgrenzung zu den argentinischen Partei- und Staatsgewerkschaften und deren freigestellter Bürokratie. Im Anschluß an die Konferenz wird der Genosse durch verschiedene europäische Länder reisen, um über die Kämpfe der Gewerkschaft zu informieren.

Casualisation kills: Ein Video über den Fall von Simon Jones, der als Gelegenheitsarbeiter für eine gefährliche Arbeit in den Docks der Firma Euromin in Brighton verpflichtet wurde. Ohne irgendeine Aufklärung oder Einweisung erhalten zu haben, ohne Schutzausrüstung, kam er an seinem ersten Arbeitstag bei einem Arbeitsunfall ums Leben. Die Familie und Freunde besetzten daraufhin aus Protest die Docks von Euromin, machten mehrfach die Zeitarbeitsfirma dicht, blockierten eine Brücke im Zentrum Londons vor dem Gesundheitsministerium, drangen in das Industrie- und Handelsministerium ein, belagerten das Gericht. Euromin wurde letztlich schuldig gesprochen, die Kampagne gegen die Sklavenhändler und gegen die tödlichen Profite geht aber weiter (http://www.simonjones.org.uk).

Die Simon Jones Memorial Campaign betont, dass sie ausschließlich Mittel der Direkten Aktion im Zusammenhang mit ihrer Medienstrategie ver-wen-den. Auch wenn das punktuell erfolgreich ist, machen sie sich die Campaigners dennoch nicht allzu viele Illusionen hinsichtlich des langfristigen Drucks auf Autoritäten, Parlamente und Gerichte. Für sie ist das Wichtige die Verbreitung der Information und die gesellschaftliche Ausweitung der Debatte. Denn das Problem ist letztlich ein gesellschaftliches: Arbeitsunfälle sind kein isoliertes Phänomen, es ist vielmehr die Prekarisierung, die Flexibilisierung, die Logik der Ökonomie die tötet.

WAS BLEIBT? Drei Tage Vorträge und Arbeitsgruppen und doch war das noch nicht alles. Beim Frühstück, beim Mittagessen, bis tief in die Nacht hinein immer das gleiche Bild. Gruppen von Leuten, die in miteinander diskutieren, lachen, debattieren. Dazwischen Menschen mit Aufnahmegeräten auf der Suche nach Inter-view-partnerInnen: Wo und wie arbeitest du? Wie kommst du mit deinem Lohn über die Runden? Welche Kämpfe finden bei euch statt oder auch nicht? Um uns besser zu koordinieren, müssen wir erstmal anfangen uns genauer zu zuhören und verstehen zu lernen.

Es wurde auch gestritten auf der Konferenz. Das konnte und sollte nicht ausbleiben. Schließlich gibt es schon innerhalb der syndikalistischen "Familie" recht unterschiedliche und sich teilweise widersprechende Auffassungen hinsichtlich mancher Strategie und Taktik. Die sollten und brauchten nicht unter den Teppich gekehrt werden, in dem großen Prozeß des Kennenlernens, des kritischen Austausches, der Verabredungen praktischer Projekte über die Konferenz hinaus.

Was von den Euphorie, der Aufbruchstimmung und den diversen Projekten die nächsten Monate überdauern wird, werden wir hoffentlich bald sehen. Die Vorbereitungsgruppe hat bereits angekündigt bis zum Jahresende einen umfangreichen Reader zur Konferenz zu erstellen. Weitere Projekte sollen aus den Arbeitsgruppen kommen.

Die Internationale Solidaritätskonferenz hat sich ihres Namens als würdig erwiesen. Und so bleibt noch eine weitere Frage zu klären: Wann wird die nächste Konferenz stattfinden und wer wird sie organisieren?

Die Texte der Vorträge, Ergebnisse der Arbeitsgruppen und eine Menge weiteres Material werden in den nächsten Monaten auf der Konferenz-Website (http://www.fau.org/i2002) veröffentlicht. Weiterhin wird der Konferenzverteiler i2002-list@list.fau.org noch für einige Monate aktiv bleiben. Wer eingetragen werden möchte, kann eine Mail an i2002@fau.org schicken.