Der Schneeball rollt zum Arbeitsamt

Wie mit Hilfe von "Multi-Level-Marketing" Arbeitslose zu Selbständigen werden und die staatlichen "Startzuschüsse" in die Pyramidensysteme der MLM-Industrie fließen.

Um sieben in Berlin. Eine "Internetfirma" hatte mich zum Gespräch eingeladen. Schon geraume Zeit hechelte ich als erwerbsloser IT-Arbeiter vergebens Aufträgen hinterher. Und nun dieser Lichtstreif am Horizont.

Zusätzlich hatte man mir versichert, dass man genau solche Mitarbeiter wie mich zum Aufbau der Firma benötigen würde. Als ich im Raum saß, kam die erste Enttäuschung. Ein Einzelgespräch hatte ich erwartet. Der Schulungsraum war mit ca. 20 Leuten gefüllt. Nur zwei smarte Herren im feinen Tuch standen vor uns. Einer begann mit der Vorstellung der Firma. Anschließend stellte der zweite uns das Produkt vor: In nur 20 Minuten baute er einen fast kompletten Webauftritt. Cool, dachte ich, ein Meilenstein an Werkzeug in meinem Beruf. Der Hammer: Wir mögen die Software kaufen, um sie unseren Kunden und eigenen "Mitarbeitern" gut vorführen zu können - Schneeballsystem.

Doch es sollte noch schlimmer kommen. Jeder erhielt einen in sieben Punkt Schriftgrösse voll bedruckten Vertrag. Man sei an schnell entschlossenen Leuten interessiert, wurde angemerkt. - Klar doch: Die Verlierer sollten schnell unterschreiben.

Der Besitzer es Prouktes kassiert 714 Euro pro Jahr Nutzerlizenz, 50 Euro pro Jahr Partnerlizenz, 75 Euro Startpaket und 25 Euro für das Grundseminar - pro "Mitarbeiter", im Voraus. Die Firma: "Beschaffen Sie sich das Geld! Verkaufen Sie Ihren TV und die Stereoanlage. Vermieten Sie Ihr Bad und verzichten Sie auf ein paar Bierkästen. Angenommen jemand bietet Ihnen Ihr Traumhaus für 1.000,- EUR zum Kauf an. Würden Sie das Geld auftreiben? Sie haben das Geld!"

Beim Multi-Level-Marketing (MLM) kommen für die Probanden locker Summen von 800 bis 5000 Euro "Eintrittsgebühr" zusammen. Einmal müssen sie das Produkt - zu Demonstrationszwecken - selber kaufen. Manchmal müssen sie auch eine jährliche Lizenzgebühr bezahlen. Wenn sie dann auch das Starterpaket gekauft haben, unterschreiben sie einen Vertrag. Alles jährlich im Voraus. Und loslegen, um eigene Kunden für das Produkt zu akquirieren, dürfen diese Mitarbeiter erst, nachdem sie auch noch ein gebührenpflichtiges Grundseminar absolviert haben. So ist der neu gewonnene "Mitarbeiter" also selbst zum Kunden gemacht worden.

Und anstatt die Stereoanlage zu verkaufen, geht er zum Arbeitsamt, beantragt eine Ich-AG oder Übergangsgeld und erhält das "Startkapital". Auf Widerstände wird er dort wohl kaum stoßen - ist er doch sofort aus der Arbeitsamtsstatistik heraus. Und so saugt die clevere Firma über vier Ecken Geld aus dem Steuersäckel des Staates. Im oben genannten Beispiel wären das mindestens 864 Euro pro verkauftem Produkt.

Nun muss der neue "Mitarbeiter" weitere Kunden akquirieren, um mit den anteiligen Provisionen seine Startinvestition wieder rein zu holen. Allein mit den Provisionen kann er aber nicht viel Geld verdienen. Auch er wird versuchen, eigene Mitarbeiter zu gewinnen. Da er seinen ersten Mitarbeiter an den Werber abgeben muss, der ihn geworben hat, liegt es in seinem Interesse mehrere Mitarbeiter "einzustellen". Diese wiederum müssen jeweils ihre ersten Mitarbeiter an ihn abgeben etc. etc. ... Die Pyramide beginnt, sich für den Produktinhaber zu rentieren. Aus dem Verkauf des Produktes, den Lizenzgebühren, den Gebühren für das Grundseminar und dem Verkauf des Starterpaketes erhält er den Mammutanteil.

In Deutschland wird die Anwendung von MLM durch den § 6c UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) geregelt. Darin wird eingeschränkt: "Wer es im geschäftlichen Verkehr selbst oder durch andere unternimmt, Nichtkaufleute zur Abnahme von Waren, gewerblichen Leistungen oder Rechten durch das Versprechen zu veranlassen, sie würden entweder von dem Veranlasser selbst oder von einem Dritten besondere Vorteile erlangen, wenn sie andere zum Abschluss gleichartiger Geschäfte veranlassen, die ihrerseits nach der Art dieser Werbung derartige Vorteile für eine entsprechende Werbung weiterer Abnehmer erlangen sollen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."

Die Betonung liegt hier auf "Nichtkaufleute". Nach all den versprochenen Vorteilen und den gut geschulten Ausführungen der Werber liegt es für Erwerbslose nahe, volle Selbständigkeit zu erlangen. Das Unternehmen sichert sich auf diesem Weg juristisch ab und bietet für den Schritt in die Selbständigkeiten in ihren Veranstaltungen auch gleich allerlei Hilfen an. Schon im Vertrag machen sie den "Mitarbeiter" zu einem "Handelsvertreter im Nebenberuf".

Kollegen, lasst uns ausfindig machen, wann und wo solche Firmen ihre Werbeveranstaltungen durchziehen. Klären wir die "Verlierer" auf. Die "1ab GmbH" ist zur Zeit sehr aktiv mit ihrem "WebMaker-Vertrag". Damit kein Kristall mehr am Schneeball hängen bleibt und am Ende von diesem zerstört wird.