Freiheit für Giannis Serifis

Übersetzung der Prozesserklärung von Ralf Dreis im momentan in Athen gegen die griechische Stadtguerilla 17November stattfindenden Prozess.

Er sagte als Mitglied der FAU (Freie ArbeiterInnen Union) am 18. Juni 2003 als Entlastungszeuge des mitangeklagten Anarcho-Syndikalisten Giannis Serifis aus.

Ich befinde mich hier in Athen als Entlastungszeuge von Giannis Serifis und als Mitglied der anarchistischen, deutschen Gewerkschaft FAU.
Im Gegensatz zu den großen, reformistischen Gewerkschaften in Deutschland versuchen wir eine Bewegung aufzubauen, die das herrschende System in Frage stellt; eine kämpferische und letztendlich revolutionäre Bewegung mit dem Ziel, das System der Unterdrückung und Ausbeutung zu stürzen.

In unserem Kampf benutzen wir die Mittel der direkten Aktion wie z.B. Besetzungen, Streik, Sabotage, Demonstrationen, Boykott, Flugblätter u.s.w. In unserer Gewerkschaft existiert kein hierarchischer Aufbau, keine Führung und niemand wird für seine/ihre Aktivitäten bezahlt. Die Mitglieder in jeder Stadt entscheiden gemeinsam über ihre Aktivitäten.

Mit dieser Form der Organisierung versuchen wir der Vereinzelung der Menschen in der heutigen Gesellschaft entgegenzuwirken, und gleichzeitig die Fähigkeit zu fördern verantwortlich Entscheidungen für das eigene Leben zu treffen. Wir stellen uns gegen die weit verbreitete Hoffnungslosigkeit um gemeinsam für eine revolutionäre Veränderung auf freiheitlicher Basis kämpfen zu können.

Ein Grundpfeiler des kapitalistischen Systems ist die Verfügungsgewalt von Staat und Kapital über die Produktionsmittel. Als Menschen die sich gezwungenermaßen – um zu überleben – tagtäglich der Sklaverei der Lohnarbeit ausgesetzt sehen, kämpfen wir in diesem Bereich, um die Ausbeutung von uns allen durch einige Wenige zu beenden. Ziel ist die Selbstorganisierung der Arbeitenden, damit diese in der Lage sind sowohl die Produktionsmittel als auch ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Um dies zu erreichen ist es nötig in allen gesellschaftlichen Bereichen zu aktiv zu sein, da diese sich gegenseitig bedingen und ineinander greifen.

So werden z.B. in diesen Tagen GenossInnen in Thessaloniki (EU-Gipfel) sein, um mit Menschen aus aller Welt zu diskutieren, und gemeinsam mit zehntausenden gegen die Festung Europa, gegen Sozialabbau, gegen rassistische Abschiebungen und gegen imperialistische Kriege im Namen des Menschenrechts zu demonstrieren.

Als die griechische Polizei im Oktober 2002 zum wiederholten Male unseren Genossen Giannis Serifis verhaftete – dieses Mal mit dem Vorwurf angebliches Mitglied des 17November zu sein – beschlossen wir auch in Deutschland eine Solidaritäts-Kampagne zu starten. In den folgenden Monaten verteilten wir Flugblätter, sammelten Unterschriften, organisierten Protestversammlungen vor griechischen Konsulaten und informierten übers Internet. Persönlich sprach ich auf Veranstaltungen und schrieb Artikel. All dies mit der Forderung der sofortigen Freilassung von Giannis Serifis.

Die Kriminalisierung des Genossen ist ein weiteres Verbrechen des staatlichen Unterdrückungsapparats Griechenlands. Diese Staatsorgane versuchen seit 35 Jahren mit manischem Beharren eine Verbindung zwischen Giannis Serifis und jeder in Griechenland auftauchenden bewaffnet kämpfenden Organisation zu konstruieren.

Sie können ihm nicht verzeihen, dass er sich nie mit dem System arrangiert hat; und sie wissen, dass solche Menschen ein Beispiel für andere darstellen, da durch sie die Idee einer freien Gesellschaft transportiert wird. Sie zeigen, dass es außer ehemaligen Revolutionären wie den Herren Simitis (Ministerpräsident) und Laliotis (bis Anfang Juli 2003 Generalsekretär der Regierungspartei Pasok) in Griechenland oder Herrn Fischer in Deutschland auch andere gibt, die niemals im Leben die Seite wechseln.

Und aus diesen Gründen wollen sie Giannis Serifis im Gefängnis sehen, bedrohen ihn mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln und versuchen sein Leben zu zerstören.

Dabei stört es sie nicht im Geringsten, dass es keine ideologische Verwandtschaft zwischen dem 17November und dem Syndikalisten Giannis Serifis gibt.
Als Anarchosyndikalisten streben wir eine Gesellschaft ohne Macht des Menschen über den Menschen an; eine Gesellschaft ohne Ausbeutung, eine Gesellschaft die auf der persönlichen Verantwortlichkeit und Selbstorganisation der Menschen aufbaut.

Die Selbstbestimmung, nicht nur im Bereich der Arbeit sondern auf allen gesellschaftlichen Ebenen ist die Grundidee des Anarchosyndikalismus.
Ich bin nicht hier um die Aktionen des 17November zu beurteilen. Es ist allerdings offensichtlich, dass niemand innerhalb einer hierarchisch strukturierten, die Macht anstrebenden Organisation, die ab und an die "Bestrafung von Feinden des Volkes" übernimmt, das herrschende System in Richtung einer freiheitlichen Gesellschaft verändern kann. Weder verändert sich etwas im Machtverhältnis des Staates gegenüber der Bevölkerung, noch im Bewusstsein der Menschen die auf diese Art und Weise nicht ermutigt werden selbstbestimmt und selbstverantwortlich zu handeln.

Es ist keine Frage, dass wir auf dem langen Weg hin zu einer revolutionären Veränderung verschiedenste illegale Gruppen brauchen werden und es immer wieder zu bewaffneten Aufständen kommen wird. Freiwillig werden die Herrschenden nicht verschwinden.

Wir dürfen dabei aber nie vergessen, dass das menschliche Leben das Wertvollste überhaupt ist. Das genau unterscheidet uns von unseren Feinden, den Machthabern und den verschiedensten die Herrschaft anstrebenden Organisationen.

Das wichtigste in diesem Moment, ist es die Herzen und die Köpfe der Menschen zu gewinnen, um gemeinsam zu der Bewegung zu werden die in der Lage ist das bestehende Unterdrückungssystem in Frage zu stellen.
Die Geschichte zeigt, dass wir diese Art von Kampf weder in den reformistischen Gewerkschaften, den politischen Parteien oder den Kirchen, noch in Organisationen wie dem 17November entwickeln können. Die einen wollen, dass alles so bleibt wie es ist, die anderen wollen eine Machtelite durch eine andere ersetzen.

Die Mittel betreffend die der 17November gebrauchte, werde ich hier nichts sagen, da dieses Thema in den verschiedenen Strömungen der Linken und nicht vor Gericht diskutiert werden muss.

Als Anarchosyndikalisten streben wir eine tiefgreifende Veränderung der Gesellschaft an. Deshalb muss der Unterschied zwischen uns und den Herrschenden deutlich sichtbar sein. Jeder Schritt im Kampf muss ein Schritt in Richtung Utopie sein und nicht nur eine Methode zur Bekämpfung des Feindes. Und diese Schritte sollten gemeinsam mit einem großen Teil der Bevölkerung getan werden, da nur dann wenn viele Leute an einem Punkt angelangt sind, an dem sie aktiv die heutige Situation verändern wollen, der Umsturz erreicht werden kann.

Für all das kämpft Giannis Serifis seit Jahrzehnten. Ja, er ist ein überzeugter Staatsfeind. Mit seiner Ideologie und seiner Utopie kann er allerdings kein Mitglied des 17November sein.
Hände weg von Giannis Serifis

Ralf Dreis