ZEIT: CGB versus DGB - Klein, frech und ganz schön clever

Im Streit um einen Tarifvertrag für Zeitarbeitsfirmen wittert eine kaum bekannte Arbeitnehmerlobby ihre große Chance: der Christliche Gewerkschaftsbund. Der mächtige DGB wehrt sich

Von Ansgar Mayer

Hat Norbert Grünwald mit einem Phantom verhandelt? Der Geschäftsführer der Interessengemeinschaft Nordbayerischer Zeitarbeitsunternehmen (INZ) schloss jüngst mit dem Christlichen Gewerkschaftsbund (CGB) einen Tarifvertrag ab. Hinter diesem Bund stecken kaum mehr als 300000 Mitglieder, in der politischen Diskussion spielt er keine Rolle, fast niemand kennt den Verband. Dennoch setzte sich Grünwald mit den christlich inspirierten Gewerkschaftlern an einen Tisch. Und wer weiß, vielleicht hat der Vertrag, den er Ende Februar zusammen mit dem CGB unterzeichnete, Signalwirkung - weit über Bayern hinaus.

Denn schon seit Monaten streitet der im Vergleich zur INZ ungleich größere
Bundesverband Zeitarbeit (BZA) und eine Tarifgemeinschaft aus acht DGB-Gewerkschaften
darüber, wie man einen möglicherweise bundesweit gültigen Tarifvertrag zur Leiharbeit
konstruieren soll. Über die Eckpunkte hat man sich geeinigt, über die Details
noch nicht. All das dauerte Grünwald zu lange, deshalb war er auf das Angebot
der kleinen C-Gewerkschaften eingegangen, in Konkurrenz zum großen DGB in Verhandlungen
einzusteigen.

Gewerkschaften vor Gericht

Dabei geht es auch um Grundsätzliches: Ist der CGB überhaupt tariffähig? Darf
er Tarifverträge abschließen? Reinhard Dombre, Tarifexperte beim Deutschen Gewerkschaftsbund
in Berlin und Verhandlungsführer bei den Gesprächen mit dem Bundesverband Zeitarbeit,
bezweifelt das. Auch die IG Metall will sich vom CGB nicht die Butter vom Brot
nehmen lassen und hat vor dem Stuttgarter Arbeitsgericht ein Verfahren angestrengt.
Ihr wichtigstes Argument: Die Christlichen seien zu klein, mit ihrer geringen
Mitgliederzahl seien sie nicht repräsentativ. Die IG Metall allein hat neunmal
so viele Mitglieder wie der CGB mit seinen 15 Einzelgewerkschaften zusammen.
Und der DGB brachte es im vergangenen Jahr auf 7,7 Millionen Organisierte.

In der Zeitarbeitsbranche stehen die beiden ungleichen Blöcke sich jetzt im
Fernduell gegenüber. Das ist auch eine mittelbare Folge der Hartz-Reformen,
nach denen sich künftig Leiharbeitsfirmen, die mit den Arbeitsämtern kooperieren
wollen, als Personal-Service-Agenturen (PSA) bewerben müssen. Nötig für die
Arbeit als PSA ist allerdings ein Tarifvertrag. Existiert er nicht, haben die
Mitarbeiter der Zeitarbeitsagentur Anspruch auf dieselbe Bezahlung wie die Stammbeschäftigen
des Betriebes, der sie ausleiht. Equal pay lautet das Zauberwort - und an dieser
Klausel hat der CGB erfolgreich einen Hebel angesetzt.

Wie die christlichen Gewerkschafter und die nordbayerischen Zeitarbeitsfirmen
wollen auch die BZA und die DGB- Tarifgemeinschaft vom equal pay-Prinzip abweichen.
Bei den Verhandlungen der Großen beharrt die Arbeitnehmerseite allerdings auf
einem Lohn-Faktor, der sich an den Löhnen in den jeweiligen Einsatzbetrieben
zumindest orientiert. Nicht so die christliche Konkurrenz. Ihr Vertrag "hat
jegliche Bezugnahme auf die Stamm-Arbeiter in den Kundenfirmen ausgeschlossen",
sagt Gunter Smits, Chef der CGB-Tarifgemeinschaft. Will heißen: Die jeweiligen
Leiharbeiter werden nach einem eigenen, niedrigeren Gehaltstarif bezahlt, völlig
unabhängig davon, welcher Tarifvertrag in dem Unternehmen gilt, das sie "gebucht"
hat.

Bislang liegt das Lohnniveau in der Zeitarbeitsbranche um bis zu 40 Prozent
unter dem Gehaltsspiegel der jeweiligen Einsatzbetriebe. Stundenlöhne von fünf
oder sechs Euro sind keine Seltenheit. Equal pay vorzuschreiben mache deshalb
"Zeitarbeit teurer und damit unrentabler", meint Hagen Lesch, Tarifexperte beim
arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Gerade gering qualifizierte
Arbeitnehmer würden "von keiner Zeitarbeitsfirma mehr eingestellt", wenn ihre
Löhne übermäßig stiegen.

Kein Wunder also, dass vor allem diejenigen Zeitarbeitsunternehmen Sturm gegen
die equal pay-Regel laufen, die überwiegend im Niedriglohnbereich arbeiten.
Die im vergangenen Dezember gegründete Mittelstandsvereinigung Zeitarbeit bereitet
sogar eine Verfassungsklage gegen die Vorschrift vor und hofft dabei auf die
Solidarität der gesamten Branche. Auch dieser ebenfalls noch sehr kleine Arbeitgeberverband
hat inzwischen Verhandlungen mit dem CGB aufgenommen.

Das Arbeitgeberlager beobachtet diese Entwicklung mit einiger Freude. Schon
in der Vergangenheit sei der CGB "wiederholt als innovativer Verhandlungspartner"
aufgetreten, meint IW-Tarifexperte Lesch. Der Bundesverband Zeitarbeit als größte
Vereinigung im Personalservice-Sektor will dennoch beim DGB als Gesprächspartner
bleiben. Dessen Tarifgemeinschaft bilde ein "Machtkartell", an dem man nicht
vorbeikomme, so BZA-Verhandlungsführer Jürgen Uhlemann.

"Schmuddelige Billignummer"

Sein Gegenüber auf Arbeitnehmerseite, Reinhard Dombre, will von dem alternativen
Ansatz erst recht nichts hören. Er spricht von einem "Gefälligkeitstarifvertrag"
und einer "schmuddeligen Billignummer", die der Christliche Gewerkschaftsbund
zu verantworten habe. Nach dem CGB-Tarifmodell könne jetzt in Firmen ohne Betriebsrat
die Belegschaft sogar abstimmen, ob der Tarifvertrag außer Kraft gesetzt werde.
Lohnsenkungen werde so "Tür und Tor geöffnet", so der erboste DGB-Mann. Von
Zusatzleistungen wie Urlaubsgeld sei bei den Christen auch keine Rede.

Das Problem nur: In der Zeitarbeitsbranche weisen auch die DGB-Gewerkschaften
einen noch recht geringen Organisationsgrad auf. Das bietet umgekehrt den christlichen
Gewerkschaften die Chance, ihren Einfluss zu erhöhen. Ähnlich wie zum Beispiel
in Ostdeutschland, wo die Davids jüngst ein paar Erfolge melden konnten. Im
dortigen Elektro- und Metallhandwerk gilt der CGB bereits als wichtigster Tarifpartner.
Die traditionsreiche - einst von den Nazis verbotene - Bewegung setzt dabei
auch auf die Arbeit in Nischen; zu ihrem Aktionsspektrum gehören Spezialbereiche
wie Modellbau oder Kaffeehäuser. Im November des vergangenen Jahres wurde überdies
ein landesweiter Haustarifvertrag mit dem Roten Kreuz in Brandenburg abgeschlossen.
"Ver.di spielt dort keine Rolle mehr", sagt CGB-Generalsekretär Smits.

Was die Zeitarbeit angeht - da kann sich INZ-Geschäftsführer Grünwald nach
seinen eigenen Angaben seit dem Abschluss im Februar "vor Anfragen nicht mehr
retten". Mehr als die Hälfte der insgesamt rund 4500 Personaldienstleister in
Deutschland habe inzwischen den CGB-Tarifvertrag über die Homepage des nordbayerischen
Interessenverbandes abgerufen. Dazu gebe es, so CGB-Mann Smits "Sondierungsgespräche
mit einigen großen Unternehmen" der Branche. Die Zeit wird knapp, denn wer bis
zum Sommer keine Tarif-Vereinbarung vorweisen kann, fällt unter das equal pay-Reglement.

Für Mitte Mai haben der Bundesverband Zeitarbeit und der DGB deshalb einen
viertägigen Verhandlungsmarathon angesetzt; scheitert der, wird der BZA seinen
Mitgliedern freistellen, wie sie reagieren: entweder mit Haustarifverträgen
oder eben mit der Übernahme des CGB-Vertrages. Für die Christen eine große Chance.
Für den DGB und seine Einzelgewerkschaften noch mehr Druck, bei der Zeitarbeit
Kompromisse zu machen.

(c) DIE ZEIT 22.05.2003 Nr.22