Presseerklärung der Gewerkschaftskonföderation Anarchosyndikalistische Initiative (ASI)

Serbien: Kriegsrecht und Repression gegen GewerkschafterInnen

42 Tage lang herrscht in Serbien offiziell das Kriegsrecht. Wir
haben versucht herauszufinden, was seither geschehen ist, aber bis
heute bleiben die wahren Verhältnisse unklar. Was wir jedoch wissen
ist, wer wieder einmal die Konsequenzen zu erleiden haben wird. In
seiner Auseinandersetzung mit der Kriminalität, hat der Staat das
Streikrecht und andere gewerkschaftlichen Rechte ausser Kraft gesetzt,
öffentliche Versammlungen verboten, ebenso wie öffentliche
Meinungsäußerungen über die Entscheidung zur Verhängung des
Kriegsrechts.

Er hat damit die Methoden faschistischer Regimes
verwendet. Methoden, die eine ungestörte Manipulation und Repression
gewährleisten sollen.

Zwei Tage nach der Veröffentlichung einer Erklärung der
"Anarcho-syndikalistischen Initiative" (ASI) mit Bezug auf die
Ermordung von Zoran Djindjic (serbischer Ministerpräsident),
durchsuchte die Polizei die Wohnung eines Mitglieds der Belgrader
Gruppe der ASI, nahm ihn fest und beschlagnahmte dessen Computer und
sein Handy. Unterzeichnet war der Einsatzbefehl vom serbischen
Arbeitsminister Dragan Milovanovic. Dieser setzt damit seine Politik
des Verrats von Arbeiterinteressen fort, nachdem er zuvor mit dem
wütenden Widerstand der Betrogenen konfrontiert wurde. Der - nach
staatlichen Kriterien - "wilde" Streik von mehr als 300 ArbeiterInnen
bei IMT zeigt, dass wir uns nicht einem uns aufgezwungenen Staat
unterwerfen werden, der uns Stück für Stück unseres Lebens raubt.



Nach der Festnahme wurde unser Mitglied mehr als sechs Stunden lang
zu unseren gewerkschaftlichen Aktivitäten, unseren Mitgliedern und
unseren Organisationsstrukturen verhört. Während des Verhörs wurde er
zu keinem Zeitpunkt darüber in Kenntnis gesetzt, gegen welches Gesetz
wir mit unserer Stellungnahme verstoßen haben sollten, zumal keines der
serbischen Medien diese veröffentlicht hatte. Unserem Mitglied wurde
ein Bescheid vorgelegt, dem zu Folge er für 30 Tage in Haft genommen
sei und er wurde in eine Zelle der Polizeistation "29. November"
eingeliefert. In der Zelle traf er andere Gefangene, die systematisch
von der Polizei verprügelt wurden (u. a. durch Hiebe mit
Baseball-Schlägern auf den ganzen Körper, besonders aber die Knie), die
gezwungen wurden Blanko-Geständnisse zu unterzeichnen und denen von
einem Sonderstaatsanwalt mit Folter oder Hinrichtung gedroht wurde.
Drei Tage später wurde unser Mitglied aus der Haft entlassen, auch
dieses Mal wieder ohne irgendeine Angabe über einen Grund für seine
Verhaftung. Weiterhin wurde ihm mündlich befohlen, keinerlei Äußerungen
über irgendwelche Dinge zu machen, die er während dieser Zeit gehört
oder gesehen hat.



Im Anhang der Beschlagnahmequittung ist zu lesen: "Die genannte
Person wurde am 14. März 2003 unter dem begründeten Verdacht verhaftet,
dass ihr Verbleiben in Freiheit die Sicherheit der Bürger und der
Republik an sich gefährden könnte". Es ist bezeichnend, dass der Staat,
d.h. sein Gewaltorgan, die Polizei, der Auffassung ist, dass die
öffentliche Sicherheit mehr von denjenigen gefährdet wird, die
öffentlich ihre Meinung sagen, als von denjenigen, die tausende von
ArbeiterInnen auf die Straße setzen, die vom geraubten Mehrwert der
ArbeiterInnen leben, die junge Männer zum Töten ausbilden oder
Fußgänger in Belgrad über den Haufen fahren (Anm. d. Ü.: Vor einigen
Tagen überfuhr der serbische Landwirtschaftsminister in Belgrad eine
junge Frau, als er durch Zentrum der Stadt raste).



Die Repression gegen unsere Gewerkschaft ist mit der Verhaftung
eines unserer Mitglieder nicht beendet. Ein anderes
Gewerkschaftsmitglied, die beim Ballett des Nationaltheaters
beschäftigt ist, wurde von ihrem Vorgesetzten bedroht und
eingeschüchtert. Das Innenministerium hatte zuvor das serbische
Kulturministerium aufgefordert, die Geschäftsführung des
Nationaltheaters zu veranlassen, unser Mitglied zu überwachen und
"mögliche problematische" Verhaltensweisen und Aktivitäten zu
beobachten. In einem Gespräch mit dem Verwaltungsdirektor des
Nationaltheaters stellte sich heraus, dass sie bereits seit längerem
überwacht wird. Zu den erwähnten "möglichen kriminellen Handlungen",
derer sie sich verdächtig gemacht haben soll, zählen Dinge wie:
Propagierung der Freien Liebe in ihrer Mietwohnung, Graffiti gegen die
Privatisierung, Organisierung eines Gruppe im Theater, Beteiligung an
einer Flugblattaktion vor dem Kulturministerium und Verbreitung der
ASI-Zeitung Direkte Aktion unter ihren KollegInnen. Bezeichnend ist,
dass diese Angelegenheit dem Verwaltungsdirektor so wichtig war, dass
er unsere Genossin zu einem Gespräch zitierte, während er gleichzeitig
nie zu sprechen ist, wenn es um die seit sechs Monaten ausstehenden
Löhne für Teile der Belegschaft geht.



Wir wiederholen noch einmal, dass in der jüngeren Vergangenheit
lediglich die faschistischen Regierungen auf solche Weise gegen
gewerkschaftlich organisierte ArbeiterInnen vorgegangen sind. Sollte
sich die Praxis der Einschüchterung fortsetzen, wird die
Anarcho-syndikalistische Initiative nicht zögern, jede Massnahme zu
ergreifen, die zum Schutz der Rechte unserer Mitglieder nötig ist.
(...)



Wir glauben, dass nach dem Ende des Kriegsrechts der Aufruhr der
ArbeiterInnen einen neuen Höhepunkt erreichen wird und dass die
ArbeiterInnen nun durch den Schleier der Gewerkschaftsbürokratien und
der staatlichen Strukturen hindurch sehen können. Die Folge wird eine
Verringerung der Haltung des hinhaltenden Widerstands und des Wartens
auf die Erfüllung falscher Versprechen sein und stattdessen die
Hinwendung zum radikalen Kampf für die eigenen Rechte an jeder sich
bietenden Front.



Belgrad, 24. April 2003

Sekretariat der Anarcho-syndikalistischen Initiative


info@inicijativa.org | http://www.inicijativa.org/


Aus Zeitgründen ist die deutsche Übersetzung
der Erklärung leicht gekürzt