Die repressive Seite der Restriktion

Zu den Auswirkungen des Campus Managements an der Freien Universität Berlin

Kommuniqué des Bildungssyndikats Berlin – FAU
Nr. 1 / Nov. 2005


An der FU Berlin wird mit der Einführung des "Campus Managements" derzeit ein Pilotprojekt gestartet, dass die universitäre Landschaft drastisch verändern wird – nicht nur hinsichtlich der Studienpraktiken, sondern auch in weitläufiger sozialer Hinsicht. Dass sich dennoch kein ernstzunehmendes Widerstandspotential abzeichnet, sehen wir vorwiegend darin verschuldet, dass es vielen noch nicht gelungen ist, sich die Dimensionen dieses oberflächlich harmlos wirkenden Problems zu vergegenwärtigen.
Wir wollen im Folgenden nochmals darlegen, weshalb das Campus Management mehr ist als ein „effizienteres“ Studienverwaltungsprogramm und weshalb hier entschiedener Einsatz notwendig ist, um diese Maßnahmen noch abzuwehren.

Bisher gestalten sich die Auseinandersetzungen um das Campus Management, das ab dem Wintersemester 05/06 stückweise an der FU eingeführt wird (zu Informationen siehe unten), gelinde gesagt, bescheiden. Im studentischen Alltag findet darüberhinaus fast keine Debatte statt, und wo doch, bestimmen – abgesehen von einer kritischen Minderheit – technokratisch-juristische Fragestellungen das Thema. So fand z.B. zu Beginn des Semesters eine studentische Vollversammlung an der FU statt, bei der über das Campus Management informiert und Perspektiven des Widerstands diskutiert werden sollten. Der Verlauf dieser VV war symptomatisch für den Mangel an Widerstandsbereitschaft unter den Studierenden, denn anstatt ernsthaft Möglichkeiten des Handelns abzustecken, dominierten technische Aspekte die Versammlung.
Dieser Zustand ließe sich durchaus mit einer gegenwärtig bei Studierenden vorzufindenden Grundhaltung erklären, die sich in einer Orientierung am rein individuellen Nutzen und folglich in einer blinden Konformität gegenüber den verwertungsorientierten Strukturen äussert. Und tatsächlich stellen wir in Zeiten, in denen das gesellschaftspolitische Bewusstsein immer opportunistischere Züge annimmt, fest, dass die gegenwärtige Studierendenschaft immer weniger Anteil an sozialen Problematiken nimmt und Eigeninitiative entwickelt.
Umso erschreckender stellt sich dies in einer Situation dar, in der an der FU ein Pilotprojekt gestartet wird, dass die universitäre Landschaft drastisch verändern wird – nicht nur hinsichtlich der Studienpraktiken, sondern auch in weitläufiger sozialer Hinsicht. Dass sich dennoch kein ernstzunehmendes Widerstandspotential abzeichnet, sehen wir vorwiegend darin verschuldet, dass es vielen noch nicht gelungen ist, sich die Dimensionen dieses oberflächlich harmlos wirkenden Problems zu vergegenwärtigen.


Falsche Fragen

Zwar zeigten sich auf der genannten Vollversammlung insbesondere die Vertreter des AStA sichtlich darum bemüht, das von ihnen auf die Tagesordnung gebrachte Thema Campus Management nicht als rein technische Einführung zu präsentieren, doch ihre Versuche, die sozialen Dimensionen dieser Verwaltungsmaschinerie zum Kern der Debatte zu machen, trafen auf relativ wenig Resonanz unter den Versammelten. Im Gegenteil, so konnte die anwesende Datenschutzbeauftragte der FU ohne größere Probleme ihre technisch-juristische Sichtweise auf die Angelegenheit austrompeten und darüber hinaus gegen den AStA polemisieren, dass dieser doch bitte seine sozialen und poltischen Fragestellungen aus der Angelegenheit herauszuhalten habe. Denn dies sei doch schließlich eine sehr subjektive Auslegung, die dabei nicht von Relevanz sei.
Im Weiteren wurde mehrfach diese Auffassung übernommen und die Argumentation ins Feld geführt, dass das Campus Management doch lediglich umsetze, was die Studienordnungen vorsehen, und somit seine Legitimität habe oder das Problem allenfalls in den Studienordnungen bestehe. Das Campus Management zu attackieren, könne demnach nur als übertriebenes Politikgehabe verstanden werden.
Alles in allem drehte sich die Debatte – abgesehen von ein paar wenigen kritischen Beiträgen, die freie Bildungsideale in den Vordergrund stellten – um Fragen oben genannter Art oder um spezielle technische Aspekte (Mängel, Umsetzung, Kosten etc.).
Wir wollen im Folgenden nochmals darlegen, weshalb das Campus Management mehr ist als ein „effizienteres“ Studienverwaltungsprogramm und weshalb hier entschiedener Einsatz notwendig ist, um diese Maßnahmen noch abzuwehren.

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Soziale Selektion

Mit der konsequenten Anwendung des Campus Managements wird sich die ohnehin in Deutschland endemische soziale Selektion der Schichten im Bildungssystem weiter verschärfen: zunächst lokal an der FU, mit der Einführung ähnlicher System wohl auch bundesweit.
Zu den Realitäten im universitären Bereich gehört es, dass gerade die lohnabhängigen Studierenden darauf angewiesen sind, ihr Studium einigermaßen flexibel gestalten zu können, um die existentiell notwendige Lohnarbeit damit unter einen Hut zu bekommen. Dazu zählen nicht nur die Möglichkeit, nicht unter dem Leistungsdruck von Regelstudienzeitregelungen zu stehen, sondern auch den Stundenplan z.B. mit den Arbeitszeiten in Einklang zu bringen oder machbare Abgabefristen für Seminararbeiten mit dem Dozierenden vereinbaren zu können.
Den Studierenden aus ökonomisch schwachen Familien, denen die neuen Studiengänge- und ordnungen bereits deutlich die Bildungsmöglichkeiten einschränken, wird das Campus Management auf Dauer fast vollständig den Riegel vorschieben. Vollständig inflexible modulgebundene Stundenplanmöglichkeiten, mit dem Lohnarbeitspensum unvereinbare Abgabefristen für Seminararbeiten und die rigoros angewendete Vergabe von Maluspunkte, die zur Exmatrikulation führen können, garantieren nämlich, das für Studium und Lohnarbeit keine Zeit bleibt.
Spätestens hier – und gerade vor dem Hintergrund der Klassenreproduktion durch das Bildungssystem – wird klar, dass es sich nicht „nur“ um weitere Restriktionen und unangenehmen Leistungsdruck handelt: dies ist eine essentielle Frage der sozialen Repression!


Arbeitsbedingungen

Das Campus Management stellt ebenfalls einen Angriff auf die Arbeitsverhältnisse der seminarleitenden Angestellten dar. Dozierende werden in Zukunft Abgabefristen und Korrekturzeiten für Seminararbeiten nicht mehr gemäß dem machbaren Pensum festlegen können, sondern müssen die endgültige Leistungsbenotung zu vorgegebenen Fristen an das System übermittelt haben. Ohne Frage erhöht dies den Arbeitsdruck enorm und wird sich wesentlich auch auf die Qualität ausüben.
Dort, wo die anfallenden Arbeiten nicht mehr in dem vorgegebenen Zeitraum zu erfüllen sind, werden sich unumgänglich andere Entwicklungen einstellen: die Besprechung und Korrektur der Arbeiten beschränkt sich auf ein Minimum, während die Bewertung nur noch an den oberflächlichsten Kriterien festgemacht wird. Dies führt nicht nur den Beruf des Dozierenden ad absurdum, sondern Studium und Wissenschaft überhaupt.
Und dort, wo der entstandene Mangel an Zeit nicht durch erhöhten Arbeitsaufwand oder die Verflachung von wissenschaftlichem Arbeiten kompensiert werden kann, wird der Druck von Dozierenden auf die Studierenden abgewälzt werden, indem z.B. Abgabefristen vorgelagert werden. Hiermit wäre eine weitere Steigerung des Drucks auf Lohnabhängige vollzogen.
Wir sehen: Campus Management bedeutet Angriff auf Arbeits- und Lebensverhältnisse, garniert mit einer gravierenden Verflachung der Wissenschaft!


Kastration von Denkvermögen

Wer in seiner persönlichen Entscheidung für ein vollständig reguliertes und vorgefertigtes Studium votiert anstatt für eines mit relativer freier Bildung – nun, dem ist dann auch nicht mehr zu helfen. Allerdings ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass dies keinesfalls nur eine Frage persönlicher Entscheidung ist, welchen Rahmenbedingungen man sich unterwirft. Denn die pädagogische Komponente des Bildungsapparates trägt Sorge für die Verinnerlichung von Werten und Verhaltensweisen.
Die alltägliche Unterordnung in unfreien, reglementierten und autoritären Bildungsabläufen macht es immer schwieriger, sich zu einer eigenverantwortlichen und kritischen Persönlichkeit mit Eigeninitiative zu entwickeln. Diese subtile „Gehirnwäsche“, die eine autoritätsfixierte und leicht zu instrumentalisierende Masse hervorbringt, wird zusammen mit der permanenten Eliminierung kritischer Wissenschaft mittel- und langfristig verheerende Auswirkungen auf das gesellschaftspolitische Bewusstsein haben.
Campus Management ist somit eine weitere Facette auf dem Weg zu einer Wissenschaft, die ihre eigene Rolle in der Gesellschaft nicht mehr bestimmen kann und keine sozialen Fragen mehr stellt. Dem sozialen Kontext entbunden und auf den direkten wissenschaftlichen Nutzen reduziert, birgt sie wieder die Gefahr, problemlos von Herrschenden und Ausbeutern instrumentalisiert zu werden.

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Was nun?

Das Campus Management scheint also oberflächlich nur eine neue Qualität von Studienrestriktionen zu sein. Hinter der konsequenten Anwendung restriktiver Bestimmungen verbergen sich jedoch weitreichende Auswirkungen auf soziale Selektion, Lebensbedingungen und das gesellschaftliche Bewusstsein. Dieses System ist somit ein weiterer Baustein sozialer Repression. Hierbei stellen wir fest, dass das Campus Management nicht ein einzelnes Problem darstellt. Vielmehr ist es die Konsequenz einer allgemeinen Tendenz, die in den Studienordnungen, der Bildungspolitik und – nicht zuletzt – der Sozialordnung verankert ist.
Doch gerade deshalb ist es notwendig, diese Fortsetzung des Trends anzugehen, anzugreifen und zu stoppen. Hiermit wird nicht nur eine konkrete Verschlechterung abgewendet, sondern ein erfolgreicher Abwehrkampf bietet auch immer die Möglichkeit, offensiv gegen die tieferliegenden Ursachen anzugehen.
Waren die Studierenden in den letzten Jahren eher mit der Frage konfrontiert, welche Abwehrmaßnahmen gegen die Bildungspolitik auf Landes- und Bundesebene einzuleiten sind, so stellt sich die Lage in dieser Hinsicht nun vollständig anders dar: sie ist vollkommen konkret. Diese Situation, die zunächst nur die FU betrifft, verlangt von uns nun, direkt vor Ort zu handeln. Hierbei haben wir eine gute Chance auf Erfolg, die zu vergeben, bedeuten würde, dem allgemeinen Angriff auf die Bildungsbedingungen keinen Widerstand mehr entgegenzusetzen.
Wenn wir die Situation im Großen nicht hinnehmen und uns wehren wollen, müssen wir zunächst in der Lage sein, auch vor der Haustür erfolgreich zu kämpfen. Darüberhinaus würde die erfolgreiche Einführung des Campus Managements dessen Weiterverbreitung bundesweit bedeuten – dies gilt genauso für einen erfolgreichen Widerstand!

Hierbei helfen uns keine symbolischen Aktionen, Demonstrationen und Appelle an die Politik!

Es gilt, das Campus Management im Alltag zum Fiasko zu machen!

Unser Widerstand muss die Undurchführbarkeit dieser Repressionsmaßnahmen belegen!


– www. bildungssyndikat.de –


Informationen zum Campus Management generell:
www.astafu.de/campusmanagement

Übersicht über betroffene Studiengänge:
www.fu-berlin.de/Campusmanagement/n7Publikationen/Uebersicht_STO.pdf

Produktbeschreibung des Systemanbieters SAP über das Campus Management:
www.70.sap.com/germany/media/50069205.pdf