VV gegen Studiengebühren in Leipzig: Gibt es eine Perspektive?

Heute, am 27. Januar, fand an der Universität Leipzig eine eher resignative und wenig kämpferische Vollversammlung der Studierenden „aller Leipziger Hochschulen“ statt. Von 11 bis 12 Uhr hörten sich ca. 1000 Studierende insgesamt fünf Redebeiträge an, darunter auch derjenige von Rektor Häuser und eines Mitglieds des Bildungssyndikats Leipzig. Anschließend gab es eine Spontandemo mit etwa 500 TeilnehmerInnen.

Rektor Häuser konnte wieder seine Fahne nach dem Wind hängen: daß er natürlich gegen Studiengebühren sei, weil er selbst ja auch keine Studiengebühren bezahlt habe und das Land Sachsen zuständig ist und man ja auf die soziale Abfederung (Stipendiensysteme und so) gar nicht vorbereitet wäre. Wenn dann genug bürokratische und selektive Auffangnetze da wären, könnte man ja nochmal drüber reden etc. pp. Häuser ist und bleibt ein windhündiger Politiker wie er im Buche steht. Also kein Grund darauf irgendeinen Pfifferling zu geben.
Anschließend redeten jeweils eine Person vom Fachschaftsrat Politikwissenschaft und vom Fachschaftsrat Orientalistik, wobei sich Ersterer als Standortnationalist versuchte.
Nach einer Rede des StuRa (Widerstand werde vorbereitet; Beginn sei die Demo am 3.2.) wurde der "offizielle" Part abgeschlossen und das Bildungssyndikat Leipzig und die Linke StudentInnengruppe (lsg) konnten ihre Reden halten.

Der Redner des Bildungssyndikats wies auf die Vernachlässigung des ökonomischen Bereichs hin und darauf, daß "Bildung eine Floskel ist, die nichts mit der gesellschaftlichen Realität zu tun hat. Denn das Bildungssystem führt vielmehr die einen zur Elite und macht andere zu mehr oder weniger qualifizierten Lohnabhängigen. Somit ist bereits in diesem Ausbildungssystem eine scharfe Spaltung unter den Schülern und Studierenden und unterschiedliche Lebensperspektiven für die jeweiligen Abschlüsse angelegt… Diese Spaltung verläuft auch durch die Studierendenschaft hindurch." (Rede siehe unten)
Der Redner der lsg verwies v.a. darauf, daß es neben den Studiengebühren noch viele weitere Probleme mit einer Ursache gibt und sprach sich somit indirekt gegen den Kapitalismus aus. Anschließend rezitierte er noch ein Brecht-Gedicht. Dann war die VV zu Ende und die Frierenden starteten zu einer Spontandemo der bekannten Art einmal durch die Innenstadt.

Der Zeitpunkt des Urteils ist gut gewählt: und da die Gebühren Schritt für Schritt in den einzelnen Bundesländern durchgesetzt werden, ist eine Reihe isolierter defensiver Abwehrkämpfe zu befürchten. Ob der von den Studierendenschaften angekündigte Streik im Sommersemester von den Studierenden mitgetragen wird, ist noch lange nicht sicher! Nicht nur wegen der Ungleichzeitigkeit der Einführung, sondern auch, wegen den zwischenliegenden Semesterferien und der Propagandaflut, die aus allen Kanälen dröhnt und durch die jahrelange Legitimationsleistungen von Gebührenbefürwortern und studentischer "konstruktiver" Beschäftigung mit Vor- und Nachteilen von Studiengebührenmodellen* bei vielen auf fruchtbaren Boden fällt.

Die Aktivität des Bildungssyndikats Leipzig wird indes fortgesetzt, denn wir kriegen nur, wofür wir kämpfen! Nächste Woche, am Donnerstag, den 3. Februar (13:00, Augustusplatz), findet ihr uns auf der Demo gegen Studiengebühren. Wir treffen uns bei den schwarz-roten Fahnen und Auswärtige können sich bei sy.bi.le@gmx.de melden - ggf. können wir auch Übernachtungsplätze organisieren.

* "man kann ja nicht nur dagegen sein": Gebühren, die den Hochschulen zu Gute kämen wären okay; mit nachlaufenden Studiengebühren könnten ja alle studieren und im Grunde wäre es eh ja das beste für Alle; und überhaupt die Schmarotzer...

siehe auch:

Meldung des StudentInnenRats
Studiengebührenverbot gefallen mit PM des Bundesverfassungsgerichts

Rede des Bildungssyndikats Leipzig auf der VV vom 27.1.2005

Was ist Bildung?

Bildung ist keine Ware! Bildung ist auch nicht frei!

Bildung ist ein Luftgespinst, ein Hokuspokus, eine Floskel, die nichts mit der gesellschaftlichen Realität zu tun hat. Denn das Bildungssystem führt vielmehr die einen zur Elite und macht andere zu mehr oder weniger qualifizierten Lohnabhängigen. Somit ist bereits in diesem Ausbildungssystem eine scharfe Spaltung unter den Schülern und Studierenden und unterschiedliche Lebensperspektiven für die jeweiligen Abschlüsse angelegt… Diese Spaltung verläuft auch durch die Studierendenschaft hindurch.

Denn: Wer jetzt schon jobben muß, um das Studium zu finanzieren, hat weniger Möglichkeiten, als Leute mit reichen Eltern. Und wenn die Studiengebühren kommen, werden die derzeitigen Jobber endgültig ausgesiebt wie die vielen, die aus welchem Grunde auch immer, das Abitur nicht geschafft haben oder am numerus clausus scheiterten! Zudem konzentrieren sich Eliteperspektiven meist auf einige wenige Studienrichtungen, während andere nach dem Diplom kaum Perspektive auf dem Arbeitsmarkt haben.

Für die meisten von uns steht keine Elitenposition in Aussicht, viele von uns werden eine solche auch gar nicht wollen! Es gibt wohl keine größere Verschwendung an Lebenszeit, als die beim Karrieremachen. Nichtsdestotrotz braucht Jede und Jeder Geld zum Überleben und eine persönliche Perspektive. Und nichts – auch die größte Anpassungsbereitschaft nicht - garantiert uns diese auf dem Arbeitsmarkt! Wir können genauso arbeitslos werden, wie die Vielen, die in ALG II und Zwangsarbeit gepresst werden. Manche von uns haben jetzt schon weniger Geld und leben von Job zu Job springend prekärer als manche Erwerbslosen.

Auch auf andere Weise äußert sich Hartz IV auf uns, zumindest bei denen, deren Eltern ALG-II-Empfänger sind: Wessen Kindergeld wird denn als Einkommen der Eltern angerechnet, weil es nicht direkt ausgezahlt an das Kind ausgezahlt wird? Wer hat seinen Hauptwohnsitz noch bei den Eltern, die deshalb nicht die volle Miete bezahlt bekommen? Wer von uns muß nun den Hauptwohnsitz ummelden, weil er sich nicht zwei Mieten leisten kann… Hier wird deutlich, dass auch wir, die Studierenden nicht im luftleeren Raum leben und es auch nie getan haben, dass wir keine vergeistigten reinen Bildungsgeschöpfe sind! Wir sind Menschen mit einem bestimmten Interesse, vor allem diejenigen die arbeiten müssen wissen das: wir wollen für eine möglichst geringe Arbeitszeit möglichst viel Geld bekommen, während uns die Unternehmen für möglichst wenig Geld möglichst lange arbeiten lassen wollen. Wir wollen unser Leben sichern, uns eine sichere Zukunft geben, ein Interesse, dass wir mit Erwerbslosen, Angestellten und Arbeitern teilen.

Deshalb ist es wichtig über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, die Latschdemos, Petitionen und Blümchenproteste als zwar nicht vollständig sinnlose aber weitestgehend wirkunglose und vor allem demütigende Bettelei zu erkennen und uns auf die ökonomische Situation zu konzentrieren. Nicht nur auf die Universität als Produzent von Wissen für Militär, Staat und Konzerne, sondern auch auf die Formung von Menschen, von uns, zu dem was 2004 Unwort des Jahres wurde, zu Humankapital! Auch dürfen wir die Wichtigkeit der billigen Studentenjobs für die lokale Ökonomie und zur Lohndrückerei der regulär Beschäftigten nicht aus den Augen verlieren. Wenn wir dieses Ökonomische stäreker beachten, dann können wir das Vorurteil widerlegen, dass unsere Formen von Protest und Widerstand immer nutzlos sein werden. Und wir brauchen wirtschaftlich orientierte Formen des Widerstands um den wirtschaftlichen Druck, der mit Studiengebühren auf uns ausgeübt wird, brechen zu können!

Es ist Zeit die Isolation zu überwinden, es ist Zeit, das eigene Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und sich nicht mehr auf Rektoren, Politiker und andere Stellvertreter zu verlassen!
Wer die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts gelesen hat, weiß mit welcher Arroganz der Macht da geurteilt wurde, dass da Menschen keine Rolle spielten. Ich denke hingegen, daß genau die Menschen und nichts anderes die Basis aller Entscheidungen sein müssen und ich keinen Bock mehr habe auf Führer, Funktionäre, Chefs und Parteienklüngel.

Wer Probleme mit Teilnahmelisten, mit dem Prof oder im Job hat, der kann sich an uns wenden und wir überlegen gemeinsam, was wir tun können. Informationen gibt es bei unserem Stand oder bei unserem Treffen. Wir müssen Strategien entwickeln: Im Kampfgeen Studiengebühren und im Alltag durch gegenseitige Hilfe! Und das kann niemand allein, das können wir nur gemeinsam. Danke schön!