Angriff auf die anarchistische Bewegung in Griechenland – Teil II

Die Gesetzlosen: Repression und Widerstand - ein Überblick

Nach kurzzeitiger Wiederbesetzung und erneuter Räumung der Villa Amalías, sowie der folgenden Erstürmung des Skaramangá-Squat am 10. Januar, gehen die Demonstrationen und Solidaritätsaktionen (nicht nur) der anarchistischen Bewegung, aber auch die staatlichen Repressionsmaßnahmen unvermindert weiter. Schon im Herbst hatte Ministerpräsident Antónis Samarás die Räumung der als „Zentren der Gesetzlosigkeit“ ausgemachten ca. 50 besetzten Parks, Räume, Läden und Häuser bis zum Jahresbeginn 2013 angekündigt. Das Ziel: die sozialen Zentren, besetzten Treffpunkte und Häuser, freien Radiostationen, Druckereien, indymedia athen, Infoläden - also die Infrastruktur der anarchistischen Bewegung - zu zerschlagen.

- Am 10./11.1. besetzen AnarchistInnen Radiostationen in Xánthi, Thessaloníki, Athen, Arta, Chaniá, Préveza, Pátras, Chalkída, Agrínio und einen Fernsehsender in Mytilíni, um der staatlichen Propaganda und der Hetze der bürgerlichen Presse eigene Inhalte entgegen zu setzen. In Athen versucht die Polizei die 50 BesetzerInnen zu verhaften, was durch solidarische JournalistInnen des Senders verhindert wird. In der Nacht zuvor war bei Brandanschlägen auf die Privathäuser von fünf als üble Hetzer bekannten Fernsehjournalisten Sachschaden entstanden. Angegriffen wurden die Häuser des Chefs der halbstaatlichen Nachrichtenagentur Ana, Antónis Skyllákos, sowie von Moderatoren des staatlichen Fernsehsenders NET und der Privatsender Mega und Alpha. Die linkspluralistische Athener Tageszeitung Efimerída ton Sintaktón kommentierte die Anschläge unaufgeregt: „Die Willkür der Arbeitgeber (Kündigungen, Kürzungen, Abschaffung der Tarifverträge) hat nicht nur zu heftigen Erschütterungen im gesamten Arbeitsbereich geführt, sondern auch in der Berufsethik von Journalisten, die, um nicht ihre Arbeit zu verlieren ohne den geringsten Widerspruch bereit sind Errungenschaften von Jahren zu verraten. Sie unterlassen es kritisch zu hinterfragen, nachzuforschen, etwas aufzudecken und jene zu schützen die keine Stimme haben und mutieren zu Lautsprechern ihrer Arbeitgeber. So dienen sie bewusst oder unbewusst dem Interessengeflecht ihrer Chefs mit den Machtmenschen der Großunternehmen.“



- In mehreren Städten kommt es zu Attacken auf Banken, staatliche Einrichtungen und Parteibüros von ND und Pasok. Die Wirtschaftsfakultät ASOEE wird von StudentInnen besetzt.

- der Athener Bürgermeister Kamínis (Wahlbündnis offene Stadt) behauptet auf einer Pressekonferenz ohne rot zu werden, die Villa Amalías wieder als Schule nutzen zu wollen. Realsatire! Vor der Besetzung 1990 hatten die ehemaligen Schulgebäude über 20 Jahre leer gestanden; seit 2011 wurden auf Grund des kapitalistischen Spardiktats 1300 Schulen in Griechenland geschlossen!

- Am 12.1. Großdemonstrationen und Kundgebungen in vielen Städten, allein in Athen sind 12.000 Menschen auf der Straße. Im Athener Stadtteil Vyronas werden abends brennende Barrikaden errichtet. Inzwischen fliegen auch im Parlament die Fetzen. Die Regierungsparteien ND, Pasok, Dimar sowie die Nazis von Chrysí Avgí beschuldigen Syriza (Allianz der radikalen Linken) der „mangelnden Distanz zur Gewalt“ und der „Zusammenarbeit mit Terroristen“. Sprecher von Syriza entgegnen, solcherart „Junta-Rhetorik“ und die Räumungen sollten von der „katastrophalen, gegen die Bevölkerung gerichteten Politik“ ablenken. Große Teile der regimetreuen Presse heizen mit Bürgerkriegsszenarien die explosive Stimmung an und steigern sich in einen hysterischen Wahn als in der Nacht zum 14.1. Schüsse aus einer Kalaschnikow auf die nachts leere ND-Parteizentrale abgegeben werden. AnarchistInnen auf indymedia athen gehen in großer Mehrzahl von einem parastaatlichen Angriff aus, der nach der beeindruckenden Großdemonstration Angst verbreiten solle.

- Die Sozialforscherin María Logothéti und ihr Kollege Níkos Soúzas analysieren in der Efimerída ton Sintaktón vom 14.1. die zugespitzte Situation: „In der Villa Amalías und den anderen besetzten Häusern Griechenlands wird ein politischer Gegenvorschlag zum Herrschenden umgesetzt: Das Ziel einer anderen Gesellschaft nimmt dort im hier und jetzt Gestalt an. (…) Die Villa Amalías hat großen Anteil daran, die Idee der Selbstorganisierung und Selbstverwaltung, das Modell der Entscheidungsfindung in offenen Plena, die direkte Demokratie, in der griechischen Gesellschaft zu verbreiten. Vom Staat als autoritäre Schule aufgegeben, verwandelte sich die besetzte Villa in eine andere, eine freiheitliche Schule, vielleicht sogar in das öffentlichste und offenste Gebäude der ganzen Stadt. (…) Man könnte sagen, dass die feindliche und repressive Herangehensweise der Herrschenden der Tatsache geschuldet ist, dass die besetzten Häuser den Kern ihrer Politik angreifen. (…) Der Angriff auf die besetzten Häuser hat auch mit einem Krieg auf dieser Ebene zu tun. Diese Infrastruktur zu erschaffen, die lebenswichtig für die tägliche Arbeit der Bewegung ist, hat sehr viel Kraft gekostet. Die Bedeutung der Häuser ist für die Bewegung von daher riesig und ihre Verteidigung selbstverständlich.“

- In der Nacht zum 15.1. werden in verschiedenen Städten Anschläge auf Parteibüros von ND und Pasok, Bankfilialen, Konzernniederlassungen und staatliche Einrichtungen verübt.

- Am Mittag des 15.1. stürmen MAT-Sondereinsatzkommandos das älteste, seit 1988 besetzte Athener Haus, Léla Karagiánnis 37 und verhaften die 14 Anwesenden. Schnell sammeln sich 200-300 AnwohnerInnen und GenossInnen um das Haus, rufen Parolen und versuchen näher ranzukommen Um 15 Uhr ziehen sich die Polizeitruppen zurück, das Haus wird wiederbesetzt. (Während des Zweiten Weltkriegs wurde Léla Karagiánnis zusammen mit ihren fünf Kindern von den deutschen faschistischen Besatzern gefoltert und später als Widerstandskämpferin hingerichtet.)

- AnarchistInnen in Kérkyra besetzen eine Radiostation.

- GenossInnen in Berlin besetzen aus Solidarität mit den geräumten und bedrohten Projekten die griechische Botschaft. (Erklärung auf indymedia und linksunten)

- „Die Wiederbesetzung der „Léla“ hat das Lächeln auf die Gesichter der Solidaritätsbewegung zurückgezaubert. Doch wir haben weder Zeit zum Lachen oder Weinen. (...) Die Vorbereitung und Organisierung eines politischen Generalstreiks von Dauer, getragen von Arbeiterkomitees und Basissyndikaten an den Arbeitsstätten und von Nachbarschaftsversammlungen in den Vierteln stellt sich heute unter neuen Gesichtspunkten dar. Die Verteidigung all dessen was wir erreicht haben und letztendlich die unseres eigenen Lebens, erfordert es jetzt und sofort auf den Sturz dieses Notstandsregimes und seiner Regierung hinzuarbeiten.“ (Solierklärung der EEK)

Bei allem was gerade in Griechenland geschieht darf nicht vergessen werden, dass die anarchistische Bewegung dort zugleich gezwungen ist gegen die erstarkenden Nazis von Chrysí Avgí zu kämpfen (Demos und Auseinandersetzungen in Préveza, Véria, Xánthi, Iráklion, Réthimnon) und viele GenossInnen als ArbeiterInnen, Angestellte, StudentInnen und SchülerInnen in vielfältige Abwehrkämpfe an Arbeitsplatz, Schule und Universitäten involviert sind. (Streiks bei Pensionkassen, der Molkerei Mevgal, den Zeitungen Makedonikós und Angeliofóros in Thessloníki, landesweit bei den Bauarbeitern, dem Öffentlichen Nahverkehr Thessaloníkis, der TEI Athen… Außerdem sollen 52 Finanzämter geschlossen werden und sind zur Zeit besetzt.)

Unterstützen wir die Kämpfe in Griechenland mit eigenen Mobilisierungen – Solidarität ist eine Waffe!