Rückblick auf ein Jahr Gewerkschaftsarbeit unter Corona-Bedingungen

Die Corona-Pandemie hat in den letzten Monaten alle Lebensbereiche beeinflusst – so auch unsere Gewerkschaftsarbeit. Mit diesem Bericht wollen wir ein Zwischenfazit ziehen, für Nicht-Mitglieder einen Einblick in unsere Arbeit geben und alle motivieren selbst aktiv zu werden.

Aufgrund der Pandemie-Situation veränderten sich die Arbeitsabläufe an unseren Arbeitsplätzen zum Teil erheblich. Diese Entwicklungen wirkten sich auch auf unsere gewerkschaftliche Tagesarbeit aus und veränderten unsere Arbeitsschwerpunkte. Die Frage nach adäquaten Gesundheitsschutzmaßnahmen wurde zu einer zentralen Frage. Auch die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf (ausgelöst z.B. aufgrund eingeschränkter Kinderbetreuungsangebote) rückte in den Vordergrund. Neben dem Gesundheitsschutz wurde von der Mehrheit der Mitglieder eine erhöhte Arbeitsbelastung bzw. Arbeitsverdichtung thematisiert – vereinzelt jedoch auch fehlende Arbeit (Kurzarbeit) und damit weniger Lohn.

In den letzten Monaten waren viele unserer Mitglieder infolge der Corona-Pandemie in ihren Betrieben aktiv um gemeinsam mit ihren Kolleg*innen wirksame Gesundheitsschutzmaßnahmen einzufordern – sei es im Metallbetrieb, Mehrpersonenbüro, Wohnheim für Menschen mit Behinderung oder im Bildungsbereich. Einige Mitglieder wehrten sich erfolgreich gegen die steigende Arbeitsverdichtung in ihren Betrieben. Anderswo setzten Mitglieder der FAU Stuttgart zusammen mit ihren Kolleg*innen das Recht auf Home Office für die Belegschaft durch oder begleiteten Schlichtungsverfahren nach einer unrechtmäßigen Kündigung.

Die gewerkschaftliche Beratungsarbeit verlagerte sich tendenziell weg von der offiziellen monatlichen gewerkschaftlichen Beratungssprechstunde hin zu Einzelberatungen unter Kolleg*innen im Betrieb sowie im Bekanntenkreis und Beratungen für Mitglieder zu ihrer Arbeitssituation in der Pandemie. Dennoch wendeten sich auch weiterhin neue Leute an unser monatliches gewerkschaftliches Beratungsangebot. Hier berieten wir nicht nur bezogen auf die bisherige Situation am Arbeitsplatz, sondern auch verstärkt bezüglich Kurzarbeit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder neuer Jobmöglichkeiten – eine weitere pandemiebedingte Veränderung.

Unsere Möglichkeiten der rechtlichen Beratung vor Ort haben wir ausgebaut, indem wir zu vergünstigten Bedingungen eine Kooperation mit einer Stuttgarter Anwaltskanzlei geschlossen haben. Somit haben wir neben der anwaltlichen Beratung der FAU Region Süd eine zusätzliche Anlaufstelle für rechtliche Beratung, die persönliche und längerfristig begleitende Unterstützung anbieten kann.

Die Corona-Pandemie hatte auch auf unsere internen Organisationsabläufe Auswirkungen.

Als im März die ersten Kontaktbeschränkungen verordnet wurden, haben wir unsere Kommunikationskanäle sofort auf Online-Betrieb angepasst, auch dank der schnellen und professionellen Unterstützung durch die bundesweiten FAU-Admins. So konnten wir weiterhin Vollversammlungen und Sekretariatstreffen mit vielen Leuten sicher umsetzen. Die gewerkschaftliche Beratung haben wir ausgebaut: Seit Frühjahr sind wir nun auch durch eine gewerkschaftliche Telefonnummer erreichbar. Und für den informellen Austausch der Mitglieder wurde eine Messenger-Gruppe eingerichtet.

In der Phase niedriger Infektionszahlen im Sommer konnten wir in einer Vollversammlung mit Hygienekonzept im Stadtteilzentrum Gasparitsch die Neuwahlen unseres Gewerkschaftssekretariats durchführen. Und wir experimentierten mit einer Mischung aus physischen Treffen mit der Möglichkeit online teilzunehmen. So konnten wir auch Leute mit einbeziehen, die entweder wegen gesundheitlicher Bedenken oder langem Anfahrtsweg nicht zum Treffen kommen konnten bzw. wollten. Beim Syndikatsausflug im Sommer 2020 für Mitglieder, Kolleg*innen, Freund*innen und Interessierte wanderten wir zum Bärensee und grillten anschließend gemeinsam.

Gemeinsames Grillen, sich austauschen und entspannen beim Syndikatsausflug

Intern haben wir unsere Organisationsstrukturen in den letzten Monaten umstrukturiert, sie flexibler und effizienter gestaltet. Dies war unabhängig von der Corona-Pandemie längerfristig schon geplant. So haben wir eine neue Geschäftsordnung für den Ablauf der Vollversammlungen erarbeitet. Vollversammlungen finden nun nicht mehr monatlich, sondern nur noch alle 3 Monate statt. Alle wichtigen und strategischen Entscheidungen werden in diesem Rahmen weiterhin basisdemokratisch von den Mitgliedern getroffen. Das Sekretariat hat im Rahmen seiner festgelegten Entscheidungsleitlinien die Aufgabe, zwischen den Vollversammlungen die organisatorischen Aufgaben der Gewerkschaft zu erfüllen und legt in den Vollversammlungen Rechenschaft darüber ab.

Uns ermutigt und bestärkt, dass in Zeiten verstärkt wahrnehmbarer pandemiebedingter Vereinzelung und wachsender Ohnmachtsgefühle das Allgemeine Syndikat (FAU) Stuttgart weiterhin handlungsfähig ist und in den letzten Monaten stetig neue Mitglieder dazugewinnen konnte.

Ein weiterer wichtiger Baustein unserer Gewerkschaftsarbeit bildet die Solidarität mit gewerkschaftlich Kämpfenden – nicht nur innerhalb der FAU sondern weltweit. Hier konnten wir finanziell und durch Öffentlichkeitsarbeit mehrere gewerkschaftliche Kämpfe unterstützen, zum Beispiel den Streik der Fabrikarbeiter*innen bei Valencia im Frühjahr 2020 oder den Streik der Erntehelfer*innen in Bornheim im Mai.

Protestbrief an das spanische Generalkonsulat Stuttgart

Sehr gefreut hat uns, dass es in Heidelberg seit 2020 wieder ein Syndikat der FAU gibt. Gewerkschaftsaktive der FAU Stuttgart hatten sich im Winter letzten Jahres mit der Initiativgruppe getroffen und mit ihnen im Gespräch geklärt, was sie zur Syndikatsgründung an organisatorischen Grundlagen und gewerkschaftlichem Know-how benötigen. In den vergangenen Monaten bis zur Gründung standen wir immer wieder online und auch persönlich in Kontakt mit ihnen und haben Fragen geklärt, Konzeptentwürfe gemeinsam diskutiert und auch bei ersten praktischen Schritten der Gewerkschaftsarbeit vor Ort unterstützt.

Abschließend können wir feststellen, dass die Corona-Pandemie verdeutlicht hat, dass der Arbeitsplatz als Ort des Kampfes für Verbesserungen und Ort des Austauschs und der Solidarität deutlich weniger Einschränkungen unterlegen war als andere Bereiche, von politischen persönlichen Treffen bis zu kollektiven Aktionen im öffentlichen Raum.

Des weiteren hat die Corona-Pandemie gezeigt, wie wichtig organisierte kämpferische und solidarische (Gewerkschafts-)Strukturen am Arbeitsplatz sind – nicht nur in prekären, schlecht bezahlten oder arbeitsintensiven Jobs, sondern in jeder Branche.

Schließlich war für uns einmal mehr erfahrbar, dass konkrete materielle Verbesserungen für uns Lohnabhängige möglich sind – wenn wir Lohnabhängigen uns gemeinsam organisieren und aktiv werden.

Freie Arbeiter*innen Union Stuttgart – Die kämpferische Gewerkschaft
März 2021

[ssba]