Wie kündigen, nur beschissener. FLINK strikes again

english version here

Dass die Kündigung, bei der wir im November 2022 unser Mitglied Prince unterstützt haben, nicht die letzte bleiben würde, war abzusehen. Wieder zieht ein FAU-Mitglied gegen FLINK vor Gericht.

Am Dienstag, den 28.02.2023 um 13:00 Uhr treffen wir uns erneut beim Arbeitsgericht Dresden (Hans-Oster-Straße 4), um unser Mitglied Agya zu unterstützen. Wir laden euch dazu herzlich ein.

Agya hat 2021 bei FLINK als Rider begonnen. Die Missstände, über die wir schon an andere Stelle berichet haben, kennt auch er. Seine Stellungnahme findet ihr hier.

Nach seinem Urlaub kam Agya mit einem Schreiben zu uns in die gewerkschaftliche Beratung, das zunächst wie ein AGB-Auszug oder eine Vertragsänderung aussah.

In diesem Schreiben wurde ihm mitgeteilt, dass sein Arbeitsverhältnis automatisch endet. Warum? Weil entsprechend seines Aufenthaltstitels sein Arbeitsverhältnis nach 120 Arbeitstagen ende… Dass es sich bei dieser Einschränkung aber nicht um eine absolute Summe, sondern ein jährliches Maximum handelt, erwähnt FLINK mit keinem Wort. Stattdessen behaupten sie lieber eine gesetzliche Pflicht, der sie leider, leider nachkommen müssten. Ganz sicher scheinen sie sich aber mit der Gesetzeslage auch nicht zu sein, denn sicherheitshalber kündigen sie

„zudem hilfsweise […] außerordentlich fristlos, höchst hilfsweise ordentlich, äußerst hilfsweise außerordentlich unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist […]“.

Haben wir damit alle rechtlichen Schlupflöcher gestopft, ja? Wir glauben nicht und unterstützen als FAU Dresden unser Mitglied Agya dabei, sein Recht einzuklagen und FLINK nicht mit solchen faulen Tricks davon kommen zu lassen. Wir haben ja schon einiges im ersten Prozess erlebt, den wir gegen FLINK geführt haben. FLINK wollte lieber nicht, dass etwas davon an die Öffentlichkeit dringt und ohne Verschwiegenheitsverpflichtung keinen Vergleich abschließen.

Sobald man mehr mit diesem Unternehmen zu tun hat, drängen sich kritische Fragen geradezu auf: Wie kann so ein großes Unternehmen eigentlich ständig Leute feuern, wie auch Agya berichtet, ohne dass ernsthafte Konsequenzen folgen? Müsste den Gerichten nicht auffallen, dass hier systematisch gegen das Arbeitsrecht verstoßen wird? Gibt es eigentlich auch eine „Three-strikes-and-you-are-out“-policy für Arbeitsrechtsverletzung vonseiten der Chef:innen und Hubmanager:innen?

Ein systemisches Problem

Leider nein und das wird sich wohl auch so schnell nicht ändern. Das deutsche Arbeitsrecht ist fast ausschließlich Individualrecht, Sammelklagen gibt es nicht und Bußgelder oder gar Strafverfahren für Arbeitsrechtsverstöße noch viel weniger oder nur in ganz bestimmten Fällen. Und genau das scheint FLINK sehr bewusst und ganz recht zu sein.

Denn wie viele nicht deutschsprachige Studierende oder migrantische Arbeiter:innen – also die Leute, die einen großen Teil der Belegschaft bei FLINK stellen – haben schon die Zeit und die Kraft, sich gegen ungerechtfertigte Kündigungen zur Wehr zu setzen, oder jeden Monat wieder ihren Lohn nachzurechnen und ihn dann auch einzufordern – mit der Befürchtung, dass das dem Management irgendwann sauer aufstößt? Ja, wie viele Arbeiter:innen mit deutschem Pass würden das schaffen und haben den Mut dazu, selbst ohne Sprachbarriere?

Das aktuell herrschende kapitalistische Wirtschaftssystem, das im Krisenmodus den Gürtel noch mal enger schnallt, basiert darauf, dass diskriminierte Gruppen auch im Job untergebuttert werden, schlechtere Löhne und weniger Arbeitsschutz erhalten, oder wie diesem Fall Verschiebemasse für vom Risikokapital aufgeblasene Sinnlos-Start-ups sind.

Das System FLINK ist grundlegend rassistisch, auch wenn es hier und da mal eine „convenience translation“ der Arbeitsunterlagen gibt. Rassistisch ist aber auch, dass Menschen gezwungen sind, diese bullshit jobs anzunehmen, weil andere Branchen und Firmen für sie verschlossen sind, … und das nicht nur aufgrund der fehlenden convenience translation. Und rassistisch ist die Regelung der Ausländerbehörde, ausländische Studierende nur Arbeit bis zu einem Maximum von 120 Tagen zu erlauben und gleichzeitig den Zugang zu Sozialsystemen zu verweigern … ganz zu schweigen von anderen Fällen, in denen die Arbeitsgenehmigung ganz entzogen wird, wie zum Beispiel bei Menschen mit Duldung. Die kapitalistische Akkumulation geht munter weiter, könnte ohne gar nicht funktionieren. Und die deutschen, privilegierteren Arbeiter:innen und Konsument:innen verschließen allzu oft die Augen.

Und etwas bewegt sich doch

Sammelklagen würden es vielleicht leichter machen, sich zur Wehr zu setzen, wenn Unrecht passiert. Aber auch dafür müssen wir uns zusammen schließen, uns finden, uns organisieren. Unser Ziel ist also nicht, hier und da eine Klage gegen FLINK zu gewinnen, sondern Menschen zu ermutigen, an ihrem Arbeitsplatz mit den Kolleg:innen ins Gespräch zu kommen und langfristige Austauschstrukturen aufzubauen – Betriebsgruppen. Denn was den Chef:innen wirklich Angst macht, sind Arbeiter:innen, die es erst gar nicht zu solch massivem Personalaustausch kommen lassen.

Bestes Beispiel: FLINK. In Berlin versucht FLINK aktuell mit den absurdesten Methoden, die Gründung eines Betriebsrats zu verhindern.1 In dieser Sache fand erst am 17. Januar 2023 mit Unterstützung durch die Aktion gegen Arbeitsunrecht ein Gerichtstermin vor dem Arbeitsgericht Berlin statt. Der Prozess ist noch nicht vorbei, am 14. März 2023 geht es weiter. Wir wünschen allen Beteiligten viel Erfolg!

Es bewegt sich also was in der Lieferbranche. Die Organisierung dort hat sogar schon dazu beigetragen, dass Bewegung in den extrem restriktiven Umgang mit Streiks in Deutschland gekommen ist – und zwar nicht, weil die Arbeiter:innen gefragt haben, ob sie das Recht haben, sondern indem sie es sich genommen haben. 2021 sind Arbeiter:innen beim Lieferdienst Gorillas in den Streik getreten, haben sich einen Dreck um Friedenspflicht und tariflich regelbare Ziele geschert und den Betrieb mit Blockaden lahm gelegt. Im darauffolgenden Gerichtsprozess wurde erstmals seit Jahrzehnten die rechtliche Auffassung infrage gestellt, dass so etwas illegal sei. Dies stellt einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Liberalisierung des Streikrechts in Deutschland dar, die von der International Labour Organization (ILO) schon lange angemahnt wird.

Oft fehlt uns der Mut und die Aufmüpfigkeit. Schließen wir uns zusammen, um das zu ändern!

  1. Im Allgemeinen sind wir der Meinung, dass Betriebsrät:innen mit ihrer Verpflichtung zu vertrauensvoller Zusammenarbeit und starken Reglementierung eine organisierte Belegschaft nicht ersetzen können. Aber im Fall von FLINK sind die Bemühungen sinnvoll, um überhaupt Arbeiter:innen länger als ein paar Monate bei FLINK zu halten.

Eine Antwort auf „Wie kündigen, nur beschissener. FLINK strikes again“

Kommentare sind geschlossen.