Durch Streikverbot zur Tarifeinheit?

Das Thema ist brisant, keine Frage. Dass am 1. November „nur“ 50 Berliner GewerkschafterInnen zur Veranstaltung „Durch Streikverbot zur Tarifeinheit?“ in den Roten Salon der Volksbühne fanden, ist jedoch keine Überraschung. Denn einerseits ist die Debatte noch weitgehend ein Expertenstreit, andererseits befasst sich nur eine Minderheit in den deutschen Gewerkschaften mit dem Thema.

Geladen hatte das Komitee für gewerkschaftliche Freiheit, das im Zuge des Babylon-Kampfes der FAU Berlin gegründet worden war. Das Podium war mit Vertretern der FAU, der GdL und ver.di’s sowie eines Fachanwalts recht breitgefächert besetzt. Die Ablehnung der Gesetzesinitiative war vollkommen unstrittig, da sich kein Befürworter der Initiative zur Teilnahme bereitgefunden hatte. Dies wurde bereits in den Eingangsreferaten deutlich.

Vorspiel
Im Juli 2009, so leitete Moderator Jörn Boewe ein, äußerten DGB und BDA vor der Bundestagswahl ihre Sorgen angesichts der Entwicklung der Spartengewerkschaften. Im Juni 2010 stellten beide Spitzenorganisationen dann eine gemeinsame Gesetzesinitiative zur Tarifeinheit vor, die in das Tarifvertragsgesetz eingeschrieben werden solle – noch bevor das Bundesarbeitsgericht die Rechtsprechung an die Praxis angepasst und den Grundsatz der Tarifeinheit aufgegeben hatte.

Einigkeit in der Sache
Rolf Geffken, Hamburger Fachanwalt für Arbeitsrecht, wies klipp und klar darauf hin, dass die Verwirklichung der Forderungen von BDA und DGB ein „Verfassungsbruch sehenden Auges“ wären. Schließlich hat bereits das Bundesverfassungsgericht die Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften bestärkt. Auch gewerkschaftspolitisch bezog Geffken klar Stellung: „Dumpingtarife verhindert man nicht durch Regulierung, sondern dadurch dass man den Arbeitnehmern große Handlungsfreiheit lässt.“ Die Bedeutung der unterschiedlichen Ausformungen der Interessenvertretung lasse sich auch aus geschichtlicher Perspektive erkennen: Zuerst war da der Streik, dann die Gewerkschaft und dann erst der Tarifvertrag.
Lothar Degen, für den Fachbereich 8 im ver.di-Landesbezirksvorstand Hamburg, kritisierte seine Organisation heftig, da ver.di die treibende Kraft hinter der Gesetzesinitiative sei. Die innergewerkschaftliche Stimmung beschrieb er so: Nach der Pressekonferenz des DGB-Chefs Sommer „war die Empörung in jenen Bereichen groß, die Arbeitskämpfe hinter sich haben“ – Empörung auch darüber, überhaupt mit der BDA zu diskutieren ... Nach Protest gegen das undemokratische Vorgehen der ver.di-Führung soll es nun zu einer internen Diskussion über die Initiative kommen. Bis dahin aber stellt sich mit dem Gewerkschaftsrat das höchste Gremium hinter (!) die Initiative.
Frank Schmidt, GdL-Bezirksvorsitzender in NRW, kann sich noch gut an Zeiten erinnern, da die Bahnergewerkschaft als Beamtenvereinigung kein Streikrecht besaß. Die DGB-BDA-Initiative, die nun das Rad wieder zurückdrehen will, zielt Schmidt’s Meinung nach auf „rein politischen Machterhalt“ und hat damit keinerlei Legitimität.
Holger Marcks, Vertreter der FAU Berlin, verdeutlichte, dass die Freie ArbeiterInnen-Union als „inklusive Gewerkschaft“ natürlich den Anspruch hat, Mehrheiten zu organisieren. Darin unterscheide sie sich klar von den Spartengewerkschaften. Aber als Bewegungsgewerkschaft werde man ggf. auch in einer Minderheitenposition aktiv. „Ein solidarisches Bewegungskonzept würde von dem Gesetz ausgehebelt“, somit hätte ein solches „Gesetz verheerende Auswirkungen auf die Gewerkschaftslandschaft und die Gesellschaft insgesamt“.

Bedrohung und Perspektiven
Im folgenden Austausch stellte sich v.a. eine Frage: „Wie skrupellos ist die Politik?“ Geffken zeigte sich überzeugt: Da wird was kommen, selbst wenn die DGB-Gewerkschaften sich ausklinken sollten. Möglich wären damit auch tariffreie Zonen für Pflegekräfte in Krankenhäusern, wenn nämlich Tarifeinheit und eine starke Spartengewerkschaft gegeben wären.
Degen dagegen sieht keine großen Chancen, dass die DGB-Gewerkschaften die Initiative fallen lassen werden. Ver.di ist schließlich großteils die ehemalige ÖTV, und da ist es Usus, „sehr staatsnah Politik zu machen“. In den unteren Ebenen gäbe es zwar durchaus Stimmen, die meinen: „Wir entscheiden die Frage [der Tarifeinheit] mit eigener Kraft und wir wollen nicht auf den Staat zurückgreifen.“ Die ÖTV-Fraktion aber verstehe das nicht.
Das ver.di-Mitglied wies zudem auf einen anderen wichtigen Fakt hin: „Wir müssen uns über die Kräfteverhältnisse klar werden.“ Damit meinte er den zweiten Partner der Initiative: die Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände (BDA). Auflösung der Flächentarife, Leiharbeit, Lohndumping ... „alles mal vom BDA durchgesetzt. Das ist eine Kraft, die im allgemeinen unterschätzt wird. Wir sind in einem Klassenkonflikt, das ist mit den bisherigen Methoden der Sozialpartnerschaft nicht mehr zu leisten.“
Schmidt brachte eine weitere wichtige Frage auf den Punkt: „Wer hat in der Gewerkschaft ver.di das Sagen: die Angestellten [Funktionäre] oder die Mitglieder?“ Auf jeden Fall, da herrschte wiederum Einigkeit, muss man den Leuten ihre persönliche Betroffenheit klarmachen. Hier bestehe seitens der Verteidiger der Gewerkschaftsfreiheit noch Nachholbedarf. (AE)

Presse-Echo

junge Welt, 3. Nov. 2010: Gegen die Verfassung