Austerität, Freihandel und globale Eingriffe ins Streikrecht

Drei Aspekte derselben neoliberalen Politik

Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) hat – sehr kurzfristig – den heutigen 18. Februar zum Aktionstag gegen Einschränkungen des Streikrechts erklärt – interessanterweise unter dem selben Titel, unter dem in Deutschland die Kampagne gegen die gesetzliche Tarifeinheit läuft: Hände weg vom Streikrecht!

Wir nehmen diesen Tag zum Anlass, um den Zusammenhang zwischen dem drohenden Tarifeinheitsgesetz und internationalen Eingriffen ins Streikrecht darzustellen.


Am 11. Dezember 2014 stellte Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) den Gesetzentwurf für eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit vor. Das heißt, in aller Kürze: Nur die mitgliederstärkste Gewerkschaft in einem Betrieb soll die Möglichkeit haben, einen Tarifvertrag auszuhandeln. Da das gerichtliche (nicht gesetzliche!) Streikrecht in Deutschland Streiks nur im Rahmen von Tarifverhandlungen vorsieht, bedeutet dies tendenziell, dass kleinere Gewerkschaften keine Tarife mehr aushandeln können und damit auch nicht streiken dürften.

Die offizielle Argumentation für dieses Gesetz, die uns in den Medien entgegenschlägt, nennt zahlreiche Streiks von Berufs- oder Spartengewerkschaften, die der Volkswirtschaft schaden würden. „Englische Verhältnisse“ würden drohen: Gemeint ist damit das England der 1970er Jahre, das von zahlreichen Streiks geprägt war, bevor Margret Thatcher zum Generalangriff auf die Gewerkschaften blies.

Tatsächlich ist das ziemlicher Unsinn. Es sind nur sechs Berufsverbände, die eine eigenständige Tarifpolitik neben den Gewerkschaften des DGB anstreben. Lediglich drei von ihnen – der Marburger Bund, die Vereinigung Cockpit und die Gewerkschaft deutscher Lokführer – haben durch Streiks bessere Tarifverträge abschließen können. Alle diese Berufsverbände sind schon seit Anfang der 2000er Jahre aktiv und es ist nicht absehbar, dass sich mehr streikmächtige Berufsverbände bilden, zumal dies ebenfalls 2014 gesetzlich erschwert wurde.

Der wirkliche Grund für eine Einschränkung des Streikrechts liegt woanders: „Fast alle großen Fluglinien wie die Lufthansa und British Airways sind dabei, billige Fluglinien mit geringeren Löhnen einzuführen. Im Bahnverkehr sind in vielen Ländern scheibchenweise ablaufende Privatisierungen und seit vielen Jahren Lohnkürzungen im Gange. Damit diese Veränderungen nicht zu Blockaden dieser Transportmittel durch streikende Beschäftigte führen, will die Bundesregierung ein neues Gesetz erlassen: Das Gesetz zur Tarifeinheit dient damit unmittelbar der politischen und repressiven Absicherung von Lohndumping in den Verkehrsbetrieben [...]“ erläutert Jörg Nowak (express 12/2014).

Das heißt konkret: ein Gesetz, dass das Streikrecht definitiv einschränken wird, auch wenn es wörtlich im Gesetz keine Erwähnung findet, sorgt für weniger Unruhe, wenn exakt die Privatisierungen und Lohnkürzungen in Kraft treten, die u.a. Freihandelsverträge wie TTIP, TISA und CETA vorsehen! Die Gefahr dieser Freihandelsverträge besteht nicht so sehr darin, dass durch ihre Ratifizierung plötzlich alles anders wäre, sondern das mit Berufung auf diese Verträge peu à peu weitere Privatisierungen und Deregulierungen durchgesetzt werden. Dann käme es auf effektiven Widerstand in den konkreten Fällen an – und um genau diese letztlich zu kriminalisieren, werden jetzt die Voraussetzungen geschaffen. Die versuchten Einschränkungen des Streikrechts beschränken sich entsprechend in Deutschland schon lange nicht mehr auf die gesetzliche Tarifeinheit, sondern es mehren sich Vorschläge für Zwangsschlichtungen und Einschränkungen des Streikrechts in der Daseinsfürsorge – wozu auch der privatisierte Transport gezählt wird.

Wem das bislang nicht bekannt vorkommt, der_die sollte sich die Anforderungen der Austeritätspolitik im Verhältnis zu den Eingriffen in die Tarifautonomie in den Staaten Südeuropas anschauen: In Spanien etwa bedeutet das Real Decreto-Ley 3/2012 vom 10.02.2012 die bis dato schärfste Einschränkung der Tarifautonomie: Der Kündigungsschutz wurde mit dem Gesetz drastisch reduziert, kollektive Entlassungen müssen nunmehr weder staatliche genehmigt noch mit Betriebskomitees oder Gewerkschaften verhandelt werden, die Unternehmen können mit wirtschaftlicher Begründung ohne Verhandlungen aus Tarifbindungen ausscheren (ähnlich wie in Deutschland seit 2006 Unternehmen auch während Tarifverhandlungen in eine „OT-Mitgliedschaft“ [OT = ohne Tarifbindung] in den Arbeitgeberverbänden wechseln können), sowie Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen anordnen und schlussendlich entfällt die Nachwirkung von ausgelaufenen Tarifverträgen nach einem Jahr. Holm-Detlef Köhler und José Pablo Calleja Jiménez zeigen auf, dass diese Reform bislang weder, wie offiziell argumentiert, die Beschäftigung gefördert noch die Flexibilität im Arbeitsalltag beeinflusst habe: „Das implizite Ziel einer Machtverschiebung zugunsten des Unternehmerlagers wurde dagegen erreicht, denn die Gewerkschaften sehen sich einer Unternehmeroffensive in den Tarifverhandlungen, einer einseitigen Aufkündigung des sozialen Dialogs und billigen Massenentlassungen ohne Gegenwehr gegenüber“ (WSI-Mitteilungen 5/2013).

Die hohe Zahl politischer Generalstreiks in Südeuropa, insbesondere in Griechenland, hat auch mit diesen Einschränkungen der Tarifautonomie zu tun: Streiks gegen die Unternehmen sind schlicht kaum noch durchführbar. An den griechischen Generalstreiks nehmen in Folge dessen auch kaum Industriearbeiter*innen mehr teil, sondern in erster Linie Angestellte des Öffentlichen Dienstes und gut ausgebildete prekär Beschäftigte aus dem Dienstleistungsbereich. Die Streikmacht des Kerns der Arbeiter*innenschaft ist bereits gebrochen. Zur Zerschlagung des griechischen Tarifsystems gehörte eine 20prozentige Reduzierung des Mindestlohns, die auch von der ILO (International Labour Organisation) „als offener Verstoß gegen die Tarifautonomie“ gewertet wurde, so Thorsten Schulten in der Gegenblende (Mai/Juni 2013). Thorsten Schulten fasst die Troika-Strategie bezüglich der Zerschlagung gewerkschaftlichen Widerstands in vier Punkten zusammen: Abschaffung von landesweiten Tarifbindungen, Schaffung von Abweichungsmöglichkeiten von geltenden Tarifverträgen, massive Reduzierung von Allgemeinverbindlichkeitsregelungen und Brechung gewerkschaftlicher Verhandlungsmonopole.

Gerade der letzte Punkt scheint das genaue Gegenteil eines „Tarifeinheitsgesetzes“, wie es in Deutschland geplant ist, zu sein. Tatsächlich aber sind sich die meisten Arbeitsrechtsexpert*innen (auch jene auf Unternehmensseite) einig, dass das Gesetz die zwischengewerkschaftliche Konkurrenz eher fördert, da diese sich ja nach aller Kraft bemühen müssen, die jeweils mitgliederstärkste Gewerkschaft zu werden. Exemplarisch kann man dies am Konkurrenzkampf zwischen GDL und EVG beobachten. Die „mitgliederstärkste Gewerkschaft“ kann aber auch recht einfach eine vom Unternehmen selber etablierte gelbe Gewerkschaft werden.

Die Stoßrichtung ist dieselbe und wird von der Europäischen Kommission auch sehr unverblümt benannt: „decrease the bargaining coverage or(automatic) extension of collective agreements” – also die Verringerung der Tarifbindung – und, noch wesentlich deutlicher, eine „reduction in the wagesetting power of trade unions“ - also eine geplante Zerschlagung der Organisationsmacht der Gewerkschaften.

Die Konventionen der ILO scheinen diesen Entwicklungen entgegenzustehen. Aber die ILO-Konventionen sind kein scharfes Schwert: Mehr als Ermahnen und Rügen kann die ILO nicht. Nichtsdestotrotz haben ILO-Konventionen natürlich einen hohen Wert in der Setzung rechtlicher und ethischer Standards sowie als Bezugspunkt für nationale Rechtssprechungen. Deswegen hat die Initiative aktion ./. arbeitsunrecht e.V. – Initiative für Demokratie in Wirtschaft & Betrieb schon vor geraumer Zeit eine Unterschriftenaktion gestartet, die das Thema TTIP vor allem vor dem Hintergrund der von den USA nicht ratifizierten ILO-Konventionen betrachtet. Die USA haben die Konventionen zur Koalitionsfreiheit (in Deutschland GG Art. 9, Abs. 3; das Recht, Gewerkschaften zu gründen), zu Tarifverhandlungen, zur Abschaffung von Zwangs- und Pflichtarbeit, zu gleichem Lohn, zu Kinderarbeit und zur Diskriminierung nicht ratifiziert. Mit der Geltendmachung von TTIP besteht auch hier die Gefahr eines Angleichs nach unten.

Die Konventionen der ILO stehen aber auch in dort selber unter Beschuss. Schließlich ist die ILO nicht so etwas wie eine globale Gewerkschaft, sondern ein tripartistisch besetztes Gremium der UNO, d.h., hier diskutieren Gewerkschafts-, Unternehmens- und Regierungsvertreter*innen gemeinsam, was sie für sinnvolle Arbeitsrechte bzw. Arbeitsschutzmaßnahmen halten. Und das ist in Zeiten des gewünschten Freihandels und der zu bekämpfenden Krise nicht gerade das Streikrecht.

Im Gegenteil: Auch in der ILO laufen die Initiativen zur Einschränkung des Streikrechts auf Hochtouren. Konkret geht es um die ILO-Konventionen 87 und 98, also um die Koalitions- und Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen. Seit zwei Jahren bereits argumentiert die Unternehmer-Fraktion in dem ILO-Gremium Committee of Experts, dass ein Streikrecht nicht Bestandteil dieser Konventionen sei und dass das Komitee nicht mandatiert sei, die Konventionen entsprechend zu interpretieren. Bisher wurden diese Konventionen immer, ähnlich wie das GG Art.9 Abs.3, als Grundlage eines Grundrechts auf Streik (wenn auch lediglich als „ultima ratio“) interpretiert – eines individuellen Streikrechts übrigens, das also eigentlich weder an Gewerkschaftsmitgliedschaft noch an Tarifverhandlungen gebunden ist. Der Unternehmerseite geht es nun darum, zu verhindern, dass aus dieser Interpretation geltendes Recht wird. Armin Schuhmacher fasst zusammen (in express 12/2014): „Wenn es kein anerkanntes internationales Recht auf Streik und auch keinerlei funktionierende Überwachung mehr gibt, sind Sozialstandards in Handelsabkommen (und anderswo) wirkungslos. Weder Staaten noch Konzerne sind dann noch für deren Verletzung zu kritisieren oder gar rechtlich zur Verantwortung zu ziehen“.

Schuhmachers Hinweis ist deutlich: Die „Sozialstandards in Handelsabkommen“ verweisen natürlich auf die aktuellen TTIP- und TISA-Verhandlungen sowie auf die Ratifizierung von CETA: „Wenn das Recht auf Streik im ILO-System nicht mehr unzweifelhaft garantiert ist, können Konzerne nationale Streikrechte als profitschädigendes Handelshemmnis betrachten [...] und [...] Milliarden an Entschädigungen einklagen“ (ebd.).

Dass es letztlich bei all diesen Initiativen zur Brechung, Beugung und Abschaffung des Streikrechts darum geht, den Widerstand gegen Freihandel und Austeritätspolitik zu brechen, macht Schuhmacher anhand eines im Internet zu findenden Gesprächs von 2011 über Reformen des Streikrechts in England deutlich: „Hintergrund sind die zunehmenden Proteste und Streiks gegen die Kürzungs- und Privatisierungspolitik in Großbritannien (und anderswo) im Folge der Finanzkrise“ (ebd.). „Englische Verhältnisse“ sind heute eben nicht mehr massive Streiks, sondern vielmehr ein Streikrecht, das aktuell wesentlich restriktiver ist als z.B. das deutsche. TTIP ist zu verstehen als Instrument zu einer Wiedererlangung wirtschaftlicher Vormachtstellung der USA und Deutschlands (als Leitmacht der EU) gegenüber den Staaten des globalen Südens und gegenüber den eigenen arbeitenden und armen Klassen. „Die [gesetzliche, Anm. d.A.] Tarifeinheit ist ein Puzzlestück in diesem Vorhaben“<