Demonstrieren in den Zeiten des Bank Run

Zu den «Blockupy»-Aktionstagen

«Bank Run» nennt man es, wenn verunsicherte Bankkunden in großer Anzahl die Schalter oder Geldautomaten stürmen, um ihre Ersparnisse in Bargeld zu verwandeln. Macht das eine kritische Masse an Menschen, müssen die Banken innerhalb kurzer Zeit ihre Schalter schließen. Ein «Bank Run» ist der Albtraum einer jeder Regierung, denn er ist der manifeste Beleg, dass das Finanz- und mit ihm das gesamte Wirtschaftssystem kurz vor dem Zusammenbruch steht. «Bank Run» hört sich also nicht nur so ähnlich an wie «Bank Ruin» sondern schmeckt auch ganz ähnlich. In Griechenland scheint in den letzten Tagen ein «Bank Run« seinen Anfang genommen zu haben und auch in Spanien stieg der Umfang an Bargeldabhebungen sprunghaft. Einen Run ganz besonderer Art erlebte in dieser Woche Frankfurt/Main. In der Stadt waren seit Donnerstag die meisten Geldautomaten abgeschaltet. Dies ist die Begleitmusik zu einer unglaublichen Hysterie, mit der das politische Establishment in den letzten Tagen vormacht hat, dass es gewillt ist, die vermeintlichen Bürgerrechte mit Hilfe von Polizei und Gerichtsbarkeit jederzeit außer Kraft zu setzen, wenn die Interessen der (Finanz-)Wirtschaft und der Shareholder-Value dies erfordern.


Blockupy-Großdemonstration am 19. Mai 2012 | Quelle: graswurzel.tv

Wer seit letzten Mittwoch versuchte, aus einem der vielen Geldautomaten in der Frankfurter City Geld zu ziehen, erlebte in der Regel eine böse Überraschung. Fast alle Automaten waren abgeschaltet. Die Folge: An den wenigen noch funktionierenden bildeten sich lange Schlangen. Anders als in Athen oder Madrid waren diese Schlangen allerdings noch nicht das panische Vorspiel zu einem Bank Run, bei dem wie im Dezember 2001 in Buenos Aires die Rollgitter der Banken fallen und die Konten eingefroren werden. Bis dahin wird es wohl noch ein wenig dauern.

Die Abschaltung der Automaten in der Mainmetropole war vielmehr Teil eines Szenarios, in dem die von der CDU und den GRÜNEN gestellte Stadtregierung auf Drängen übergeordneter Behörden das Zentrum der Stadt in das Aufmarschgebiet eines Bürgerkrieges verwandelt hat. Mehr als 5.000 Polizisten, darunter große Mengen Aufstandsbekämpfungseinheiten solchen Charakters und hunderte von Beamten in Zivil versuchten in den letzten Tagen Aktionen einiger hundert AktivistInnen von «Blockupy» zu verhindern. Was den DemonstrantInnen nicht so recht gelungen ist, hat dabei schließlich der Aufmarsch des staatlichen Gewaltmonopols zu Stande gebracht. Nix ging mehr in der City of Francfort, viele Beschäftigte freuten sich über zwei unverhoffte freie Tage ohne Zwang zur Lohnarbeit.

Weniger spaßig ist allerdings, dass die Institutionen dieses Staates im Vorfeld der angekündigten Blockade gezeigt haben, wie umstandslos sie bereit sind, die demokratische Maske fallen zu lassen und sich stattdessen die schwarzen Hasskappen der Aufstandsbekämpfungspolizei überzustreífen. Wenn es bereits jetzt, in einer Situation in der die Krisenbewältigung in diesem Lande noch halbwegs zu funktionieren scheint, möglich ist, ohne viel Federlesens und unter dem Jubel eines nicht geringen Teils der veröffentlichten Meinung, das Demonstrationsrecht faktisch außer Kraft zu setzen, ist es vermutlich angebracht, sich der letzten eventuell noch verbliebenen Illusionen über den Charakter dieses Systems zu entledigen.

Im Umfeld der geplanten Proteste wurden nicht nur faktisch alle Kundgebungen und Versammlungen verboten und diese Verbote von einer Justiz, die ansonsten eifrig darum bemüht ist, jeden Naziaufmarsch zu genehmigen, letztinstanzlich durchgewunken. Die Polizei ihrerseits hatte hunderte von potentiellen DemonstrantInnen bereits auf der Anreise gestoppt, dokumentiert, abgelichtet, erfasst, gespeichert und mit einem summarischen Aufenthaltsverbot belegt. In den Wochen davor hatte sie bereits versucht, mehr als 600 DemonstrantInnen ein Aufenthaltsverbot für Frankfurt zu erteilen. Unter díesen befanden sich auch über 400 Menschen, die von der Polizei bei der Demonstration im Rahmen des M31-Aktionstages willkürlich eingekesselt und festgenommen worden waren. Der Staatsschutz ging parallel dazu in Frankfurt Klinken putzen und versuchte Druck auf diejenigen Einrichtungen auszuüben, die Räumlichkeiten für Veranstaltungen und Infrastruktur rund um «Blockupy» zur Verfügung gestellt haben. Am Samstag, dem Tag der genehmigten zentralen Demonstration, deren Verbot man jedoch schon im Vorfeld für den Fall angedroht hatte, dass es während der Blockupy-Tage doch Aktionen geben sollte, wurden die Züge auf dem Weg nach Frankfurt durchsucht und Ringe mit Straßensperren rund um die Bankenmetropole errichtet.

Angesichts der von Staat, Polizei und Medien betriebenen Hetze und der faktischen Außerkraftsetzung des Versammlungsfreiheit drängten sich älteren TeilnehmerInnen unwillkürlich Erinnerungen an das Klima der späten 70er auf. Seinerzeit gehörte es fast schon zum Alltag, dass man auf dem Weg z.B. zu einer Anti-AKW-Demonstration bei den Personenkontrollen auf den gesperrten Autobahnen erst einmal die Maschinenpistole durch die geöffnete Scheibe gehalten bekam.

Wenn schon jetzt die Aufstandsbekämpfungskonzepte mit Blick auf die Rating-Agenturen so aussehen, wie es der Staat in Frankfurt/Main getestet hat, braucht es wenig Phantasie, um sich die Sorte von „Freiheit und Democracy“ vorzustellen, der man die unzufriedene Bevölkerung im Zuge einer sich verschärfenden Krise zu unterziehen gedenkt. Über die Konzepte für den Fall massenhafter Krisenproteste tauschen sich die europäischen Fachagenturen für Aufstandsbekämpfung schon seit längerem aus.

In Frankfurt/Main dürfte das Resumée aus Sicht des polizeilichen Lagezentrums eher zwiespältig ausgefallen sein. Unter denen, die sich an «Blockupy» und der Großdemonstration am Samstag beteiligt haben, waren viele, die vornehmlich deshalb gekommen sind, weil sie ein Zeichen setzen wollten gegen die Verbote und die Einschüchterung. Politik, Polizei und Gerichte waren so die besten «Blockupy»-Promotor angesichts einer eher schleppenden Mobilisierung.

Der Polizei ist es mühelos und effizient gelungen, die Blockaden selbst durchzuführen, wenn es ihr schon nicht gelungen ist, die Demonstrationsverbote gänzlich durchzusetzen. Das wurde in höhnischen „ihr habt euch selbst blockiert“-Sprechgesängen auf der Großdemonstration immer wieder vergnügt skandiert und auf den Punkt gebracht. Zum sichtlichen Verdruss von Verwaltung und Polizei drehte sich im Verlauf der Aktionstage dann teilweise auch noch die mediale Stimmung, so dass am Ende Springers «Welt» schon fast beleidigt ein paar Böller wiederkauen musste, welche die Demo am Samstag akustisch begleiteten. Nachdem sich in der Praxis gezeigt hat, wie einfach es ist, die Staatsmacht mit ein paar wohl platzierten Aufrufen zur Selbstblockade einer ganzen Metropole zu treiben, dürfte das wohl jedenfalls nicht der letzte Anlauf zu einem solchen «Blockupy yourself» gewesen sein.

Letztlich kann man es durchaus als Erfolg werten, dass sich hunderte einen feuchten Kericht um die Demonstrationsverbote geschert haben und dass es zum zweiten Mal innerhalb von zwei Monaten in Frankfurt/Main deutlich wahrnehmbare Proteste gegen die anhaltenden Bemühungen gegeben hat, die Kosten der Krise auf uns abzuwälzen. Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Blockade-Aktionen wie die im Rahmen von Blockupy angekündigten, beherrschbar bleiben, wenn sie nur von kleinen Kreisen politischer AktivistInnen getragen werden und dass sie kaum mehr als Symbolik sein können. Eines der vielen Flugblätter, die auf der Demonstration am heutigen Samstag verteilt wurden, enthielt die Rede der FAU auf der Demo zum M31-Aktionstag. Darin wird die Notwendigkeit einer europaweit vernetzten Mobilisierung gegen das Krisenregime unterstrichen, die zwar auch in eher symbolischen zentralen Demonstrationen ihren Ausdruck finden wird, ihre Grundlage aber in der täglichen Blockade der Krisenpolitik in Betrieben und Stadtteilen entwickeln muss. So könnte aus den in den Bereich des Möglichen gerückten «Bank Runs» letztlich vielleicht ja noch ein «System Change» werden.