Mietstreik in Warschau: Aktivierung und Organisation im Kontext sozialer Atomisierung

Der Mietstreik in Warschau läuft seit dem 1. Oktober 2010. Obwohl die Gründe dafür bis zu einer viertel Millionen BewohnerInnen der Hauptstadt Polens betreffen, ist die Anzahl der sich beteiligenden MieterInnen bislang nicht signifikant. Das Fehlen einer diesbezüglichen Tradition und die Atomisierung der Gesellschaft sind hierfür ausschlaggebend - typische Phänomene in den ehemaligen Staaten des sowjetischen Blocks. Außerdem gibt es nur eine geringe Anzahl an Basisbewegungen in Polen und die Linke schätzt radikale Aktionen jenseits reformistischen und parteipolitischen Engagements nur äußerst gering.[1]

Die Warschauer ZSP, die zu dem Streik aufgerufen hat, macht sich seit Beginn des Mietstreiks keine kurzfristigen Illusionen und hat die Aktion auf längere Zeit ausgelegt. Die Verzweifelten sollen sich daran beteiligen, diejenigen, die nichts zu verlieren haben. Die Hoffnung ist, dass die Bewegung wächst, sobald die Menschen sehen, dass das Netzwerk expandiert. Die Aktivierung der Nachbarschaft ist die wichtigste Herausforderung dieser Aktion und ein Element, durch das sich die momentane Situation ändern kann. Für die ZSP hat der Streik nach zwei Monaten erst richtig begonnen.

Die ZSP betrachtet den Streik als notwendige Eskalation der sozialen Proteste gegen die asoziale Wohnungspolitik, gegen Massenprivatisierungen und die Gentrifikation. Wichtiger noch, es ist ein Weg die Menschen zu aktivieren, die ihre Miete nicht zahlen können oder die durch andere Gründe der Gefahr ausgesetzt sind, obdachlos zu werden. Sie sollen lernen sich selbst zu organisieren und sich wehren anstatt dem Elend und der Verzweiflung anheim zu fallen.

Die Beteiligung in der MieterInnen-Bewegung begann vor ungefähr anderthalb Jahren als die Stadt Warschau begann eine Reihe beispielloser Maßnahmen zu erlassen. Dazu zählten drastische Mieterhöhungen, steigende Privatisierung öffentlichen Wohnraums und die Verschärfung der Kriterien zum Erhalt solcher Wohnungen. Gemeinsam mit MieterInnen aus der Nachbarschaft gründeten die Mitglieder der ZSP das MieterInnen-Verteidigungs-Komitee [2].

Die ersten Proteste wurden von den drastischen Mieterhöhungen in Warschau ausgelöst, die 200 bis 300% betrugen. Tatsächlich erhöhten sich die Mieten für einige MieterInnen noch mehr, infolge von Strafen, welche die Stadt eingeführt hat. Die Stadt kann bis zu 300% mehr verlangen sobald MieterInnen, Schulden bei ihr haben oder vergaßen Papierkram zu erledigen. Im schlimmsten Fall hat irgendein Bürokrat seine Aufgaben schlampig erledigt und jetzt müssen die MieterInnen dafür zahlen.

Trotz vieler Proteste und formaler Versuche, die Regelungen außer Kraft zu setzen, lenkten die lokalen Behörden nicht ein. Sie argumentieren, dass die zusätzlichen Einnahmen zur Sanierung ruinierter Häuser eingesetzt wird. Tatsächlich wurden nur magere 1% in Reparaturen investiert.

Viele Menschen, vor allem ältere, können sich die neuen Mieten nicht leisten. Infolge der Privatisierungen leben heute immer mehr in Privatwohnungen, die vorher Eigentum der Stadt gewesen sind. Dieser Vorgang betrifft Tausende. Sobald eine Wohnung nicht mehr öffentliches Eigentum ist, steht es dem Gutsherrn frei die Miete zu erhöhen. Viele MieterInnen stehen vor der Entscheidung ihr Geld für Essen und Medikamente auszugeben oder die Miete davon zu bezahlen. Die soziale Hilfe ist nur sehr gering und viele Hilfsbedürftige befinden sich außerhalb der Sozialsystems. So gibt es beispielsweise Mietzuschüsse für Bedürftige mit niedrigem Einkommen, außer wenn sie Mietrückstände haben (!!!) oder wenn es Probleme mit Schriftstücken gegeben hat. Die skandalösen Entscheidungen zur Privatisierung wurden getroffen, als bereits eine große Anzahl Betroffener solche Mietrückstände aufzuweisen hatte. Deren Anzahl hat sich im vergangenen Jahr drastisch erhöht; so gibt es Gegenden in den 50-60% der BewohnerInnen öffentlicher Wohnungen, Mietrückstände haben und kurz vor der Obdachlosigkeit stehen.

Im Kontext der zunehmenden sozialen Atomisierung, entstand eine obszöne Situation. Die Menschen verhalten sich generell so, als wäre ihre Situation lediglich persönlich verschuldet. Sie haben eine dominierende neoliberale Logik verinnerlicht: wenn jemand seine Miete nicht zahlen kann, dann ist das nicht die Schuld des Systems und sicherlich nicht Schuld des gierigen Gutsbesitzers oder Spekulanten oder die des Politikers, der lieber seine Büro neu einrichtet bevor er Geld in den öffentlichen Wohnungsbau investiert. Die neoliberale Logik macht den einzelnen dafür verantwortlich: wenn du nicht in der Lage bist dir deine eigene Wohnung zu leisten, dann musst du die Konsequenzen dafür in Kauf nehmen. An der Spitze dieser Verinnerlichung steht die Implikation, dass BewohnerInnen stadteigener Wohnungen, Schmarotzer sind. PolitikerInnen und Offizielle vermitteln diese Haltung unglücklicherweise. Doch einer der entscheidendsten Faktoren ist das Gefühl der sozialen Machtlosigkeit, dass nichts getan werden kann und das Fehlen jeglicher Motivation sich mit den Nachbarn zu solidarisieren um etwas gegen dagegen zu unternehmen. Dies ist eine Folge eines über Jahre geschürten Ressentiments, das die Leute gegeneinander aufgehetzt hat. Der ZSP begegnen immer wieder Fälle in welchem der Mangel an Solidarität durch das Misstrauen ausgelöst wird, dass die Nachbarn aufgrund persönlicher Defekte die Schuldensituation selbst zu verantworten haben.

Alle diese Elemente machen es sehr schwer eine effektive Gegenwehr zu den aktuellen Wohnungsproblemen auf die Beine zu stellen. Trotzdem ist die von der ZSP ins Leben gerufene Aktion ein großer Erfolg in der ansonsten öden Landschaft der Stadt. Aber das ist nur relativ; der Organisationsgrad der MieterInnen beträgt nur wenige hundert Menschen, im Vergleich zu den Tausenden, die von der Lage betroffen sind. Es ist nur die Spitze des Eisbergs, doch es bedarf der Geduld, da dieser Aufbauprozess notwendig ist, damit die ZSP mehr Menschen erreicht und der Protest größere Proportionen annehmen kann.

Viele Menschen stehen heute kurz vor der Obdachlosigkeit. In anderen Länder, in denen sich soziale Bewegungen besser entwickelt haben, wird man sich wundern, warum nicht die ganze Stadt Warschau dem Mietstreik beitritt. Aber die ZSP ist in Polen. Es ist eines der einzigen Länder in denen die Massenprivatisierung des Bildungs- und Gesundheitswesens nicht mit Protesten beantwortet wurde. Es ist das einzige Land in Europa, das während der Krise ein starkes Wachstum zu verzeichnen hatte, aber nur weil die ArbeiterInnen eher Lohnkürzungen akzeptieren als zu streiken. Dieses soziale Vakuum ist nur schwer erklärbar und noch schwerer zu verstehen, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Doch innerhalb dieses Vakuums gibt es kleine Gruppen, die den Widerstand organisieren und eine immer größerer Anzahl derjenigen, die von den Entwicklungen betroffen sind.

Die Aktivisten der ZSP fühlen sich gestärkt und ermutigt, wenn sie Menschen sehen die aktiv werden und die sich weigern klein bei zugeben und für ihre eigene Sache kämpfen. Nicht alle gewinnen diesen Kampf, doch wenn jemand gewinnt, ist das ein kollektiver Erfolg, den das MieterInnen-Verteidigungs-Komitee gemeinsam feiert. Und es ist eine Inspiration für andere. Diese kleinen Erfolge sind ein wichtiges Element für sie beim Mietstreik. Bevor einzelne sich der Gefahr der Obdachlosigkeit aussetzen oder anderen in individuellen Fällen zur Hilfe eilen, empfiehlt sich die gemeinsame Aktion. Es sind letztlich diese kollektiven Aktionen und nicht Einzelaktionen, welche es ermöglichen die vorherrschende Politik zu verändern. Wenn Menschen nicht in der Lage sind ihre Miete zu bezahlen oder von antisozialen Maßnahmen betroffen sind, fordern GenossInnen sie dazu auf dem Mietstreik beizutreten und ihre Rechte gemeinsam mit anderen zu verteidigen.

Doch über welche Art der Verteidigung reden wir? Das zeigt sich in den kommenden Monaten. Die für die Gentrifikation zuständigen Oberhäupter der Stadt haben sich nun doch entschlossen ein paar Häuser zu sanieren. Abgesehen davon, dass die Menschen jahrelang in heruntergekommenen und kalten Wohnungen leben mussten, stellt sich das Problem, dass die MieterInnen aufgrund bevorstehender Sanierungen ihre Wohnung wechseln müssen und nur die wenigsten eine Berechtigung erhalten, erneut öffentlichen Wohnraum zu beanspruchen.

Wie kommt das? Einige Familien erhielten vor wenigen Jahren Zugang zu diesen Wohnungen. Praktisch alle lebten während der Zeit der Volksrepublik Polen darin. Nach dem Übergang zur Demokratie, verblieben einige in diesen Wohnungen. Teilweise wurden die Wohnungen an MieterInnen verkauft. Augenblicklich belegen einige Menschen öffentlichen Wohnraum deren Einkommen das Limit der dafür qualifizierten MieterInnen übersteigt. Aber die Stadt kontrolliert nicht das Einkommen aller MieterInnen. Es ist ein zufälliger Prozess. Sobald sie entscheidet, dass deine Wohnung privatisiert oder saniert werden soll und du oberhalb des Einkommenslimit liegst, bist du auf dich alleine gestellt. Wenn deine Wohnung in einem guten Zustand ist, darfst du bleiben.

Einer der Mitglieder des MieterInnen-Verteidigungs-Komitee, ein ehemaliger Bauingineur, klärte die Inspektoren der Stadt über die lebensgefährliche Baufälligkeit des Hauses auf in dem er wohnt. Baufälligkeit stellt neben der Vergiftung durch Kohlenmonoxid und Bränden, die größte Gefahr für MieterInnen dar. Dank seiner Intervention wurde das Gebäude saniert. Dieser 73 jährige alte Mann, der sein ganzes Leben hart gearbeitet hat und eine Pension erhält von der er leben kann, wird allerdings keinen öffentlichen Wohnraum mehr beanspruchen dürfen. Er ist „zu reich“. Die GenossInnen werden alles dafür tun um diese Lächerlichkeit zu verhindern. Solche Situation ereignet sich immer wieder, wo sich die ZSP mit MieterInnen organisiert und hoffentlich kommt der Tag an dem die Stadtbewohner sehen, was kollektive Aktionen bewirken können.

Eine der bevorstehenden Kampagnen wird für die Erhöhung des Einkommenslimit sein, das Menschen erlaubt öffentlichen Wohnraum zu beanspruchen. Das ist bereits jetzt einer der Forderungen des Mietstreiks. Alle die mehr als das monatliche Mindesteinkommen von 340€ erhalten, dürfen keine öffentliche Wohnung beanspruchen, da sie sich angeblich eine kommerzielle Miete leisten können. Sobald ein Gebäude saniert oder abgerissen wird, muss man sich einer Prüfung seines Einkommens unterziehen. Dabei ist es egal ob man 90 Jahre alt ist oder krank. Eine der Mitglieder erhält eine Pension, die 25€ über dem Mindesteinkommen liegt. Sie hat einen kranken Ehemann, den der Stress so mitgenommen hat, dass er jetzt vielleicht stirbt. Sie erhielt ein paar sehr hilfreiche Vorschläge von der lokalen Behörde: ihr Sohn könnte drei Jobs annehmen, reich heiraten oder sie könnte einen Kredit aufnehmen um sich eine neue Wohnung zu leisten. Auf diese grausamen Weise bedroht die polnische Regierung ihre Bevölkerung. Als Antwort haben wir an die lokale Behörde, die in tausenden solcher Fälle ein blindes Auge hat, gefragt, WO denn günstiger Wohnraum zu finden sei. GenossInnen aus Polen haben offiziell nach einer Liste verlangt, in der billige Wohnungen genannt werden, die sich Menschen mit einer bestimmten Spanne an Einkommen leisten können. Aber die ZSP weiß, dass sie diese Liste nie bekommen wird. Und der kommerzielle Wohnungsmarkt bietet solche Wohnung nicht an.

Das MieterInnen-Verteidigungs-Komitee erstellt augenblicklich einen neuen Report in dem festgestellt wird, dass die Miete für ein Einzimmer Apartment in Warschau erst ab 400€ zu haben ist. Viele Menschen verdienen einerseits zu viel für eine Wohnung, die der Stadt gehört, und andererseits zu wenig für den kommerziellen Wohnungsmarkt. Für sie stellt die augenblickliche Situation eine Herausforderung dar; sie werden in kleine Wohnung gepresst und leben in prekären Verhältnissen. Stell dir ein Ehepaar im Alter von 70 bis 80 Jahren vor, das dazu aufgefordert wird, ihre Wohnung zu verlassen in der sie seit über 50 Jahren leben und das ein Großteil ihres Geldes zukünftig einem Gutsherrn in den Rachen schmeißen muss, der ihnen jederzeit kündigen kann. Das erleben die GenossInnen jeden Tag. Die Menschen kommen völlig aufgelöst und hysterisch zu ihnen. Sie fragen sich, wie sie die neue Situation bewältigen können und ob sie den Stress überhaupt überleben.
Soziale Wohnungen für die Obdachlosen existieren zwar, aber es gibt nur sehr wenige davon. Und der vorhandene Wohnraum für Obdachlose ist noch wesentlich schlechter als der für reguläre MieterInnen. Es gibt Toiletten im Flur, die von allen benutzen werden müssen. Vielleicht gibt es zukünftig Container, wie in anderen Ländern, irgendwo außerhalb der Stadt, weit entfernt von den Geschäften - völlige Verelendung. Diese Notunterkünfte verschlechtern die Gesundheit der Älteren, wenn sie ihnen nicht das Leben kosten wird.

Letztes Jahr begannen das MieterInnen-Verteidigungs-Komitee MieterInnen im großen Maßstab zu helfen, obwohl die Bedürfnisse ihre Kapazitäten bei weitem übersteigen. Seit dieser Zeit, bekommen sie mehr und mehr Horrorgeschichten zu hören: MieterInnen, denen von gierigen Wohnungseigentümern die Heizung, der Strom oder das Wasser abgestellt wird oder die dazu gezwungen werden in baufälligen Häusern zu leben. Manchmal wurden Häuser sogar angezündet. In einigen Fällen hatten die MieterInnen, denen der Strom und das Wasser bereits abgestellt wurden, Angst ihre Wohnung zu verlassen, weil die Gefahr bestand, dass der Vermieter das Schloss ihrer Wohnung auswechselt. Vergangenes Jahr begannen MieterInnen ihre Häuser zu verbarrikadieren, um sich vor der Obdachlosigkeit zu schützen. Sie überlebten durch Körbe, die sie aus dem Fenster ließen und in die Nachbarn dann Lebensmittel legten. Das waren die ersten Formen spontaner Gegenwehr.

Da die PolitikerInnen und SpekulantInnen ihre Pläne bereits geschmiedet haben, macht die ZSP jetzt ihre eigenen. Als Antwort organisieren sie direkte Aktionen mit Bewohnern bestimmter Häuser oder Nachbarschaften. Im Winter 2009 besetzten verzweifelte MieterInnen, denen die Gasheizung abgedreht worden war, das Büro einer lokalen Behörde und blockierten sie für zwei Wochen.[4] Infolge dessen erhielten einige der Protestierenden eine Wohnung mit ausreichendem Standards.

Im Herbst letzten Jahres GenossInnen das Büro der Warschauer Bürgermeisterin im Rathaus und forderten den Zugang zu öffentlichen Wohnraum für Bedürftige. Versammlungen im Rathaus wurden von ihnen mehrfach unterbrochen. Manchmal führten diese Aktionen zu kleinen Erfolgen. Doch sie werden noch viel härter vorgehen um diese „Thatcher-Typen auf Anabolika“ zu bekämpfen.

Im Frühling und Sommer letzten Jahres begannen AnarchosyndikalIstinnen in Polen mit dem Unterricht der Menschen, um sie in die Lage zu versetzen eigenen Organisationen zu gründen. Daraufhin gibt es heute eine Koalition aus rund 32 Gruppen, die meistens aus einer geringen Anzahl von MieterInnen besteht. Die Idee war der gemeinsame Kampf aber, wie so oft, entstanden verschiedenen Meinungen und Vorgehensweisen. Kurz vor den Wahlen im November entschieden sich einige der moderaten AktivistInnen für öffentliche Ämter zu kandidieren.[5] Das erforderte sehr viel Geduld von der ZSP. Doch sie machten sich keine Illusionen darüber und sprachen sich für die Eskalation der Proteste aus, indem sie zum Mietstreik aufriefen.

Die ZSP spricht sich strikt gegen die Beteiligung an Wahlen aus. Das hat mehr als mit ihrer anarchistischen Überzeugung zu tun. Daher wurde ihre Meinung weitestgehend akzeptiert und als rechtmäßig angesehen. Wir rufen die MieterInnen zur Selbstverwaltung auf und betonen, dass nur organisierte Komitees in der Nachbarschaft in der Lage sind, die eigenen Probleme zu bewältigen. Es sind nicht die PolitikerInnen, die nur vier Jahre ihr Interesse heucheln, die ihnen weiterhelfen werden. Inzwischen sind sie Teil regelmäßiger öffentlicher Versammlungen mit der Stadt.

Zurück zum Mietstreik. Bei jedem Treffen mit MieterInnen ruft die ZSP die Menschen dazu auf sich selbst zu organisieren und etwas für den Streik zu tun, selbst wenn sie demgegenüber skeptisch sind. Sie erklären ihnen, wie sie eine lebendige Bewegung in der Nachbarschaft aufbauen können und wie sie dadurch sowohl kurzfristige als auch langfristige Ziele erreichen. Die Hauptforderungen des Mietstreiks sind akzeptable Mieten, eine realistische Evaluation des Einkommenslimit, eine Steigerung des öffentlichen Wohnungsbaus, ein Stopp der Privatisierungen, die Sanierung baufälliger Gebäude und die Vermeidung von Ghettobildung durch den Bau von Wohnungen in der gleichen Nachbarschaft. Die ZSP beobachtet außerdem die Pläne der PolitikerInnen und versuchen bevorstehende Gesetzesänderungen oder Entscheidungen des Stadtrats zu blockieren .

Daneben verbreiten sie eine Vision: die Idee der direkten Mieterschaft und der gesellschaftlichen Kontrolle öffentlichen Wohnraums. Dadurch machen sie Grundforderungen des Anarchismus bekannt und stellen die neoliberale Ideologie in Frage, wie die der Vorherrschaft privaten Eigentums oder die Gesetze des Marktes. Inzwischen bekennen sich immer mehr der Beteiligten zu den anarchistischen Idealen und erklären den Anderen, wie „wir Anarchisten darüber denken“.

Ob sich dieses Ideal weiter verbreitet wird sich zeigen. Immer mehr Menschen sind durch die Schuldenfalle, durch Privatisierung oder Zerstörung ihrer Häuser von der Obdachlosigkeit, bedroht. Ob sich direkte Aktionen und die Aktivierung der Nachbarschaft verbreiten werden, ist nicht abzusehen.

Eine Sache muss hier noch angesprochen werden. Es gibt viele Unregelmäßigkeiten bei der Privatisierung von Wohnraum und es gibt das organisierte Verbrechen. Die Mafia behauptet, dass ihnen eine Wohnung vererbt wurde oder das sie der rechtmäßige Eigentümer sind. Bestimmte Firmen tauchen in diesem Kontext immer wieder auf und in einigen Fällen stehen sie in Verbindung mit dem Ehemann der Bürgermeisterin von Warschau und anderen prominenten Figuren. Welche Rolle spielt die Stadt in diesem kriminellen Prozess?

Unglücklicherweise verweigert die Stadt jeden Zugang zu Informationen und zu den Privatisierungsplänen. MieterInnen sind keine Parteien mit Einspruchsrecht und oftmals erfahren sie erst plötzlich, dass ihre Wohnung privatisiert wurde und der ganze Verwaltungsvorgang bereits abgeschlossen ist.

In dieser Situation ist es nicht mehr möglich zu reagieren. Selbst wenn die MieterInnen in der Lage sind einen Betrug aufzudecken, kann ihnen das polnische Gesetz nicht weiterhelfen, sobald die Wohnung an Dritte verkauft worden ist. Das Gesetz geht davon aus, dass die Wohnung „im guten Glauben“ verkauft wurde, selbst wenn erst ein Betrug dazu führte. In dieser Angelegenheit ist es das Ziel der Mafia, die Wohnungen so schnell es geht weiter zu verkaufen. Das ist einer der Gründe warum die MieterInnen für Informationsfreiheit kämpfen. Aber die Stadt macht es ihnen sehr schwer und in einigen Fällen leugneten Angestellte der Stadt sogar die Existenz einer Liste über öffentlichen Wohnraum. Das betrifft sogar die höchsten städtischen Stellen: so erklärte der ehemalige Vizebürgermeister, dass eine solche Liste nicht existiert. Aber die „nicht-existente“ Auflistung öffentlichen Wohnraums ist bekannt. Trotz Drohungen der Stadt gerichtlich gegen die ZSP vorzugehen, hat sie damit begonnen diese als vertraulich eingestuften Informationen der Öffentlichkeit Preis zu geben. Die erste von ihnen veröffentlichte Liste enthält 1500 Gebäude.
Die GenossInnen aus Polen erklärten der Stadt, dass sie den Menschen die Informationen geben müssen, denn sie bekommen sie sowieso. Kurz danach besetzten AktivistInnen das Büro der Warschauer Bürgermeisterin im Rathaus. Obwohl das keine Massenaktion gewesen ist, haben sich die Verantwortlichen in die Hosen geschissen. Am nächsten Tag verkündeten sie die Veröffentlichung der Liste auf der Homepage der Stadt am 15. November. Ein Erfolg durch direkte Aktion!

Nicht ganz allerdings. Wie üblich taten sie nicht, was sie versprochen hatten. Also zurück an die Arbeit. In der Hand der AktivistInnen sind zwei weitere Listen, die sie gemeinsam mit bestimmten MieterInnengruppen veröffentlichen werden. Die Listen enthalten die Warnung, dass sie ohne Genehmigung der Bürgermeisterin auf keinen Fall kopiert, publiziert oder verteilt werden dürfen. Aber daran halten sich die AnarchosyndikalIstinnen nicht.

Was das Resultat von alledem sein wird, weiß die ZSP noch nicht. In der Zwischenzeit, führt sie ihren Kampf fort.

ZSP

[1] Bekannte Linke, die von der europäischen Sozialdemokratie unterstützt werden, haben die MieterInnen dazu aufgerufen, sich nicht an dem Mietstreik zu beteiligen und zu bedenken gegeben, dass eine Beteiligung juristische Folgen nach sich ziehen wird.

[2] Polnische Webseite: www.lokatorzy.info.pl . Einige der Aktionen an denen die ZSP sich beteiligt sind auf Englisch auf dem Blog der ZSP Warschau zu finden: www.zspwawa.blogspot.com

[3] Rund 1000 Gebäude wurden bisher privatisiert, doch der Prozess hat gerade erst begonnen; insgesamt sind ungefähr 10.000 Gebäude eingeplant. Die Daten darüber sind sehr chaotisch und der Zugang zu diesen Informationen ist hart umkämpft. Obwohl eine sehr große Anzahl an MieterInnen davon betroffen ist, hat die Stadt bislang nichts über die Höhe und Orte der Privatisierung verlauten lassen.

[4] Siehe www.zspwawa.blogspot.com im Archiv Januar 2010

[5] keiner der MieterInnen wurde gewählt. Und das moderate Verhalten hat die Bewegung geschwächt. Wir hoffen dass die Menschen aus dieser Episode lernen. Es ist gleichzeitig eine Herausforderung. Ironischerweise wurde einem der ZSP Mitglieder die ersten Stelle einer Wahlliste angeboten, was er naturgemäß abgelehnt hat. Er ist viel wertvoller für die ZSP in der Basisarbeit als wenn er seinen Kopf sinnlos gegen eine Wand aus Bonzen im Stadtrat schlägt. Noch immer glauben einige der Nachbarn, dass Wahlen von Repräsentanten, die Lösung der Probleme ist und nicht die Gründing einer selbständigen Bewegung. Sie kritisieren die Entscheidung der ZSP nicht in die Politik zu gehen. Eine der Herausforderungen, der wir ständig gegenüber stehen, ist die Überzeugungsarbeit, dass die Menschen ihre Probleme nur selbst lösen können und nicht dadurch, dass sie Macht an andere delegieren.

[6] Neben den oben erwähnten Befürworter n von Wahlen, findet sich eine größere Mengen Menschen, die der Auffassung sind, dass alle PolitikerInnen Abschaum sind. Wir versuchen diese Haltung in den Glauben an die Selbstverwaltung zu überführen.


[7] Die Privatisierung eines Hauses mit Mietern, ohne Ersatzvergabe, versößt gegen die europäische Sozial Charta. Slowenien hatte dieses Problem und konnte dafür zur Verantwortung gezogen werden; Polen kann es nicht, denn es hat zwar die ESC ratifiziert, aber nicht vollständig. Die ESC aus dem Jahr 2005 hat Polen nie unterschrieben. Es verweigerte sich ebenso den Zusatzprotokollen der europäischen Sozial Charta und dem Zusatzprotokoll für öffentliche Angelegenheiten. Ein Kampagne fordert die Unterschrift darunter ein, um dann rechtlich gegen die polnische Regierung vorgehen zu können. Doch die ZSP macht sich keine Illusionen darüber und wissen dass Kapitalismus und Profit vor Menschenrechte gehen, trotz all der nobel klingenden Erklärungen.